piwik no script img

PolitikAusmisten statt Sprüche klopfen

Wegen einer IT-Panne blieben in Baden-Württemberg 1.440 vorhandene Lehrkräftestellen unbesetzt. Ausgerechnet das Kultusministerium verbarrikadiert sich, die FDP fordert einen Untersuchungsausschuss. Es zeigt sich, dass die Landesregierung sich mit ihrer Digitalisierungsstrategie übernommen hat.

Hier wäre Platz für eine vergessene Lehrkraft: Unterrichtsraum im Ferdinand-Porsche-Gymnasium Zuffenhausen. Foto: Julian Rettig

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Allein die FDP ist auf der vergleichsweise sicheren Seite: Sie hat zwar mitregiert in Baden-Württemberg zwischen 1996 und 2011, aber nie das Kultusministerium geführt. Und so ist es kein Wunder, dass Landes- und Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss droht, um aufzudecken, wie es dazu kommen konnte, dass mutmaßlich über Jahre immer mehr Lehrkräftestellen unbesetzt blieben, obwohl sie finanziert waren.

Die gegenwärtige Debatte dreht sich um 1,5 Prozent des Personalbestands an Lehrkräften, 1.440 Stellen, so ist jedenfalls der aktuelle Stand. Mitte Juli wurde bekannt, dass die Stellen zwar finanziert, wegen einer IT-Panne aber als besetzt verbucht wurden, obwohl sie gar nicht besetzt waren. Bei 4.500 Schulen im ganzen Land hätte rein rechnerisch also jede dritte Schule im Südwesten genau eine Lehrkraft mehr gehabt.

Insgesamt aber geht es um deutlich Grundsätzlicheres, weil der über viele Jahre unentdeckt gebliebene Software-Fehler – Stand heute vermutlich seit 2005 – noch ganz andere Mängel offenbart: Es hakt bei der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Verwaltungsebenen, im Landesamt für Besoldung, nicht zuletzt im Haushaltscontrolling. In den ersten Tagen, nachdem die Panne bekannt geworden war, war nicht einmal klar, wo eigentlich das Geld ist, mit dem die Lehrkräfte hätten bezahlt werden müssen, aber nicht bezahlt worden sind, weil sie gar nicht eingesetzt waren. Inzwischen ist immerhin klar, was mit den zusätzlichen Lehrkräften, wenn sie denn mal besetzt sind, passieren soll: Der größte Teil soll an die dramatisch unterbesetzten früheren Förderschulen gehen, die heute Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) heißen.

SeitJahrenwälzenalleParteienvieleguteVorsätzeundIdeen,Baden-Württembergmehroderwenigerrundumzudigitalisieren,zumNutzenvonBürgerschaftundUnternehmen.ImKoalitionsvertragdererstenderletztendreigrüngeführtenLandesregierungen,2011mitderSPDgeschlossen,spieltdasThemanochkeinegroßeRolle.DerzweiteVertrag2016mitderCDUstrotztdagegenvoreinschlägigenVersprechen:„ImZeitalterderDigitalisierungwerdenwireinemoderneVerwaltung4.0einrichten,inderMitarbeiterundBürgergleichermaßenvondenMöglichkeitenderDigitalisierungprofitieren.“Oder:„FürdasInnovationslandBaden-WürttembergistesvonzentralerBedeutung,dieChancederDigitalisierungzunutzen.AlleBranchensollenvonderDigitalisierungprofitieren.“Oder:„WirwerdendiePotenzialederDigitalisierungdazunutzen,dieökologischeModernisierungderWirtschaftvoranzutreiben.“

Immer wieder Digitalisierungsversprechen

180-MalkamderBegriff„digital“aufden140Seitendergrün-schwarzenKoalitionsvereinbarungvon2016vor.DigitalisierungwurdeausdrücklichindenNamendesInnenministeriumsaufgenommen,dasseitdem„MinisteriumdesInneren,fürDigitalisierungundKommunen“heißt.DieZahlderunbesetztenLehrkräftestellendürftezudiesemZeitpunktnachdenaktuellenSchätzungenschonaufetwa770angewachsengewesensein.DerdamalsneueInnenministerThomasStrobl(CDU)versprach,dassBaden-Württembergzur„digitalenLeitregioninEuropa“werde,weil„nirgendwosovielInnovationskraftsteckt“.NichteinmalinderErarbeitungsphaseder2017präsentiertenerstenDigitalisierungsstrategiedesLandeskamendieVerantwortlichenaufdieIdee,allebisherigeProzesseaufihreTauglichkeitzuüberprüfen.Und2022,alsdieFortschreibungvorgelegtwurde,erstrechtnicht.

Hinweise des Rechnungshofs bewirkten nichts

DemLandesrechnungshofschwantemehrfach,dassmitBlickaufdiekomplizierteVerwaltungderLehrkräftestellenirgendwasnichtstimmenkann.RundumdieBruchlandung,die2018dielandesweiteBildungsplattform„ella“hinlegte(Kontextberichtete),wurdeaufAntragderFDPvomLandtageineumfangreicheMitteilungauchzurSoftware„AllgemeineSchulverwaltung“(ASVBW)inAuftraggegeben.DieKarlsruherBehördeformulierte2019verschiedeneEmpfehlungen,diedieKomplexitätbelegen.KonkretaufdieSpurderfehlendenStellenkamjedenfallsniemand.WieschonihreAmtvorgänger:innen,nahmauchdiedamaligeKultusministerinSusanneEisenmann(CDU)dieHinweisedesRechnungshofsnichtzumAnlasseinergrundsätzlichenAnalysederdamalsschonfast15JahreeingesetztenSoftware.NocheinHinweisdafür,wieDigitalisierungsichernichtgelingt.Heutearbeitenauf95.000Stellenrund130.000LehrkräfteinunterschiedlichstenKonstellationen:Teilzeit,Vollzeit,mitangerechnetenStundenfürbesondereAufgaben,undinihrenjeweiligenLebenssituation,krank,schwanger,inElternzeitoderPflegekarenz.WürdedieGroßaufgabegelingen,diesallesdigitalzuerfassenundzuverwalten,wärenvieleandereDigitalisierungsschritteeinesehrvielleichtereÜbung.

WeilindervergangenenWocheohnehindieVorlagederalljährlichenDenkschriftdesRechnungshofsanstand,hatsichdessenPräsidentinCorneliaRuppertnocheinmalderPersonalverwaltungimSchulbereichangenommen.MitderErklärung,eineComputerpannehabezurNicht-Besetzunggeführt,willsichdieobersteRechnungsprüferinjedenfallsnichtabfinden.SiekritisiertdiefehlendeRelationzwischendemPersonalbestandunddenPersonalkosten.AuchalsVerwaltungmüssemanaber„wieineinerBilanzwissen,wasrechtsundwaslinksindenBüchernsteht“.

DasFinanzministeriumwiederumkontertdamit,dassingroßenTeilenderVerwaltungstellenscharfbesetztwird,nichtaberbeidenpersonalintensivenRessortsPolizei,HochschuleundSchule.IndiesenFällenseiendietatsächlichenPersonalausgabendesjeweilsletztenJahresdieGrundlagefürdasBudgetdesjeweilsnächsten.DasBeispielzeigt:Geradehier,woKontrollealsobesonderswichtigist,wirdderAufwandnichtbetrieben–dieKatzebeißtsichindenSchwanz.Dabeiwäre–ganzoffensichtlich–Ausmistendringendgeboten.

AlbrechtSchütte,praktischerweiseBildungs-,Finanz-undDigitalisierungsexperteinderCDU-Landtagsfraktion,ruftnacheinemNeuanfangimControllingundversuchtesmitLogik:Weildie1.440Lehrkräftenichtbezahltwordenseien,müsseirgendeinesdervorhandenenIT-Systemewissen,„dasssienichtdawaren,wosiehättenseinsollen“.DiesemFehlerseiaufdenGrundzugehen,ebensodemUmstand,„dasswireineIT-Landschafthaben,dieeinwenigdiversistundgeradenichtreibungslosundeffizient“.

Kultusministerium: Erstmal Arbeitskreis gründen

WiedemFehlernunkonkretaufdemGrundgegangenwerdensoll,nährtbislangallerdingshöchstensverhalteneHoffnung.KurznachBekanntwerdenderIT-PannezeigtesichKultusministerinTheresaSchopper(Grüne)zwargegenüberdemSWR„schockiertundwirklicherschrocken“undkündigteeineschnelleAufarbeitungan.DochmittlerweileentstehteherderEindruck,dashauptbetroffeneMinisteriumverbarrikadieresich.VonSchoppersHauseingesetztistjetztersteinmaleineArbeitsgruppe,vertretensinddarinlautderMinisterinalleBehörden,diemitdenStellenbesetzungenzutunhaben.UnddiedarfsichbisWeihnachtenZeitlassen,umErgebnissezuerarbeiten.

NichtnurdiealteWeisheit„Wenndunichtmehrweiterweißt,danngründeeinenArbeitskreis“feiertdamitwenigfröhlicheUrständ‘.EssollauchSpitzenbeamteimMinisteriumgeben,dieZeitschinden,aufdasEndederLegislaturperiodeschielenundAngsthaben,siekönntenzumfalschenZeitpunktdasFalschesagenunddamiterstrechtdieEinsetzungeinesUntersuchungsausschussesauslösen.FDP-Landes-undFraktionschefHans-UlrichRülkewillvondieserIdeeabersoodersonichtlassen.

„DakeinAufklärungswillebeiderRegierungerkennbarist,scheintnurnocheinUntersuchungsausschusszuhelfen“,sagtderLiberaleaufKontext-Anfrage.DiekurzeZeitbiszurnächstenLandtagswahlimMärz2026dürfekeinAlibifürUntätigkeitsein,denn„beimSchlossgarten-UntersuchungsausschusswarnochwenigerZeit“.RülkebeziehtsichaufdenUntersuchungsausschuss,der2010nachdemSchwarzenDonnerstagimStuttgarterSchlossgarteneingerichtetwurde.NurknappsechsMonatewarenesdamalsvondemausdemRudergelaufenenPolizeieinsatzam30.September2010biszurnächstenLandtagswahl.Bereitsam28.OktoberkonstituiertesichderAusschussundtratbisEndeJanuar2011dreizehnmalzusammen–dasreichteschon,umerschreckendeErgebnissezuHergangundVerantwortungzutagezufördern.

WennsieselbstmehrEngagementalsbisherandenTaglegenwürden,könntenGrüneundCDURülkesPlandurchkreuzen.„Gemeinsamerfindenwirunstäglichneu“,heißtesaufdemstylischenLandesportaldigital.LÄND.Und:„AllesollenetwasvonderDigitalisierunghaben.“JetztwärekeineschlechteGelegenheit,dasKlopfensolcherSprücheeinzustellen,dieSonntagsredenvonderanspruchsvollenFehlerkulturmitLebenzufüllenundaufzuarbeiten,wasschiefläuft.DamitausdenPannennichtdochnocheinSkandalwird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen