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Archiv-Artikel

Wem gehört der Wald?

Baiersbronn ist ein gespaltenes Dorf. Von Ökodiktatur reden die einen, von einem Gewinn für Mensch und Natur die anderen. Schuld ist der geplante Nationalpark vor der Haustür, vorangetrieben vom grünen Landwirtschaftsminister Alexander Bonde. Und der wohnt mitten im Kampfgebiet

von Susanne Stiefel (Text) und Chris Grodotzki (Fotos)

Das Schild steht am Ortseingang von Mitteltal. Im Hintergrund ragen die Fichten des Nordschwarzwalds auf, die Sonne scheint durch weiße Wipfel. Eine Postkarten-Idylle, könnte man meinen. Wäre da nicht dieses grüne Plakat mit dem fett rot durchgestrichenen Wort: Nationalpark. In Mitteltal stehen besonders viele dieser plakativen Unmutsäußerungen, die an die durchgestrichenen S-21-Plakate erinnern. Denn in diesem Baiersbronner Ortsteil wohnt der grüne Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, und der soll sehen, dass seine Meinung nicht von allen geteilt wird. Hier im Schwarzwald werden Konflikte wenig subtil ausgetragen.

Das weiß auch Wolfgang Schlund. Der sitzt hoch über Baiersbronn im Naturschutzzentrum Ruhestein und kennt die gespaltene Gemütslage unten im Tal. Etwa 60 Veranstaltungen hat der Chef des Zentrums schon bestritten, um für einen Nationalpark zu werben: mal vor 900 Zuhörern in Radolfzell; mal in einer Gruppe von fünf Leuten, mit der er durch den Bannwald gewandert ist, um im Kleinen zu demonstrieren, was im Großen passieren soll. Draußen genießen Skifahrer die letzten Wintertage am Ruhestein. Drinnen sitzt Schlund in seinem Büro, den ausgestopften Auerhahn im Rücken, und versucht einmal mehr, Emotionen mit Argumenten zu begegnen.

Wolfgang Schlund ist ein ruhiger Mann. Seit 15 Jahren wirbt er für den Natur- und Artenschutz. „Aus dieser Sicht“, sagt er, „spricht alles für einen Nationalpark“: Auf den geplanten 10.000 Hektar Nationalpark könnten sich neue Arten ansiedeln, wie schon im Bannwald, wo sich inzwischen der Urwaldpilz wohlfühlt. Außerdem könnte dieses Gebiet zum Lebensraum von Tieren wie dem Steinadler werden, der bisher auf seinen Streifzügen nur drüber fliegt.

Und last, but not least sind da noch die weltweiten Absprachen nach dem Umweltgipfel von Rio, die da sagen: Zwei Prozent der Fläche Deutschlands sollten aus Gründen der Biodiversität sich selbst überlassen bleiben. Baden-Württemberg hat als einziges Flächenland noch keinen Nationalpark. „Das wäre ein großartiges Labor, in dem man beobachten könnte, ob und wie sich die Natur regeneriert und wie sie mit der Klimaerwärmung umgeht“, sagt Schlund.

„Die Araber haben Öl, wir haben den Wald“

Naturwald sticht Kulturwald? Bäume, die nicht gefällt werden dürfen, sondern aus Altersschwäche umkippen und auf dem Boden liegen bleiben? Diese Vorstellung bringt unten im Tal einen langjährigen Waldarbeiter auf die Palme. „Was soll denn an so einem fauligen Pilz toll sein, der sich auf totem Holz breitmacht?“, poltert Fritz Frey los, kaum dass man an seinem Wohnzimmertisch Platz genommen hat. Den Blaumann hat der 77-Jährige schon übergezogen, gleich will er in den Stall, um sein Vieh zu versorgen. Aber vorher will der wortgewaltige Rentner seine Meinung zu diesem „Unsinn“ loswerden. Verschwendung von Volksvermögen sei das, ein Paradies allenfalls für den Borkenkäfer, ein Labor gar? Alles Quatsch. „Die Araber haben Öl, wir haben den Wald“, sagt Frey. Wald, das ist für ihn Rohstoff.

Mehr als ein halbes Leben hat Frey beim Forstamt gearbeitet. 46 Jahre lang hat er Wege in den Wald gesprengt, damit die Maschinen die Bäume effektiver herausziehen können. Er hat Wanderwege angelegt und besitzt noch heute bei Besenfeld ein eigenes Stück Forst. Mit dem Wald ist er groß geworden, diese Bäume vor der Haustür sind ihm Heimat, Lebensgrundlage und Familiengeschichte. Schon der Großvater hat Stämme aus dem Wald gezogen, schon als kleiner Junge hat Frey mit dem Vater das Pferdefuhrwerk voller Holz zum Säger ins Tal gefahren. Ein Wald, das hat er ein Leben lang so gehalten, muss sauber geputzt und genutzt werden. Und dann sind da noch die Touristen, die Frey in seiner Ferienwohnung im Baiersbronner Ortsteil Reichenbacher Höfe beherbergt und deren Wünsche er genau zu kennen glaubt: „Die wollen auf sauberen Wegen durch einen gepflegten Wald spazieren, die wollen keinen Urwald.“

Wem also gehört der Wald? Der Natur oder den Menschen, die ihn nutzen? Oder gar den Touristen? In Baiersbronn tobt auch ein Kulturkampf.

Zunächst einmal gehört das heftig diskutierte Gebiet dem Land Baden-Württemberg, auf dessen Flächen der Nationalpark angelegt werden soll. Niemand wird enteignet, wie es als Gerücht durch Baiersbronn schwirrte, und es wird auch kein Stacheldrahtzaun um das Kerngebiet gezogen. Emotionen sind die beste Flamme für Halbwahrheiten. Und in Baiersbronn wird der geplante Nationalpark vor der Haustür von vielen Gefühlen begleitet. Manche fürchten um den Verlust der Heimat wie Fritz Frey, andere um ihre wirtschaftliche Zukunft wie die Züfles, die ihre Sägerei in Baiersbronn schon in der vierten Generation betreiben.

Die schwierige Politik des Gehörtwerdens

Und manche kochen darauf ihr eigenes Süppchen wie Andreas Fischer, der Sprecher der Nationalparkgegner, die im Verein „Unser Nordschwarzwald“ organisiert sind. Man will dem Unternehmensberater nicht so recht abnehmen, dass es nur die Liebe zum Wald ist, die ihn antreibt. Emotionen taugen halt besser für eine Kampagne. „Ich bin ein Lobbyist der Bürger“, behauptet Andreas Fischer. „Die Grünen wollen sich nur ein Denkmal setzen“, schimpft Fritz Frey. Der grüne Landwirtschaftsminister Bonde braucht nicht auf die Schilder vor seiner Haustür zu schauen, um zu merken, wie schwierig die grüne Politik des Gehörtwerdens sein kann. Eine Informationsveranstaltung zum Nationalpark in Bad Wildbad wurde von einer Demo der Gegner begleitet. Die Postkartenaktion, in der man im Herbst vergangenen Jahres die Argumente der Bürger sammeln wollte, kam bei manchen Gegnern als Hauruck-Aktion an. Ein geplantes Gutachten wiederum dauert manchen zu lange. Und dem grünen Minister aus Mitteltal selbst wird vorgeworfen, er habe sich in seiner Heimatgemeinde nicht den Gegnern gestellt.

Dabei wollte Alexander Bonde alles richtig machen: früh diskutieren, um die Bürger mitzunehmen, bevor die Planungen fertig gestellt sind. Schließlich will man zeigen, dass man aus S 21 gelernt hat. Und so hat Bonde gleich nach der Wahl mit Sägern, Bürgermeistern, Förstern und Bürgern viele Vorgespräche geführt. Doch gesehen wird oft nur, was ins Weltbild passt: Der Minister konnte eine Veranstaltung des Baiersbronner Bürgermeisters nicht besuchen. Dass er zum geplanten Termin mitten in einer Klausur der Fraktion steckte und seinen Haushalt verteidigen musste, wurde nicht wahrgenommen. „Der hat wohl Angst, dass er hier den Ranzen voll kriegt“, sagt Fritz Frey.

Bürgerbeteiligung kann ganz schön mühsam sein. Im schwarzen Baiersbronn, das bei der Landtagswahl im März letzten Jahres zu über 50 Prozent CDU gewählt hat, werden die Grünen nun beim Wort genommen. Nicht nur das Schild der S-21-Gegner wird kopiert.

Der Flyer mit dem durchgestrichenen Nationalpark-Signet liegt auch im Büro der Züfles. „Ich sage nichts zur Stimmung im Dorf“, sagt Axel Züfle. Der Juniorchef der Baiersbronner Sägerei will nur vom Geschäft reden. Dass seine 20 Arbeitsplätze jetzt in Gefahr sind; dass er die 25.000 Festmeter Holz, die er bisher im Jahr verarbeitet, zu 60 Prozent im Gebiet des geplanten Nationalparks geschlagen werden. 30 Jahre soll es dauern, bis das vorgesehene Waldgebiet in einen Mischwald umgewandelt wird. Das genügt Züfle nicht. „Wir denken in Generationen“, sagt der 36-Jährige. Im Hintergrund hängen Bilder vom Urgroßvater und vom Großvater, davor sitzen Züfle senior und Züfle junior in ihrem Büro und wettern unisono. „Holz ist unser Lebenselixier“ – das geben die Züfles jedem schriftlich: in einer kopierten Stellungnahme zum Park.

Viele Sägereien im Schwarzwald sehen ihre Stämme davonschwimmen. Doch daran muss nicht der Nationalpark schuld sein. Die Sägeindustrie steckt in einer strukturellen Krise. Das sind die Folgen einer weltweiten Konkurrenz und neuer Maschinen, die zu einer Überkapazität geführt haben. Der Nationalpark ist bei den hausgemachten Problemen für manchen ein willkommener Sündenbock.

Nun soll es ein Gutachten richten. Zieht ein Nationalpark, der erste und einzige in Baden-Württemberg, mehr Touristen in den Schwarzwald, oder schreckt der „unordentliche Urwald“ eher ab, wie der Waldarbeiter Fritz Frey fürchtet? Welche Auswirkungen hat eine kleine, stillgelegte Fläche, die der Natur überlassen bleibt, auf die regionale Holzwirtschaft, und wie kann das kompensiert werden? Ende März wird dieses Gutachten vom Landwirtschaftsministerium vergeben, Ende des Jahres sollen die Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Sie sollen, so hofft man im Landwirtschaftsministerium, die Diskussion versachlichen.

Das wünscht sich auch Friederike Schneider. Die 21-Jährige ist nicht nur beim Freundeskreis Pro Nationalpark aktiv, sie sitzt auch für die Bürgerinitiative Umwelt Baiersbronn (BUB) im Gemeinderat und kennt die Zerrissenheit in ihrem Heimatdorf. Es gibt Dörfler, die sich nicht mehr in ihre Stammkneipe trauen, weil sie für den Nationalpark sind. Es gibt Geschäftsleute, die an den Umsatzzahlen zu spüren bekommen, dass ihre Meinung zum Baiersbronner Streitthema nicht geteilt wird. Und kürzlich im Gemeinderat hat sie wieder erlebt, wie die örtliche CDU sogar eine Haushaltsdebatte nutzte, um über die „Ökodiktatur in Stuttgart“ herzuziehen, die mit „Landesmitteln ein Waldsterben finanzieren“ wolle. „Der Wald stirbt nicht“, sagt Schneider bestimmt.

Man kann der jungen Frau nicht unterstellen, sie wisse nicht, wovon sie rede. Im Naturschutzzentrum Ruhestein hat sie ihr ökologisches Jahr absolviert, heute studiert sie Forstwirtschaft in Rottenburg. Im Mai planen die Freunde des Nationalparks eine Infoveranstaltung, um Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Aufklärung, so ihre Hoffnung, soll die Emotionen ersetzen.

In Baiersbronn soll wieder Frieden einkehren. Das erhofft sich auch Hermann Bareiss. Der Chef des gleichnamigen Feinschmeckertempels, dessen Stimme im Ort zählt, mahnt zum Innehalten: „Lasst uns das Gutachten abwarten.“ Der Mitteltaler Pfarrer sah sich gar genötigt, Versöhnungswochenenden zu organisieren.

„Mich überzeugt kein Gutachten“, sagt hingegen Fritz Frey. Und auch Andreas Fischer will seine Kampagne weiterführen: „Jeder Tag, den wir nicht unsere Argumente vorbringen, ist ein verlorener Tag“, sagt der Sprecher der Gegner.

Wem gehört der Wald also? Dem Gemeinderat von Baiersbronn? Der Politik in Stuttgart? Oder gar der Holzindustrie? Diese Fragen werden nicht nur eine kleine zerstrittene Gemeinde noch länger beschäftigen. Dies sind auch ethische Fragen, die das Verhältnis zur Natur neu definieren. Die Schilder im Schwarzwald werden wohl noch eine Weile stehen bleiben.