: Charmantes Goldstück
Der talentierte Mr. Rufus Wainwright gab in der Berliner Passionskirche ein Konzert, das entgegen den Erwartungen weniger elegische Popoper war als vielmehr Moulin Rouge und glückliches Musical
VON CHRISTIANE RÖSINGER
Man konnte in letzter Zeit so viel hören und lesen über den talentierten Rufus Wainwright: Zuerst kamen die CDs „Want one“ und „Want two“ auf den Markt, dann folgten die Berichte und Geschichten über das schwule Wunderkind aus der kanadischen Songwriterfamilie, über Kindheit und Jugend, Drogen, Melancholie und Therapie des campen Wahl-New-Yorkers.
Die Musik Wainwrights lässt sich als pathetisch-opulenter Folkpop oder als elegische Popoper kategorisieren. Die Texte behandeln die Schönheit von Pfirsichbäumen, den Kühlschrankinhalt alternder Sexarbeiterinnen, aber auch Familie, Drogen und Homosexualität im Allgemeinen werden verhandelt.
Mit großem Gepäck ist Wainwright auf Tour gegangen: Kontrabass, Geige, akustische und elektrische Gitarren, Backgroundsängerinnen, Banjo, Piano, Keyboard, Akkordeon, Schlagzeug, auch für die Blockflöte war noch Platz. In der ausverkauften Passionskirche, einem nüchtern-verspielten Backsteinbau, hat man sich also am Montagabend in gespannter Erwartung versammelt.
Als Rufus Wainwright dann auf die Bühne kommt, wirkt er gar nicht so exaltiert und egoman. Als Musical-Charakter stellt er sich vor: Im kurzen Bolerojäckchen mit rotem Hut und rot geschminkten Bäckchen, eine alte Puppe unter den Arm geklemmt, erinnert er an Pinocchio oder einen schwulen Hans im Glück. Dann beginnt die Show.
Dabei ist die Stimmung in der Passionskirche fast zu heilig. Natürlich hat es einen besonderen Reiz, den Song vom schwulen Messias von der Altarbühne einer Kirche zu hören, aber die eh schon recht sakrale Musik in dieser eindeutig sakralen Umgebung, die heilige Ehrfurcht der Gläubigen in den Kirchenbänken, das alles ist doch eine Spur zu gediegen. Man wagt kaum zu flüstern, so leise und ehrfürchtig geht es zu.
Aber zum Glück ist Rufus Wainwrigth ja so ein Goldstück, charmant, selbstironisch, kokett. So erzählt er nach seinen pathosberauschten Heulern kleine Geschichten von seinem ersten Besuch in Eisler-Slash-Brecht-Slash-Wagner-Slash-Germany, von Erlebnissen am Silvesterabend, die mit einem prächtigen Mantel beginnen und über eine Abfuhr im „White Trash“ – es ist ja eine typische Berliner Geschichte – mit Hundescheiße am Fuß enden. Dann wird weiter musiziert und gesungen, das heißt hochdramatisch, wunderschön, pastoral-expressiv auf hohem Niveau gejammert.
Die Band besteht durch die Bank aus ausgezeichneten Musikern, die nicht nur ihre Instrumente äußerst beseelt und präzise spielen, sondern auch noch alle sehr gut singen können, so hört man betörende Hintergrundchöre, die den Kompositionen auch live Raum und Tiefe geben. Zur Zugabe legt Wainwrigth die Kleidung bis auf die Unterwäsche ab, lässt sich die roten Pumps auf dem Silbertablett bringen, will heute die „Pirat-Jenny“ aus der Dreigroschenoper sein. Schmetterlingsflügel, Krone und Schärpe machen ihn zunächst aber zu „Miss Berlin“, und plötzlich ist auch die ganze Band im Moulin-Rouge-Outfit.
Zum Hexensabbat setzen alle spitze Hüte auf und wickeln sich in schwarze Umhänge, und schließlich stehen sie in Frotteebademänteln da, was wiederum den ehrlichen Authentizitätsschweiß der Bühnenarbeiter parodiert. So nimmt die schwere Popoper dann doch ein leichteres Musicalende. Dabei ist noch lange nicht Schluss, ein herrliches A-cappella-Duett folgt, bis die Gemeinschaft der Gläubigen endlich leicht Wainwright-overdosed, berückt, aber auch erleichtert aus der Messe entlassen wird.