: Bombenmaterial auf Reisen
UMWELT Cuxhaven wird Umschlagplatz für Mischoxid-Brennelemente und vielleicht auch für Atommüll. Das Plutonium darin eigne sich für den Bau von Waffen, warnen Kritiker. Erster Transport schon im Herbst
Das Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln liefert seit einem Vierteljahrhundert Strom. Das feiert der Betreiber Eon am Mittwoch.
■ Die Eigentümer: 83,3 Prozent Eon Kernkraft, 16,7 Prozent Stadtwerke Bielefeld.
■ Die Leistung: Mit 1.360 Megawatt zählt Grohnde zu den größten deutschen Atomkraftwerken.
■ Der Widerstand: Am 19. März 1977 gab es schwere Zusammenstöße zwischen 20.000 Demonstranten und der Polizei. Hunderte Menschen wurden dabei verletzt und festgenommen. RP
VON REIMAR PAUL
Umweltschützer befürchten, dass Cuxhaven zum Umschlagplatz für plutoniumhaltige MOX (Mischoxid)-Brennelemente und andere atomare Frachten wird. Die erste Fuhre könnte dort noch im Herbst umgeschlagen und zum niedersächsischen Atomkraftwerk Grohnde transportiert werden.
Greenpeace und die niedersächsischen Grünen verfügen über Informationen, dass acht MOX-Brennelemente aus der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield schon im September via Cuxhaven nach Grohnde transportiert werden sollen. Ein genaues Datum stehe aber noch nicht fest. Eine Sprecherin des Grohnde-Betreibers Eon Kernkraft bestätigte am Dienstag, der Transport sei für den Herbst geplant, aber noch nicht terminiert.
Anders als herkömmliche AKW-Brennelemente, die ausschließlich aus Uranoxid bestehen, ist den MOX-Elementen ein weiteres Oxid beigemengt – in der Regel Plutonium, das bei der Wiederaufarbeitung anfällt. Das Göttinger Anti-Atom-Plenum warnt, die Mischoxid-Brennelemente seien deshalb „besonders brisant“. Aus dem hohen Plutonium-Anteil von bis zu fünf Prozent könne mit wenig Aufwand atomwaffenfähiges Material gewonnen werden. Sollte nur einer dieser Brennstäbe in die falschen Hände geraten und labortechnisch aufbereitet werden, stünde genug Plutonium für mehrere Atombomben zur Verfügung, warnte Greenpeace.
Cuxhaven scheint trefflich als Umschlagplatz geeignet. Mit seinen vier bis zu 16 Metern tiefen und tideunabhängigen Liegeplätzen ohne Schleusung bietet der Hafen an der Elbmündung gute Voraussetzungen für eine zügige Entladung. Zudem ist die Kaianlage direkt an das Schienennetz angeschlossen; es gibt eine direkte Verbindung zu einem der größten europäischen Rangierbahnhöfe in Maschen südlich von Hamburg.
Nach Angaben der britischen Anti-Atom-Organisation CORE regelt der so genannte Grohnde-Vertrag die Herstellung von insgesamt 64 MOX-Brennelementen und deren Lieferung an das niedersächsische AKW. Weitere 44 MOX-Elemente seien in Sellafield für das AKW Brokdorf an der Unterelbe bestellt worden. Die Grünen im niedersächsischen Landtag befürchten, dass später auch für die Endlagerung in Deutschland vorgesehener Atommüll aus Sellafield in Cuxhaven angelandet werden könnte.
Aus Sicht der Partei ist ein Atomumschlag im Cuxhavener Hafen unvereinbar mit den touristischen Interessen der Stadt. Der Transport könne außerdem dem Ansehen des jüngst von der Unesco als Weltnaturerbe anerkannten Wattenmeers schaden.
Polizei und Feuerwehr in Cuxhaven haben schon vor geraumer Zeit damit begonnen, sich auf die Ankunft der Transporte vorzubereiten. Sie begleiteten Mitarbeiter des Hafenbetreibers Cuxport, die am 16. Juli am Cuxhavener Europakai das Be- und Entladen des britischen Frachters Atlantic Osprey übten. Das Schiff wurde schon öfter für Atomtransporte eingesetzt. Eigens für die Übung war es vom britischen Hafen Workington in der Nähe der Wiederaufarbeitungsfabrik Sellafield nach Cuxhaven gekommen.
Auch in Grohnde im Kreis Hameln-Pyrmont, dem Ziel der giftigen Fracht, bereitet sich die Polizei auf Demonstrationen vor. Einstweilen gilt das jedoch dem Festakt zum 25-jährigen Jubiläum des Atomkraftwerkes am Mittwoch. Mit gewalttätigen Protesten werde allerdings nicht gerechnet, sagte ein Sprecher am Dienstag.
Die Umweltschutzorganisation BUND sprach angesichts von „mindestens 210 Pannen“ seit August 1984 von einem „zweifelhaften Jubiläum“. Je älter ein Reaktor werde, desto mehr steige das Störfall-Risiko, sagte Vorstandsmitglied Renate Backhaus. Die Linken im Landtag forderten Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) deshalb auf, dem Festakt fernzubleiben. Dem Umweltministerium in Hannover zufolge waren die Zwischenfälle bis auf eine Ausnahme aber nicht sicherheitsrelevant.