: Verblutet auf dem Mauerstreifen
KURZBIOGRAFIEN Sie wagten die Flucht durch den schwer bewachten Grenzstreifen nach Westberlin – und kamen dabei um. Drei Schicksale
Dorit Schmiel wird 1941 in Berlin geboren, sie wächst im Bezirk Pankow auf. Zum Zeitpunkt des Mauerbaus arbeitet sie als Schneiderin in einem VEB und wohnt bei ihrem Verlobten Detlef T. Für das Paar und drei enge Freunde wird die Situation durch die Abriegelung unerträglich, sie stören sich an den ideologischen Vorgaben. Zu fünft entschließen sie sich, in der Nacht zum 19. Februar 1962 nach Westberlin zu fliehen.
Kurz nach Mitternacht schneiden die jungen Leute mit einer Drahtschere ein Loch in den ersten Zaun der Sperranlage an der Grenze zwischen dem Pankower Ortsteil Rosenthal und dem Bezirk Reinickendorf. Dann robben sie durch den Schneematsch, erreichen beinahe die letzten beiden Zaunreihen, als drei Grenzer ohne Vorwarnung das Feuer eröffnen. Dorit Schmiel erleidet einen Bauchdurchschuss. Die jungen Leute werden aufgefordert, sich zu erheben. Schmiel kann nicht, sie blutet stark und weint vor Schmerzen. Am Ende habe man sie „wie ein Stück Vieh“ an Armen und Beinen gepackt und weggetragen, erinnert sich Detlef T. Sie wird ins Volkskrankenhaus Berlin-Mitte gebracht und erliegt dort wenig später ihren Verletzungen.
Peter Fechter wird 1944 in Berlin geboren und wächst im Bezirk Weißensee auf. Vor der Gesellenprüfung zum Maurer lernt er Helmut K. kennen. Am 17. August 1962, wenige Tage nach dem Mauerbau, entschließen sich die jungen Männer kurzerhand zur Flucht. Doch während Helmut K. die Grenzsperren in der Zimmerstraße überwindet, bricht Fechter im Kugelhagel zusammen. Die Bilder des sterbenden Flüchtlings gehen um die Welt.
Cengaver Katranci wird 1964 geboren. Der türkische Junge lebt mit seiner Mutter und drei Geschwistern in Kreuzberg. Am 30. Oktober 1972 spielt der Achtjährige mit einem Freund auf der Böschung der Spree am Kreuzberger Gröbenufer. Cengaver verliert das Gleichgewicht und stürzt ins kalte Wasser, das hier schon zur DDR gehört. Als die Westberliner Polizei eintrifft, ziehen sich die Verhandlungen zur Rettung des Jungen mit den Grenztruppen auf der 100 Meter entfernten Oberbaumbrücke hin. Taucher warten vergeblich auf die Erlaubnis, ins Wasser springen zu dürfen.
Eineinhalb Stunden nach dem Unglück trifft ein Ostberliner Rettungsboot ein. Ein Taucher birgt die Leiche des Kindes, schwimmt aber nicht zum Westufer, sondern zurück zum Rettungsboot – sein Verhalten hätte als Fluchtversuch gewertet werden können. Bis zuletzt darf die Westberliner Feuerwehr nicht eingreifen. Am Abend erhält die Mutter die Erlaubnis, in Ostberlin die Leiche in der Charié zu identifizieren. ALEXANDRA GDANIETZ
Fotos: aus dem besprochenen Band