wortwechsel: Keine Arche Noah in Sicht – Zweibeiner sind ratlos
Optimismus reduziert sich „in dieser neuen Welt“ oft auf hoffnungsfroh klingende Sprüche. Ist Pessimismus nur eine klare Einsicht in unleugbare Fakten? Ein Leben – ohne Hoffnung?

„Kollektiv gegen Dystopien: Keine Zeit für Pessimismus. Untergangsszenarien eignen sich nicht, dem zunehmenden Autoritarismus zu begegnen. Das Autor:innenkollektiv ,The Possibilist‘ hat positive Thesen“
taz vom 3. 7. 25
„Fortschrittsgedanken?“
Liebes Autor:innen-Kollektiv, liebe Possibilisten, ich habe euren Beitrag mit wohlwollendem Interesse wahrgenommen. Allerdings kann ich dem Text keine positiven Thesen entnehmen, die nicht schon verbrannt wären. Ihr schlagt folgende positive Thesen vor: Bürger- und Zukunftsräte, demokratischer Föderalismus, geeintes Europa – alles Dinge, die in der Realität zuverlässig gescheitert sind. Wozu Bürgerräte, wenn beispielsweise in Berlin ein Volksentscheid für die Sozialisierung von Wohnraum geschmeidig ignoriert wird? Wozu Föderalismus, wenn der real existierende nur einen Flickenteppich an Regelungen fabriziert hat, der für Verwirrung und Frust sorgt? Wozu ein geeintes Europa, wenn dabei Leute in gegenseitiger Blockade zusammengepfercht werden? Insgesamt klingt euer Text für mich wie ein „Aber trotzdem!“. Wo ist der Fortschrittsgedanke?
Zum Beispiel das Leben ohne Existenzangst? Oder die Freiheit von Mobbing, und ähnlichen barbarischen Formen sozialer Konkurrenz? Oder die Freiheit vom endlosen Druck der Selbstoptimierung? Ich sehe eine Leerstelle, die ihr mit „Pandora“-Geschichtchen füllt. Traut ihr euch nicht heran an das Thema der Konkurrenz, die unsere Gesellschaft vergiftet? Stärke durch gegenseitige Unterstützung, Solidarität, Kooperation – das sind fortschrittliche Versprechen und für die gibt es durchaus einen emotionalen Resonanzraum in der Bevölkerung; auch in der Arbeiterklasse, die uns Linken von der Fahne gegangen ist.
Florian Suittenpointner, Köln
Online Kommentare: Vorschläge im taz Forum
Guter Gedanke! Aber nur für ein konkretes Ziel kann man sich auch mit aller Kraft einsetzen. Das linke Spektrum der Gesellschaft hat es sich im ewigen Kommentieren und Alles-falsch-Finden allzu bequem gemacht. Das ist nicht einmal wirklich links. Aber das heißt natürlich nicht, nun schöne hoffnungsvolle Phrasen zu dreschen, sondern es bedeutet, echte Arbeit: an konkreten Zielen und Schritten.
Brauchen wir nicht einen richtigen Zukunftskongress, der bereits Durchdachtes bündelt und noch Ausstehendes anpackt? Da wäre ich gerne dabei!
Das „Alles-falsch-Finden“ ist doch eher eine Kernkompetenz der extremen Rechten, flankiert von CDU/CSU und marktschreierisch durch die Bild-Zeitung verbreitet.
BerufsoptimistInnen beschwören hier eine „alte“ Idee von Europa, das es so nie gegeben hat. Statt konkreter Vorschläge für Aktionen versammelt das Kollektiv eine Litanei der gebrochenen Versprechen (demokratische Teilhabe, soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität), ohne sich auch nur in einem Satz damit auseinanderzusetzen, warum und an wem die Utopien gescheitert sind.
Das Kollektiv tut auch noch so, als seien Neofaschisten Verursacher der neueren Fehlentwicklungen und nicht nur Symptom eines grundsätzlichen Irrtums. Hilfreicher wäre, sich an die eigene liberal bis libertär gesinnte Nase zu fassen: Wer den Wettbewerbscharakter des Liberalismus verkennt und stattdessen nur von „rosigen“ Freiheiten träumt, hat keine Utopie gegen den Pessimismus, er arbeitet daran, die Dystopie des Sozialdarwinismus voranzutreiben.
Kollektiv gegen Dystopien, keine Zeit für Pessimismus – Operation gelungen, Patient tot?
Wer so daherkommt, dem rinnt der Pessimismus aus den eigenen Knochen, weil er, die Weltformelstrategie des Überlebens im Gepäck, große Worte wie Keulen schwingt – auf Reisen zu seiner Arche Noah. Willy Brandt würde sagen: Man hat sich bemüht.
Andererseits passt dieser Appell wie die Faust aufs Auge zu den Posen und Verlautbarungen der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – egal um was es geht, es wird immer besser, obgleich jeder in der Mehrheitsgesellschaft der EU drastisch spürt, es wird immer schlechter im Spannungsfeld der EU-Länder untereinander und einem Europaparlament im Krieg …
Das System, in dem wir leben, ist schwer krank … Die Mehrheit will nicht zum Klimaschutz beitragen, selbst wenn sie auf Klimademos geht. Das Ausleben der individuellen Freiheit ist immer wichtiger als eine solidarische Zurückhaltung.
Erst wenn man einsieht, dass es so nicht weitergehen kann und vielfältige Kollapse passieren werden, öffnet sich ein solidarischer Spielraum, in dem man handeln kann, in dem man sich solidarisch auf kommende unheilvolle Einschränkungen vorbereiten kann. Das ist eine hoffnungsvolle Einstellung und keineswegs pessimistisch.
Die Linke war schon immer erfolgreicher mit zukunftsgewandter Programmatik. Diese Lust an apokalyptischen Weltuntergangsszenarien, Kinderkreuzzüge inklusive, erinnerte in den letzten Jahren ja schon beinahe an die katholische Kirche.
Die überwältigende Mehrheit in unserer Gesellschaft ist froh, wenn sie mit ihrem Alltag und Einkommen halbwegs vernünftig über die Runden kommt. Die Angst vor Veränderungen und Ängste vor sozialem Abstieg dominieren das Denken und sie werden durch die fortdauernde Konditionierung auf ökonomische Wachstumszwänge befördert.
Nicht Orwell mit seinem Roman „1984“, sondern Huxley mit seinem Roman „Schöne neue Welt“ hatte recht, als er deutlich machte, dass nicht das, was uns verhasst ist, uns zugrunde richten wird, sondern das, was wir lieben – als hätte er die Bannons, Musks, Thiels, Zuckerbergs, Bezos schon erahnt.
Ohne ein individuelles Existenzmaximum wird sich der Machtzuwachs dieser Minderheit nicht eindämmen lassen.
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