: Zärtlich wie eine kosende Hand
WERKSCHAU Das Regenbogen-Kino zeigt das Werk der Westschweizerin Véronique Goël. Die filmt am liebsten Architektur – zum Beispiel die an queerer Geschichte reiche Villa Kenwin am Genfer See
VON JENNI ZYLKA
Die Villa Kenwin steht in La Tour-de-Peilz, im Schweizer Kanton Waadt. Sie gehört zu den Sehenswürdigkeiten des schnieken Ortes am Genfersee. Kenwin ist ein weißer massiver, dennoch luxuriöser Einfamilienblock, der „Bauhaus“ schreit, gerade Linien und ein über die ganze obere Etage reichender Balkon auf der Waldseite; ein schwarz abgesetzter Eingang mit schwarzem Turm und roten, quadratisch gemusterten Eingangstüren auf der Straßenseite. Das Haus sieht aus, als versuche es, inmitten von wuchernder Natur Gedanken zu ordnen und zu strukturieren.
Innen ist Kenwin genauso streng und schlüssig organisiert, wie die Fassade es verspricht, wenige, starke Primärfarben dominieren, die Böden glänzen, die Fensterfronten wirken wie Bilderrahmen, die Natur zeigen. Die englische Schriftstellerin und Millionenerbin Bryher, die eigentlich Winifred Ellerman hieß, gab die Villa 1929 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Kenneth MacPherson in Auftrag, die ersten Silben ihrer Vornamen „Ken“ und „Win“ ergaben den Namen des Gebäudes.
Bryher war lesbisch und MacPherson schwul. 1931 nahmen sie die bisexuelle Dichterin H. D. (Hilda Doolittle) und deren Tochter Perdita in der Villa auf, Bryher und MacPherson adoptierten Perdita bereits im Jahr 1928; das Kind lebte sehr glücklich mit seinen beiden Müttern Bryher und H. D. und diversen männlichen Bezugspersonen in Kenwin. Der nach dem Haus benannte, 1996 entstandene Dokumentar-Kunstfilm der Schweizer Regisseurin Véronique Goël lässt einen die außergewöhnlichen Verhältnisse und Verbindungen der BewohnerInnen ganz langsam entdecken. Zärtlich wie eine kosende Hand fährt Goëls Kamera durch die geraden Gänge und Räume der Villa, lässt Bilder – aktuelle oder historische – lange stehen oder rhythmisch im Splitscreen gegeneinander antreten. Dazu lesen vier verschiedene Stimmen, die die schon lange verstorbene Ménage-à-quatre Bryher, H. D., MacPherson und McAlmon symbolisieren, Originalkorrespondenzen vor.
Der Begriff Korrespondenzen passt tatsächlich besser als ein profanes „Briefe“ – der Schriftwechsel der SchriftstellerInnen ist ein Genuss. Und er sagt mehr über Menschen und Zeiten aus, als ein sonorer, bewertender Off-Kommentar es hätte tun können. Am Anfang ist vor allem die Kunst Thema, daneben wird aus den verschiedenen Hochburgen des neuen Formats „Kintopp“ (Berlin, Paris) begeistert über das moderne Medium und seine Möglichkeiten berichtet, es geht um das ambitionierte, selbst herausgebrachte Filmmagazin Close Up und um eigene Filmprojekte wie der inhaltlich und formal erstaunliche Gender-and-Race-Issue-Avantgardefilm „Borderline“ von 1931 (mit H. D., Bryher, den afroamerikanischen Schauspieler und Intellektuellen Paul Robeson und seiner Frau Eslanda). Derweil hält langsam der Krieg Einzug. Goël bleibt in ihrem Rhythmus, auch als die grausige Realität der 40er Jahre die von Geldsorgen und Konventionen freie Welt der ExilschweizerInnen einholt. Und sie hat als dritte Ebene Originalzitate von Perdita, die sich selbst als Nachlassverwalterin ihrer Mütter „keeper of the fire“ nennt, in die Melange aus Architektur, Erinnerungen und Leben eingewebt.
Für Goël ist Architektur eine mächtige Kunst: Die 1951 ebenfalls im Kanton Waadt geborene Filmemacherin beschäftigt sich in ihrem Werk, das noch bis zum 19. März im Regenbogenkino zu sehen ist, immer wieder mit gebautem Raum. In ihrem Kurzfilm „Agbar“ von 2005 werden dem gleichnamigen Turm in Barcelona, der wie ein aus den Tiefen des Weltraums auf den Boden geknalltes Raumschiffteil aussieht, in vier gleichen Einstellungen verschiedene Texte unterlegt. Und Goëls 45-minütige Dokumentation über den Architekten Hans Schmidt, einem der radikalsten Vertreter des „Neuen Bauens“, dessen politische Einstellung ihn 1956 für über zehn Jahre nach Ostberlin gehen ließ, versucht zu erklären, wie Schmidt seine extrem auf Technik und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Architekturvorstellungen langsam mit kulturellen Identitäten zu mischen beginnt.
Véronique Goëls teilweise minimalistischen, radikalen Werke scheinen Erinnerungen zu konservieren, dennoch sind sie modern und wenig gemütlich. Einlullende Bilder, die Anekdötchen illustrieren, gibt es schließlich schon genug.
■ Programm unter www.regenbogenkino.de; die Regisseurin ist bei vielen Vorführungen anwesend
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