Philip Rhensius Was macht mich: Die öffentliche Einsamkeit oder Parzelle mit Gartenzaun
Letztens komme ich in ein Cafe. Sage „hallo“ und niemand reagiert. Meine Stimme verhallt zwischen den unverputzten Wänden. Ich werde rot, setze mich.
Drei Minuten später frage ich die Person neben mir nach einem Stift. Nichts. Hm. Ich spreche ein bisschen lauter, wechsle ins Englische. Nichts. Fuck, sagt doch was. Bitte. Ich fühle mich sowieso unbedeutend. Oder vielleicht hasst ihr mich persönlich?
Jetzt hilft nur: sich nichts anmerken lassen, die Kombination aus Scham und Wut. Ich nehme einen Schluck Kaffee und werfe so unauffällig wie möglich einen Blick auf die Leute.
Es sind schöne Leute, Main Character mit überdimensionalen Sneakern und Mullets, Freelance-Verträgen und Ängsten und Träumen. Doch es sind einsame Leute. Sie haben wie ich und du dabei mitgeholfen, die Wirklichkeit abzuschaffen, als sie begonnen haben, nur noch über sich selbst zu reden. Womöglich ist künstliche Intelligenz, wenn Menschen besser mit ihren Geräten kommunizieren als mit anderen Körpern. Und alle einzeln auf einer kleinen Parzelle mit Gartenzaun drumherum.
Derweil fließt der Kaffee durch meine Speiseröhre in den Magen, sendet Signale in alle Richtungen meines Körpers.
Er besteht aus einer Gemeinschaft verschiedener Akteure, die kooperieren: Sie verändern meinen Blutzucker, meinen Puls, meine Knochenstruktur. Ich frage mich, warum kooperiert hier niemand?
Am liebsten würde ich auf den Tisch springen und einen Ted-Talk halten: Leute, was soll diese Stille? Wir teilen diesen Ort. Die U-Bahn, die euch hierher bringt, der Asphalt, der euch ohne dreckige Schuhe hierhin führt, das Wasser in eurem Kaffee gäbe es nicht ohne Zusammenarbeit. Unter dem Asphalt, der unsere Schuhe sauber hält, fließt etwas, das uns alle trägt.
Vielleicht habe ich den Raum falsch gelesen. Vielleicht habe ich zu viel in den Raum hineingelesen. Vielleicht ist irgendwann aus der wachsenden privaten Einsamkeit eine öffentliche entstanden.
Unangenehme Momente wie diesen im Cafe erlebe ich in letzter Zeit häufiger, aber jedes Mal machen sie mich fertig, weil sie zeigen: Eine geteilte Welt ist möglich – scheitert aber bereits im ersten Schritt. Ein einfaches Hallo wäre subversiv. Es könnte die unsichtbaren Mauern einreißen.
Als es noch Könige gab, mussten Menschen streng zwischen Innen und Außen unterscheiden: Nach außen waren sie Untertan, nach innen Mensch.
Heute sind sie sowohl außen als auch innen Untertan. Das Privatleben ist von digital gesteuerten Kräften kolonisiert. Keine Ahnung, aber wer so beherrscht wird, sucht wohl eher die Distanz als die Nähe seinesgleichen.
Im 18. Jahrhundert war Höflichkeit keine oberflächliche Smalltalktugend, sondern die Bedingung einer freien Gesellschaft.
Autokraten brüllten oft herum. Demokratische Revolutionäre dagegen übten höflich sein: Eine Technik, die das Gemeinsame rettet, auch wenn man gerade keinen Bock drauf hat. Und die Fremde kurzzeitig zu Gleichen macht.
Kürzlich saß ich in einer Bäckerei in Paris. Ein Mann kam rein und sagte „Bonjour“. Alle haben geantwortet. Für einen Moment war da eine Verbindung – so wie der Espresso, der sich mit all den anderen Stoffen im Körper mischt. Krass. Fühlt sich fast an wie Zivilgesellschaft.
Es wurde wirklich ein guter Tag.
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