Mit einem Koffer nach Kabul

Innenbehörde will entgegen der Ankündigung ihres Senators jungen Afghanen abschieben, der bereits seit neun Jahren in Hamburg lebt und studiert. GAL-Abgeordnete Möller warnt nach Afghanistan-Reise: Für Abschiebungen ist es zu früh

Von Elke Spanner

Innensenator Udo Nagel hat sein Wort gebrochen. Mit der Ankündigung seiner Abschiebung, die der 25-jährige Bashir Ahmed Bashiri gestern erhielt, ist deutlich geworden, dass Nagel die ohnehin umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan keineswegs behutsam starten wird. Stets hatte Nagel beteuert, dass zunächst nur allein stehende Männer ausgeflogen würden, die erst maximal sechs Jahre in Hamburg leben. Bashiri aber ist bereits seit neun Jahren in der Stadt, hat hier das Abitur gemacht und steckt mitten im Studium an der Technischen Hochschule Harburg. „Am 23. Mai werde ich abgeschoben“, berichtet er: „Ich weiß nicht, wie ich in Afghanistan leben soll.“

Dass die Ankunft der Zwangsrückkehrer in Afghanistan keinesfalls vorbereitet ist, bestätigt die GAL-Abgeordnete Antje Möller, die sich eine Woche lang in dem zentralasiatischen Land aufhielt. Mit ganz anderen Eindrücken kam sie zurück als der Innensenator zwei Wochen zuvor. Nagel hatte behauptet, die Sicherheitslage sei stabil, die Rückkehr mit vor Ort ansässigen Organisationen abgesprochen und von diesen gar erwünscht – schließlich würden in Afghanistan viele helfende Hände für den Wiederaufbau gebraucht. Möller bestätigt, dass der Aufbau im ehemaligen Kriegsgebiet vorangetrieben werden muss. Benötigt würden aber nur Fachkräfte wie Ingenieure oder Kaufleute.

Die Arbeitslosigkeit liege bei über 90 Prozent, in den Reintegrationsprogrammen internationaler Organisationen fände nur ein Bruchteil der Rückkehrer einen Platz. „Wer nur mit einem Koffer und 50 Euro in der Tasche kommt“, warnt die GAL-Abgeordnete, „kann sich dort keine Zukunft aufbauen.“

Auch dass die Sicherheitslage stabil sei, kann Möller nicht bestätigten. Die GAL-Abgeordnete und ihre ReisepartnerInnen, Pastorin Fanny Dethloff und Rafiq Shirdel vom Netzwerk „Afghanistan Info“, waren ständig mit Leibwächtern unterwegs. Sie selbst hatte Glück, einem Bombenattentat zu entgehen, das in der Nähe eines von ihr genutzten Internetcafés in Kabul begangen wurde. Zudem habe es allein in dieser einen Woche zwei Versuche gegeben, Mitarbeiter internationaler Organisationen zu entführen. Und ehe Möller am Mittwoch abreiste, bekam sie noch mit, dass östlich von Kabul Kämpfe aufgeflammt sind.

Deutlich ist Möller geworden, dass das einzige soziale Netz in Afghanistan die Familie ist. Ihre Delegation war selbst privat untergebracht, zunächst in einem kleinen Dorf in einer Region im Norden des Landes, später in der Hauptstadt Kabul. Die Rückkehrer müssten zumindest in ihr Herkunftsdorf reisen können, mahnt sie, in Kabul sei verloren, wer dort keine Familie habe.

So wie Bashiri: Sein Vater ist tot, zu seiner Mutter hat er keinen Kontakt, seit sie ihm 1996 die Flucht nach Deutschland ermöglichte. Nach Afghanistan geschickt zu werden sei für ihn so, „als würde man mir sagen: Geh in die Wüste und lebe dort.“