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Archiv-Artikel

Keine Zeit zum Nachtreten

Das 34. Moers Festival ist das letzte unter der Leitung von Burkhard Hennen. Ein Nachfolger steht bereits fest. Das Programm verzichtet auf eine Retrospektive der vergangenen Jahre

VON HOLGER PAULER

Moers war immer schon anders. In diesem Jahr besonders. Das „34. Internationale New Jazz Festival Moers“, wird das letzte seiner Art sein. Der Grund: Festivalmacher Burkhard Hennen schmeißt die Brocken hin. Nach 33 Jahren musikalischer und politischer Konfrontation ist für ihn Schluss. Nachfolger wird der Chef des Kölner Stadtgartens, Reiner Michalke. Der Stadtgarten war über viele Jahre einer der angesagtesten Veranstaltungsräume für Jazzkonzerte in NRW. Auch der vor drei Jahren im Streit ausgestiegene WDR will wieder mitarbeiten. Dennoch wird es das Moers Festival schwer haben. Burkhard Hennen hat längst Pläne für ein eigenes Festival. Ohne Moers. Einzelheiten gibt er nach Pfingsten bekannt.

Das aktuelle Programm hätte eine Art Retrospektive werden können. Doch von Nostalgie keine Spur. Von den Stammgästen blieben nur wenige übrig: Der französische Ausnahme-Klarinettist Louis Sclavis wird mit seiner Band Big Napoli Walls auftreten, Jamaladeen Tacuma, ehemals Mitglied in Ornette Colemans Prime Time, hat sein Bass-Quartett Basso Nouveau ebenso reformiert wie Saxofonist Odean Pope sein Trio um Gerald Veasley und Cornell Rochester – extra für das Festival. Außerdem dabei: David Thomas & Pere Ubu, Colin Towns Mask Orchestra oder die siebte Auflage des Loft Exil-Projektes – freie Improvisation am frühen Morgen.

Ein Höhepunkt dürfte der Auftritt von „The Ex Party Convoy“ sein. Die niederländische Punkband Ex ist seit den frühen 90ern Stammgast auf den Moerser Bühnen – ob mit dem verstorbenen Cellisten Tom Cora, dem ICP Orchestra oder der dadaistischen Power-Bigband Ex Orkest. Am Samstag Abend treten Ex mit zahlreichen Freunden auf: Punk, Jazz, Tanz. Als persönliches Bonbon gönnt sich Burkhard Hennen sich noch einmal das Shibuza Shirazu Orchestra. Vor sieben Jahren entdeckte er das 40 Mann- und Frau-starke japanische Mammutprojekt für sich, für Moers, für Europa. Das vierte Gastspiel im Zirkuszelt ist der vorerst letzte Auftritt in Europa.

Warum kommt ausgerechnet jetzt die Trennung, wo Hennen doch in den letzten 15 Jahren regelmäßig mit Rücktritt gedroht hat, um hinterher doch wieder einen Rückzieher zu machen? Das Festival sei in den letzten Jahren zu sehr zu einem Event verkommen, sagt Hennen und an die Event-Kultur glaube er nicht. Bis Pfingstmontag aber werde er sich wie immer um den reibungslosen Ablauf des Festivals kümmern. „Ich werde mir während des Festivals aber mehr Zeit nehmen, die Konzerte zu genießen“, sagt Hennen.

Wie es mit dem Festival weiter geht, ist noch offen. Gestern Abend fand eine Pressekonferenz mit dem neuen Leiter statt – ohne Hennen. Nachtreten will er trotzdem nicht: „Ich bin den Moerser Bürgern dankbar, dass sie das Festival 34 Jahre zugelassen haben.“

Das Festival hätte ohne den permanenten Wandel wohl nicht überlebt: In den Anfangsjahren stand noch der FreeJazz und die frei improvisierte Musik im Mittelpunkt. Im Fokus die europäische Szene: Peter Brötzmann, Peter Kowald, Han Bennink oder Evan Parker. Die Konzerte im Schlosshof fanden vor knapp 1.000 Zuhörern statt. Doch das Festival wuchs. Der Spielort wurde über den Freizeitpark, die Eishalle in das größte Zirkuszelt Europas verlegt. Auch die programmatischen Schwerpunkte verlagerten sich: Die New-Yorker Downtown-Szene um John Zorn, David Moss oder Fred Frith in den 80ern, HipHop und Weltmusik in den 90ern, Elektronik im neuen Jahrtausend.

Früher schliefen vor allem die Hardcore-Jazzfans im Schlosspark. Im Zelt, im VW-Bus oder unter freiem Himmel. Diejenigen, die nach all den Jahren immer noch nach Moers kommen, um die Musik zu hören, übernachten mittlerweile lieber im Hotel. Darüber entstand eine Parallelgesellschaft. 25.000 verkaufte Karten auf der einen Seite, mehr als doppelt so viele Camper im Freizeitpark – viele ohne Karte und ohne Interesse am Jazz. Aus den Ghettoblastern dröhnt Punk, Soundsystems sorgen für schlaflose Nächte – unterstützt von Gras & Co. In unzähligen Ständen wird Ethnojunk vom Feinsten angeboten: Energiebällchen, Hippie-Chic und Trommeln für Jedermann.

Die Wiederherstellung des Grüns im Park kostet die Verwaltung mehrere Wochen und dem durchschnittlichen Moerser Spießbürger etliche Nerven. Ob sich die Stadt das bunte Treiben daher auch in Zukunft antun wird, ist unsicher. In diesem Jahr soll jedenfalls erstmals Geld für das Pinkeln im Park genommen werden. Das Event hat die Community schon längst abgelöst.

Moers Festival, 13. - 16. MaiFreizeitpark Moerswww.jazzmexx.com