: Zwischen Kopfkino und Mindfuck
KUNST Die Gruppenausstellung „Das Unerwartete erwarten“ im Künstlerhaus Bremen spielt mit dem Feuer und des Bildhauers Freude an Experiment und Gefahr
VON JAN ZIER
Du hörst es schon, noch bevor du es siehst. Schon, wenn du die Treppe zum Künstlerhaus am Deich raufgehst. Da ist dieses leise Zischen, immerzu, deutlich zu vernehmen. Ausströmendes Gas. Soll das so? Ein beunruhigendes, ja, etwas bedrohliches Geräusch, das sogleich ungute Assoziationen weckt. Das Kopfkino anschaltet. Das Gas brennt. Die ganze Zeit.
Auf dem hölzernen Sockel, gleich neben der Eingangstür, liegt ein brennender Lötarm, der mit einer Gaskartusche verbunden – und: auf sie gerichtet! – ist, eine von der Sorte, wie man sie von Campingkochern kennt. Das System speist – und zerstört – sich selbst, potenziell jedenfalls. Andererseits ist diese Arbeit von Ariel Schlesinger nicht nur „Untitled“, sondern heißt eben auch „gas loop“, will sagen: Sie hat weder Anfang noch Ende. Das entspannt die Lage. Also doch keine Explosion?! So ganz und gar kann man diese Apparatur nicht verstehen, soll man auch nicht. Das ist gut so. Denn nur so bleibt etwas Geheimnisvolles zurück, nur so funktioniert das Spiel mit dem Kopfkino, den Bildern.
„Das Unerwartete erwarten“ heißt diese Ausstellung, die insgesamt fünf Arbeiten im Künstlerhaus Bremen versammelt. Alle leben sie von des Bildhauers Freude an Experiment und Gefahr und Instabilität, vom „Suspense“, also: der Gespanntheit, die auf den Betrachter übergeht. Manchmal funktioniert das – allerdings auch nicht.
Der Schweizer Kilian Rüthemann ist einer von jenen, die hier auch schon in einer Einzelausstellung zu sehen waren. Er ist diesmal mit „Never let me down again“ vertreten, einer hauchdünnen Glasplatte, die auf einem nur fast zu kleinen, schlicht-präzisen Eisengestell lose aufliegt. Das fragile Ganze sieht wie leicht dahingeworfen aus, ist aber komplexer, als es den Anschein hat, und eben so berechnet, dass der Tisch zwar als solcher völlig unbenutzbar, aber gerade noch stabil ist. Wenn man ihn nicht berührt, also den gemessenen Abstand wahrt, den man gemeinhin in Ausstellungen pflegt. An anderen Stelle ist diese Versuchsanordnung aber auch schon kaputtgegangen. Sie ist eben doch nicht so stabil, wie es scheint.
Eher um die innere Spannung geht es Adrian Lohmüller mit seiner Installation „The false self-system I“, die er „Psycho-Architektur“ nennt. Sie besteht aus einem gusseisernen, mit Wasser gefüllten Tank an der Decke, von dem verschiedene Metallrohre quer durch den Raum führen, die in einem Fall vor einem Gipshaufen, im anderen Fall in einem Glas mit einer Zahnschiene enden. Das alles erinnert irgendwie lose an düstere Filme, die man mal gesehen hat, an alte, dunkle Kliniken (mit Hygiene-Problemen), das streift menschliche Abgründe oder ruft ein wenige Beklemmung hervor, je nach Kopfkino-Regie.
Leider sind nicht alle hier gezeigten Arbeiten von dieser Qualität. Etwa jene von Albrecht Schäfer – der gleich mit zwei Werken ertreten ist, deren karge Idee aber leider schon erschöpft und ausgereizt ist, noch ehe man das Werk richtig gesehen hat. Zu recht „ohne Titel“ kommt bei ihm beispielsweise eine Installation aus, die aus einer irgendwo übrig gebliebenen Holzlatte und einem Klebeband aus dem Baumarkt besteht, das die schmale Latte, leicht zur Seite geneigt, doch aufrecht am Boden hält und mit der Decke verklebt ist. Irgendwann könnte das Ganze reißen, mit einem lauten Knall zu Boden fallen. Das ist aber auch schon alles.
Man kann jetzt natürlich sagen, so wie es beispielsweise der Ausstellungstext tut: Die Konstruktion „macht nicht nur das Verhältnis dieser beiden Pole des Raumes sowie des von ihnen umklammerten Zwischenbereiches deutlich, sondern auch die Wirkkräfte zwischen den beiden eingesetzten Materialien körperlich erfahrbar“. Man kann aber auch sagen: Diese Arbeit hier ist reichlich banal. Ein Fall aus der Rubrik: Ist das Kunst oder kann das weg? Aber manchmal liegen gutes Kopfkino und ein schlechter Mindfuck eben sehr nahe beieinander.
Bis 20. Mai, Am Deich 68/69