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Dieser Zug endet hier

Die USA und Europa suchen einen besseren Zugang zu Kongos einzigartigen Kupfer- und Kobaltvorkommen, mit einem äußerst ambitionierten Bahnprojekt. Was fehlt: die Bahn

Sylvano Kayombo Josué ist Creuseur, ein frei­beruflicher Kleinbergmann

Aus Kolwezi Issio Ehrich (Text und Fotos)

Die Schienen sind nur noch ein paar Meter entfernt, doch die Frau im bunten Gewand guckt nur geradeaus. Kein Blick nach links, kein Blick nach rechts. Sie hebt müde ihren Fuß, tritt in das Gleisbett – und läuft weiter. So als gäbe es diese Schienen gar nicht. So als könne sie sicher sein, dass hier niemals ein Zug vorbei donnert. Mit ein paar Schritten Abstand folgen ihre Kinder. Zwei Mädchen und ein Junge. Auch sie schauen nicht, ob da was kommt. Dabei queren sie die vielleicht wichtigsten Bahngleise der Demokratischen Republik Kongo. In der Theorie zumindest.

Die Schienen winden sich durch Kolwezi, eine Millionenstadt im Süden des zentralafrikanischen Landes. Einstöckige, schlecht verputzte Gemäuer mit Wellblechdächern erstrecken sich bis zum Horizont. Dazwischen sind rotbraune Hügelketten zu sehen, mit Kratern, die mitunter Hunderte Meter in die Tiefe reichen. Kolwezi ist das Zentrum des kongolesischen Bergbaus und damit einer der wichtigsten Orte im globalen Ringen um die Rohstoffe der Zukunft. Die USA und Europa wollen die Eisenbahn aus Kolwezi nutzen, um Kupfer und Kobalt gen Westen zu exportieren. Sie haben milliardenschwere Investitionen angekündigt.

Am Bahnhof von Kolwezi scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das Gelände, im Schatten eines Baumwalles, liegt mitten in der Stadt, aber der Vorplatz aus braunem Schotter ist menschenleer. Eine Dampflok steht herum, ein Deko-Objekt, das bald 100 Jahre alt sein dürfte. Am Hauptgebäude im Kolonialstil zeigt die Uhr 18.21, dabei ist es mitten am Tag. Im Vorzimmer des Direktors der Nationalen Eisenbahngesellschaft (SNCC) liegt ein Kalender mit einem Titelbild von Barack Obama, US-Präsident von 2009 bis 2017.

Louis Kakudji, raspelkurze Haare, markanter Bart an Oberlippe und Kinn, pocht darauf, dass von stehengebliebener Zeit überhaupt keine Rede sein kann. Der lokale Direktor der SNCC sitzt inmitten einer klobigen Sofalandschaft, die ungefähr die Hälfte seines ausladenden Büros füllt. „Wir arbeiten bereits an mehreren Stellen an der Strecke“, versichert er. Im Laufe der Woche könnte es sogar möglich sein, beim Verladen von Kupfer auf die Züge dabei zu sein, die schon gen Westen rollen. Es fehlten nur noch ein paar Genehmigungen, damit er dem Journalisten aus Deutschland den Fortschritt des Projekts zeigen könne. Genehmigungen von „höheren“ Stellen, hebt Kakudji hervor.

Die Bahnstrecke, um die es geht, ist viel größer als der Abschnitt, der sich durch Kolwezi windet. Die Gleise sollen eines Tages eine effiziente Verbindung vom sogenannten Kupfergürtel Zentralafrikas in den mehr als 1.000 Kilometer weiter westlich gelegenen Hafen Lobito in Angola bilden. Deshalb heißt das Projekt „Lobito-Korridor“. Statt in mehreren Wochen mit Lkws soll es mit dem Zug künftig in ein paar Tagen möglich sein, Rohstoffe aus Kolwezi an den Atlantik zu bringen. Eine zweite Trasse ist vom benachbarten Sambia aus geplant, wo es ebenfalls große Mineralienvorkommen gibt.

Inmitten der Sofagarnitur in Kakudjis Büro liegt auf einem Beistelltisch ein Stapel Bücher. Auf den Umschlägen prangen Zeichnungen von alten Dampflokomotiven, die sich entlang der Küste und durch den Dschungel schleppen. „Die Schienen in Belgisch-Kongo“, heißt die Sammlung. In Band I geht es um die Zeit von 1890 bis 1920. In Band II um die Epoche bis 1945. Der Lobito-Korridor ist ein Projekt mit historischen Dimensionen. Es geht nicht darum, eine neue Bahn­strecke zu schaffen, sondern eine alte wieder aufblühen zu lassen.

Die ersten Schienen in der Region wurden 1902 in Angola gelegt, zu der Zeit eine portugiesische Kolonie. Das Ziel war schon damals: Zugang zu den Bodenschätzen des damaligen Belgisch-Kongo. Portugal und Belgien waren zwei besonders brutale Kolonialmächte, die Extraktion von Rohstoffen ohne Rücksicht auf die Bevölkerung hatte Priorität.

Im Jahr 1929 erreichten die Gleise die Grenze zu Kongo. Gegen Ende der Kolonialherrschaft in Angola, im Jahr 1973, wurden über die damals Benguela-Bahn genannte Trasse mehr als 3,3 Millionen Tonnen Ladung transportiert. 60 Prozent des Kupferexports aus Kongo und 45 Prozent aus Sambia – beides mittlerweile unabhängige Staaten.

Nach Angolas Unabhängigkeit 1975 verfiel das Land in einen Bürgerkrieg, der fast drei Jahrzehnte dauern sollte. Die Bahnlinie verwahrloste. Am Ende waren nur noch drei Prozent nutzbar. Auf kongolesischer Seite verfiel die Infrastruktur unter Diktator Mobutu Sese Seko komplett, ab 1996 rutschte auch dieses Land in einen langen Krieg. Erst nach der Jahrtausendwende fanden beide Länder wieder einigermaßen zu Stabilität.

Wer im Angesicht der globalen Klimakrise die Zukunft gestalten will, braucht Kupfer und Kobalt. Kupfer gilt wegen seiner hohen Leitfähigkeit als Schlüsselmetall der Energiewende – moderne Solarpaneele und Stromnetze sind ohne kaum denkbar. Kobalt wiederum ist ein unverzichtbarer Bestandteil wiederaufladbarer Batterien, rund acht Kilogramm stecken in einem Elektroauto. Außerdem ist es kritisch für Superlegierungen, die etwa im Flugzeug- und Waffenbau gebraucht werden. Von beiden Metallen verfügt die DR Kongo über einige der größten Vorräte der Welt. Beim Kupfer ist Kongo nach Chile das zweitgrößte Förderland der Welt, bei Kobalt liefert Kongo vier Fünftel der globalen Fördermenge. Und die Reserven in Kongos Südregion Katanga sind immens.

In Kolwezi liegen diese milliardenschweren Schätze direkt unter der Erde. Auf einer dicht bewachsenen Anhöhe am Rande der Stadt steht Christian Ngoy vor einem schwarzen Loch. Dort will er hinein. Er schlüpft in eine neongelbe Weste. Sollte er verschüttet werden, wäre er darin leichter zu finden. Auch eine Wollmütze stülpt er sich über. Sie bietet Schutz vor Stößen und Kratzern. Darüber schnallt er eine pink-grüne Plastikstirnlampe.

Ngoy steigt hinab. Die Wände sind feucht, und die Stufen, die er mit seinen Kameraden alle paar Meter in die Erde geschlagen hat, bieten gerade genug Platz für die Spitzen seiner Turnschuhe. Ngoy steigt etwa fünf Meter senkrecht in die Tiefe. So erreicht er einen ersten Quergang, die erste „Galerie“. Gebückt kriecht er hindurch, dann geht es tiefer hinab. Ungefähr zehn Meter runter in einem Schacht, der kaum einen Meter breit ist. Das Licht von Ngoys Stirnlampe schneidet grelle Keile in die Dunkelheit. An einigen Stellen glitzert das Gestein auf. „Das Gelb-Grünliche da, das ist Kupfer“, sagt er. „Und das Schwarze, das ist eine Mischung aus Kupfer und Kobalt.“ Ngoys Stimme klingt dumpf, die feuchte Erde schluckt den Schall.

Ngoy ist ein Mineur Artisanal, ein freiberuflicher Kleinbergmann, „creuseur“ nennt man sie im Kongo, „Gräber“. In 45 Metern Tiefe erreicht er seinen Arbeitsplatz. Zusammen mit seinem Kameraden Sylvano Kayombo Josué macht er sich ans Werk. Mit einem Pickel schlägt Josué Gesteinsbrocken aus der Wand. Ngoy hält ihm einen offenen Plastiksack hin. Nach ein paar Minuten wechseln sie die Rollen. Ngoy atmet schwer, Schweiß rinnt ihm über die Stirn.

An einem gewöhnlichen Tag verbringt er acht Stunden hier unten. In Lebensgefahr, da jederzeit ein Einsturz passieren kann. Doch das ist ihm lieber, als für die industriellen chinesischen Minenbetreiber zu arbeiten. „Die Arbeit in den chinesischen Minen grenzt an Sklaverei“, sagt Ngoy. Die Löhne seien so mies, dass es besser sei, sich auf eigene Faust mit Spitzhacke und Schaufel auf die Suche nach Erzen zu machen – egal, ob auf freiem Feld oder auf dem Territorium einer großen Mine. „Der Lobito-Korridor ist eine gewaltige Chance für uns“, sagt er. „Wir brauchen dringend mehr Wettbewerb im Bergbau-Sektor.“

Acht Stunden am Tag verbringt Ngoy unten in der Mine. In Lebensgefahr, da jederzeit ein Einsturz passieren kann

Chinas Einfluss in Afrika wächst seit Jahren. Nicht zuletzt wegen der Belt and Road Initiative, einer globalen Infrastrukturinitiative, die auch als Neue Seidenstraße bekannt wurde. Seit den 2010er-Jahren dominiert China Kongos industriellen Bergbau. Rund um Kolwezi gibt es 16 industrielle Minen. Nur 2 sind in westlicher Hand, sie gehören dem Schweizer Rohstoffriesen Glencore. Der kongolesische Staat ist jeweils nur mit Minderheitenanteilen beteiligt. Chinesische Unternehmer kontrollieren auch die Ankaufstellen, zu denen Creuseure wie Ngoy ihre Ausbeute bringen müssen, wenn sie etwas verdienen wollen. Und diese Unternehmer sind praktisch die einzigen, die das Gerät haben, um den Wert von Erzen einzustufen. Das heißt: Chinesische Unternehmer diktieren letztlich auch die Preise für Freiberufler.

Ngoy gräbt sich weiter durch die Erde. „Wir suchen vor allem Gestein mit hohem Kupferanteil“, sagt er und erklärt eine kuriose Begebenheit des chinesischen Monopols: Die Unternehmer in den chinesischen Ankaufstellen behaupteten, allein am Kupfer interessiert zu sein. „Weil Kupfer und Kobalt in der Natur aber meist zusammen vorkommen, bekommen sie das Kobalt umsonst dazu.“ Dabei ist das silbergraue Metall viel wertvoller. Eine Tonne Kupfer ist auf dem Weltmarkt rund 10.000 US-Dollar wert – eine Tonne Kobalt mehr als das Dreifache. Der Markt in Kongo ist verzerrt. Noch. „Der Lobito-Korridor könnte das chinesische Monopol brechen“, hofft Ngoy.

Das Bahnprojekt ist ein bedeutsamer Teil des Konters des Westens gegen den weltweit wachsenden Einfluss Chinas. 2022 beschlossen die wichtigsten westlichen Industrienationen G7 die Partnership for Global Infrastructure and Investment. Sie versprachen bis 2027 bis zu 600 Milliarden US-Dollar in Straßen, Schienen, Daten- und Stromnetze in sogenannten Entwicklungsländern zu investieren. Auch Bildung, Forschung und Landwirtschaft wollen sie vermehrt stärken. Führend dabei sind die USA. Die Europäische Union beteiligt sich im Rahmen der Initiative Global Gateway.

Der Lobito-Korridor ist als ein Leuchtturmprojekt ausgewiesen. US-Präsident Joe Biden reiste im Dezember 2024 kurz vor Ende seiner Amtszeit eigens nach Angola, um sich dort mit seinen angolanischen und kongolesischen Amtskollegen hinter das ambitionierte Bahnprojekt zu stellen und neue US-Gelder zuzusagen. Erhoffte Fertigstellung: am Ende dieses Jahrzehnts. Doch viel mehr als Hoffnung gibt es bisher nicht.

45 Meter hat Christian Ngoy in die Tiefe gegraben, um nach Kupfer und Kobalt zu suchen

Am Bahnhof von Kolwezi hallt das Prellen eines Basketballes durch die Luft. Ein Moment der Stille, dann das Scheppern des Ringes. Das Feld, auf dem ein paar Jugendliche spielen, liegt am Rande des Bahnhofsgeländes. Die Geräusche der jungen Menschen sind an diesem Nachmittag die einzigen, die zu hören sind. Wieder fährt kein Zug.

Louis Kakudji, der SNCC-Direktor, hat erneut zum Gespräch geladen. In seinem Vorzimmer sitzt ein alter Mann mit einer schwarzen Ray Ban. „Tut mir leid“, sagt er. „Der Direktor ist nicht da.“ Wieder einmal. Seit Tagen schlägt Kakudji Termine vor, spricht von möglichen Ausflügen zu Baustellen oder zur Verladung von Kupfer auf die Züge. Doch dann ist er nicht da, reagiert nicht mehr auf Anrufe und Nachrichten. Ghosting. Mittlerweile ist offensichtlich: Kakudji drückt sich davor, dem Journalisten aus Deutschland den Zustand der Schienen im Kongo zu zeigen. Aus gutem Grund. Die vielen großen Worte über den Lobito-Korridor wirken extrem weit weg von der Realität.

Im Bahnhof Kolwezi verlaufen gut ein Dutzend Gleise. Ihr Zustand: erträglich. Doch auf dem Weg nach Westen, Richtung Angola, werden verbogene Schienen und gebrochene Schwellen zur Regel. Schon nach ein paar hundert Metern ist nur noch ein einziges Gleis übrig. Es gab darauf bisher nur vereinzelte Transporte von Kupfer aus Kolwezi nach Westen, Testfahrten mit ein paar Tausend Tonnen. In Richtung Osten, wo die Minen liegen, sieht es kaum besser aus. Geschweige denn in den Minen selbst. In einer haben Creuseure den Boden unter den Gleisen herausgegraben – in der Hoffnung, auch dort auf Kupfer zu stoßen. Wie bei einer Achterbahn hängen die Schienen samt Schwellen in der Luft.

Chinesische Unternehmer kontrollieren auch die Ankaufstellen für Kupfer, so diktieren sie letztlich auch die Preise für Freiberufler

Auf der Schotterpiste daneben donnern unterdessen Lastwagen vorbei, wirbeln im Minutentakt Staubwolken in die Luft. Auf den Kühlergrills der Fahrzeuge prangen die Logos von ­CNHTC, dem größten chinesischen Lkw-Hersteller. Von einem gebrochenen Monopol kann noch lange keine Rede sein. Zumal China längst dabei ist, selbst eine effizientere Verbindung ans Meer aufzubauen – nicht zum Atlantik, sondern in die andere Richtung, zum Indischen Ozean. Die Regierung treibt die Erneuerung der historischen Tazara-Bahn voran, die von Sambia nach Tansania ans Meer führt, und will auch Kongo daran anschließen. Die Zeit drängt.

2023 erteilte Angola der Lobito Atlantic Railway Company eine 30 Jahre lang gültige Konzession für die Linie. Hinter dem Joint Venture stehen drei europäische Unternehmen: das portugiesische Bauunternehmen Mota-Engil, der niederländische Schienennetzbetreiber Vecturis und der niederländische Rohstoffhändler Trafigura. Sie sicherten für die Konzession zu, 455 Millionen US-Dollar in Angola und weitere 100 Millionen im Kongo zu investieren. Mit diesem privatwirtschaftlichen Engagement gingen die Ankündigungen der USA und der EU einher, das Vorhaben finanziell weiter zu unterstützen.

In Angola ist die Erneuerung der Strecke weitgehend abgeschlossen. Im Kongo dagegen pocht die Regierung darauf, dass der staatliche Eisenbahnbetrieb SNCC den Ausbau der Strecke voranbringt, nicht irgendein europäisches Unternehmen. Das Problem beim kongolesischen Alleingang ist nur: Die SNCC ist nicht dafür bekannt, die Aufgaben, die ihr übertragen werden, zu erledigen – und das gilt für viele staatliche Stellen in der DR Kongo.

Die Schienen des Lobito-Korridors hängen an manchen Stellen durch, sind an anderen gebrochen

Theoretisch gibt es für Kongos Haltung gute Gründe. Die NGOs Eurodad, Counter Balance und Oxfam haben sich Projekte des Global-Gateway-Programms der EU angeschaut. In ihrer Studie ist von „Neokolonialismus“ die Rede. „Es ist offensichtlich, dass die strategischen Partnerschaften von Global Gateway die geopolitischen und kommerziellen Interessen der EU-Investoren in den Vordergrund stellen“, heißt es da. Und in vielen Projekten stammen die Investoren ausgerechnet aus den früheren Kolonialmächten – siehe Angola.

Die EU ist bei ihrem Lobito-Vorstoß bemüht, den Eindruck von Ausbeutung zu zerstreuen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschrieb den Korridor im Juni gar als Paradebeispiel dafür, wie Europas Infrastrukturinitiativen nicht nur dem Westen, sondern vor allem Afrika nützen würden. „Der Korridor ist so viel mehr als nur eine Eisenbahnverbindung zu Bergbauregionen“, sagte sie und versprach „positive Spillover-Effekte“ in den lokalen Wirtschaften.

Aber die kommen nicht von allein. In einem winzigen Büro in Kolwezi, in das kaum drei Stühle passen, sitzt Sylvain Kantolomba hinter seinem Schreibtisch eingekeilt in der Ecke. „Wir haben hier eine lokale Wirtschaft, die komplett von der Bahnstrecke abhängig ist“, sagt der Universitätsprofessor mit dem Schwerpunkt Öffentliche Verwaltung. Rund um Kolwezi gibt es schließlich nicht nur Minen, sondern auch weitläufige landwirtschaftliche Flächen. Die SNCC habe in den vergangenen Jahren aber so gut wie nichts gemacht, um das Eisenbahnnetz zu pflegen. „Auf dem verfügbaren Gleis kann derzeit mit höchstens 20 Kilometern pro Stunde gefahren werden“, sagt Kantolomba. „Absolute Vernachlässigung.“

Sylvain Kantolomba hält sich mit allzu scharfer Kritik zurück. Um die Meinungsfreiheit im Kongo ist es nicht gut bestellt. Er sagt: „Alles hängt von der Haltung der Institutionen in der Demokratischen Republik Kongo ab.“ Darauf warten Menschen wie Christian Ngoy nicht. Sein Vertrauen in die staatlichen Institutionen ist gering, denn um die Bedürfnisse einfacher Menschen geht es im Kongo selten. Es seien ja nicht nur die Chinesen, die Arbeiter im Bergbau ausbeuten, sagt er. Ngoy kämpft seit Jahren mit der Gewerkschaft Atram für die Rechte seiner Kameraden. „Unsere Institutionen stecken mit drin,“ erläutert er: Kongo zählt zu den korruptesten Staaten der Welt. Und dort, wo es viel Geld zu holen gibt, ist die Korruption meist besonders schlimm.

In den Minen der Kleinbergleute gibt es sogenannte Managementkomitees, Scharniere zwischen den Creuseuren und staatlichen Stellen. „Die kassieren jedes Mal mit, wenn wir Erze verkaufen“, sagt Ngoy. „Das ist eine Mafia.“ Die Leute, fügt er hinzu, ließen sich das nicht mehr gefallen. Ein paar Tage später kommt es in der Mine zu einem Aufstand. Steine fliegen. Die Kleinbergleute setzen kurzerhand ihr Managementkomitee ab und jagen es vom Gelände. Gerät die SNCC als nächstes unter Druck?

Endlich meldet sich dann doch Louis Kakudji, der SNCC-Direktor, nach zehn Tagen voller geplatzter Termine und unbeantworteter Anrufe. Auf Umwegen. Über einen Mittelsmann lässt er ausrichten, dass er Angst habe. „Sobald ich etwas sage, werde ich für alles verantwortlich gemacht.“ Ein tiefer Einblick in die kafkaesken Strukturen in Kongos Staat. Obwohl längst eine Genehmigung aus der Hauptstadt Kinshasa und dem SNCC-Büro aus der Metropole Lubumbashi vorliegt, wagt Kakudji es nicht, einem Journalisten den wahren Zustand der Bahn rund um Kolwezi zu zeigen. Denn, so die Erfahrung in der DR Kongo: Nicht diejenigen werden zur Rechenschaft gezogen, die tatsächlich Verantwortung tragen, sondern die, die Probleme öffentlich machen. Beim Lobito-Korridor ist Kongos Staat sein eigener ärgster Feind.

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