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Archiv-Artikel

„Es wäre mehr drin gewesen“

Siegfried Schmitz, Betriebsratsvorsitzender aus Gelsenkirchen, über die Einigung im Tarifstreit der Stahlindustrie. „Die Gewerkschaft hätte mehr fordern können“

RUHR taz ■ Gestern Morgen einigten sich die Tarifparteien nach achtstündigen Verhandlungen auf 3,5 Prozent mehr Einkommen für die 85.000 Beschäftigten der Branche in NRW, Bremen und Niedersachsen. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 500 Euro, die Auszubildenden sollen 100 Euro erhalten. IG-Metall-Chef Jürgen Peters freute sich über ein „überdurchschnittlich gutes Ergebnis“. Für den Arbeitgeberverband Stahl ist es ein zu hoher Abschluss: “Zugestimmt haben wir wegen der von der IG Metall eingeleiteten Eskalation des Tarifkonflikts“. Vor der Einigung hatte der IG Metall-Vorstand die Urabstimmung beschlossen – am Freitag wäre über den ersten Tarifstreik in der Stahlindustrie seit 26 Jahren abgestimmt worden. Die taz sprach mit dem Betriebsratsvorsitzenden von TKES Gelsenkirchen, Siegfried Schmitz.

taz: Herr Schmitz, sind Sie zufrieden mit dem Abschluss?

Siegfried Schmitz: Es ist kein Abschluss, sondern ein Angebot an die große Tarifkommission der IG Metall.

Ein gutes Angebot?

Es war mehr drin. Die Eingangsforderung der Arbeitnehmer hätte höher sein müssen: 6,5 Prozent mehr Lohn war zu wenig. Und für die beschlossenen Sonderzahlung kann man sich ein Moped kaufen, dann ist das Geld weg!

Wie hoch hätte die Forderung sein müssen?

Mindestens acht Prozent. Dann wäre endlich Geld rüber gekommen. Die Arbeitgeber wollten unbedingt einen Arbeitskampf vermeiden. Und sie schwimmen im Geld: Zur Zeit müssen die Vorstände die Planzahlen monatlich nach oben anpassen.

Wird die große Tarifkommission dem Kompromiss zustimmen?

Ich bin kein Hellseher, aber ich gehe davon aus. Von 6,5 Prozent aus betrachtet, sind die umgerechneten 4,5 Prozent mehr Lohn ja auch ein annehmbares Ergebnis. Aber ich bleibe dabei: Das war ein strategisch zögerliches Verhalten. Wann sollen wir etwas fordern, wenn nicht jetzt, da die Kugel richtig brennt!

Droht bei zu hohen Abschlüssen aber nicht ein Ende der Flächentarife?

Flächentarifverträge zu unterlaufen, das gab es doch schon immer. Es gibt auch bei den Arbeitgebern viele, die das gar nicht wollen. Der Flächentarif sorgt dafür, dass die Wettbewerbsbedingungen beim Lohn gleich sind. Aber es wird derzeit zuviel auf den Prüfstand gestellt.

Passen Flächentarifverträge zur Debatte um die nationalen Arbeitskosten?

Politisch gesehen wäre ein höherer Abschluss wichtig gewesen. Deutschland ist Exportweltmeister – da können wir doch nicht zu teuer sein? Jetzt wäre eine Politik wichtig, die die Kaufkraft stärkt. Aber wenn die Tarifpolitik nichts rüber schmeißt, dann tut sich nichts. Es wäre zu wünschen, das wieder einmal Gas gegeben wird, und nicht gesagt: Ihr seid hier alle Luschen. Die ersten Firmen kommen doch schon wieder zurück von ihren Auslandsexperimenten. Globalisierung – vor zwanzig Jahren nannte man das Ausbeutung.

INTERVIEW:CHRISTOPH SCHURIAN