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Archiv-Artikel

Der Letzte macht das Licht aus

Von Taucheranzügen bis zum Zeppelin: Alles, was aus Kautschuk produziert werden kann, produzierten die Clouth-Werke in Köln-Nippes. Ende des Jahres wird damit nach 140 Jahren endgültig Schluss sein. Den Beschäftigten bleibt nur ein Sozialplan

VON JÜRGEN SCHÖN

Zeppeline wurden hier gebaut, Seekabel, Fesselballons, Taucheranzüge, Spielzeug, Luftschläuche, Schürzen, Handschuhe, Walzen für die Stahl- und Druckindustrie produziert. Alles was man aus Kautschuk machen kann. Das „Kölner Ei“ wurde hier erfunden: ein Gummipuffer, um Gleisschwingungen zu verringern. Die Fotos und Schrifttafeln im Treppenhaus von ContiTech, vormals Clouth, erzählen von einer beeindruckenden, über 140-jährigen Firmengeschichte im Kölner Norden. Doch damit ist es Ende dieses Jahres vorbei. Dann wird der letzte Produktionszweig dichtgemacht. Endgültig.

Geblieben ist bislang noch die Produktion von „Transportbandsystemen“, von oft mehreren Metern breiten Förderbändern insbesondere für den Bergbau. Im langen Flachbau, der an den Nippeser Johannes-Giesberts-Park grenzt, riecht es nach Gummi. Derzeit arbeiten hier 130 Menschen in Produktion und Verwaltung. Außen bestimmen drei hohe Silos das Bild. Aus dem Kesselhaus steigt Dampf in den Himmel. Von hier kommt das heiße Wasser für die Produktion.

Im engen Pausenraum ist die Stimmung gedrückt. Vor sieben Jahren, als Continental die Fabrik übernahm, begann die schrittweise Schließung einzelner Abteilungen, wurden Arbeitskräfte „freigesetzt“. Man gewöhnte sich daran. Die Lust auf Widerstand ist schon lange erloschen.

Auch die Öffenlichkeit nimmt das Schicksal der letzten Clouth-Mohikaner nicht mehr wahr, die sich bald bei der Arbeitsagentur werden melden müssen. „Das haben die Manager geschickt gemacht“, meint ein Gummifacharbeiter sarkastisch und denkt mit ein bisschen Neid an die Reaktionen auf die Schließung des Musiksenders Viva. Da waren Presse und Politiker wenigstens aufgeschreckt, auch wenn es den Umzug nach Berlin nicht verhindert hat. „Uns hat man vergessen“, sagt er bitter und zieht an seiner Zigarette.

1866 hatte Franz Clouth hier seine Rheinische Gummiwarenfabrik errichtet. Es entwickelte sich eine enge Symbiose zwischen Nippes und dem Werk. Das Geschäft lief gut. Dank Rüstungsaufträgen auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Die ausgestellte Firmenchronik verschweigt den Einsatz von Zwangsarbeitern ebenso wenig wie einen stolzen Direktor an der Seite von Leni Riefenstahl. Nach 1945 eine glückliche Firmenfamilie mit einer stolzen Betriebsfußballmannschaft. In den 70er Jahren waren hier noch weit über 2.000 Menschen beschäftigt.

Die Nachfrage nach Förderbändern ist groß, weltweit gibt es nur wenige Produzenten. Doch seit sieben Jahren hat es hier keine Neueinstellungen mehr gegeben. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 48 Jahren. „Wer will uns denn noch?“, sieht ein Gummiwalzenmechaniker für seine Zukunft schwarz. 55 Jahre ist er alt, seit 35 Jahren arbeitet er „beim Clouth“. „Ich kann die Resignation verstehen“, sagt Betriebsrätin Petra Müller. Wie es auch für sie im nächsten Jahr weiter gehen soll, weiß sie nicht.

Mario Töpfer, Pressesprecher in der Hannoveraner Konzernzentrale der Continental AG, will „zu den Betriebsergebnissen einzelner Werke“ keine Stellung nehmen. Die gute Gesamtbilanz für das Vorjahr aber bestätigt er. Danach stieg das Konzernergebnis nach Steuern um 115 Prozent auf 673,8 Millionen Euro. Und für die Division ContiTech, zu der auch Köln gehört, hieß es Anfang April: „Alle Geschäftsbereiche konnten ihren Umsatz erhöhen.“ Der Aktienkurs stieg im Vorjahr um 55 Prozent, je Stückaktie soll es eine Dividende von 80 Cent geben.

„Wir müssen unser Geschäft umstrukturieren. Da kam auch der Standort Köln auf den Prüfstand“, erklärt Töpfer die Schließung in Köln. Man verhandele aber über einen Sozialplan. Das gilt auch für die kürzlich übernommene Hamburger Phönix AG. Hier sollen 850 Menschen entlassen werden. Die Produktionsstätten in Niedriglohnländern werden ausgebaut, kündigte Conti an.

Mit der Schließung von Clouth endet ein Kapitel Kölns als Industriestandort. Künftig wird daran nur noch die unter Denkmalschutz gestellte Fabrikfront mit Pförtnerhäuschen an der Niehler Straße an die Gummifabrik erinnern. Und eine kleine Werkssiedlung an der Florastraße, 1950 erbaut. Damals war dem Firmenchef das Wohl seiner Mitarbeiter noch etwas wert. Wenn Clouth schließt, kann die Stadt auf dem Gelände, das sie vor einigen Jahren gekauft hat, endlich ihre neue Wohnsiedlung bauen.