: Das Hungerland am Roten Meer
In Eritrea ist die Lebensmittelknappheit sogar dramatischer als in Nordkorea: Zwei Drittel der vier Millionen Einwohner hungern. Nach Jahrzehnten des Krieges herrscht heute eine rigide Diktatur, während die Menschen immer mehr verarmen
AUS ASMARA ILONA EVELEENS
„Zwanzig Jahre habe ich für unsere Unabhängigkeit gestritten. Aber jetzt habe ich Angst zu sprechen“, flüstert der Mann in Eritreas Hauptstadt Asmara. Er ist ein einstiger Guerillakämpfer, und sein einstiger Führer Issayas Afeworki ist Präsident. Aber heute wächst die Unterdrückung jeden Tag.
Wahlen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, kritische Parteigenossen, Minister, Journalisten und selbst Freunde des Präsidenten verschwanden im Gefängnis. Bis heute sitzen manche in Isolationshaft. Eiserne Disziplin beherrscht den Alltag. Verkehrsregeln werden strikt eingehalten. Kein Abfall landet auf den Straßen. Diebstahl ist ein Fremdwort. Eine freie Presse gibt es nicht. Nur noch Staatsbetriebe dürfen Waren aus dem Ausland einführen, denn nur sie dürfen US-Dollar kaufen. Die Regierung plant eine rigide Preisbindung für die gesamte Wirtschaft. Um auszureisen, benötigen Eritreer eine staatliche Genehmigung.
Eritrea, eine ehemalige italienische Kolonie, wurde 1952 von der UNO an Äthiopien gegeben, als Teil einer Föderation. Zehn Jahre später annektierte der äthiopische Kaiser das Land; ein 30-jähriger Unabhängigkeitskrieg begann. 1991 siegten die eritreischen Rebellen, 1993 stimmte Eritreas Bevölkerung für Unabhängigkeit. Aber schon 1998 gab es wieder Krieg mit Äthiopien – ein zweijähriger Grenzkrieg um ein paar staubige Wüstengebiete, der 80.000 Tote forderte. Nun überwachen 3.000 UN-Blauhelme die gemeinsame Grenze, deren Verlauf eine internationale Kommission neu definierte. Weil Äthiopien dieses Urteil nicht komplett akzeptiert, bleibt die Lage angespannt, und mit dem Verweis darauf rechtfertigt Afeworki sein autoritäres Regime.
„Wir wollen nicht wieder Krieg“, sagt Yemana Gebre’ab, Ideologe der Regierungspartei und nach Afeworki der mächtigste Mann in Eritrea. „Aber wir haben das Recht dazu, weil Äthiopien eritreisches Gebiet besetzt hält.“ Äthiopien will Neuverhandlungen mit Eritrea, aber Eritrea weigert sich. „Die Grenzkommission hat uns schließlich Recht gegeben“, sagt Gebre’ab.
Währenddessen verschärft sich in Eritrea die soziale Lage. Immer mehr Bettler erscheinen im Zentrum von Asmara: Ein junges Mädchen mit Baby, ein Kriegsveteran ohne Beine, ein verwirrter junger Mann. Leise flehen sie um Almosen und strecken ihre Hand aus. Bettler waren früher in Eritrea unbekannt, anders als überall sonst in Afrika.
„Für uns ist es eine Schande, die Hand aufzuhalten“, sagt Berhane Woldemichael von der lokalen Hilfsorganisation Haben. „Wir haben im Krieg gelernt, alles miteinander zu teilen. Bettler in den Straßen bedeuten, dass die Lage schlimm ist.“
Zwei Drittel der vier Millionen Einwohner, schätzen UN-Hilfsorganisationen, sind vom Hunger bedroht. Seit 2000 fällt nur noch selten Regen in Eritrea. Der Grundwasserspiegel ist um mehrere Meter gesunken, die Wüste dehnt sich aus. „Selbst in Nordkorea sind nicht so viele Menschen anteilig an der Bevölkerung von Nahrungsmittelhilfe abhängig“, bemerkt Christian Balslev-Olesen von Unicef. „Besonders Kinder und schwangere Frauen.“ Das liegt nicht nur an der Dürre. Es gibt auch zu wenige zivile Arbeitskräfte. Der Grenzkrieg gegen Äthiopien tötete 18.000 eritreische Soldaten. Nur wenige Soldaten wurden demobilisiert. Es herrscht allgemeine Wehrpflicht.
58 Prozent der Bevölkerung sind Kinder, aber weniger als die Hälfte davon geht in die Schule. Stattdessen werden Kinder als Arbeitskräfte eingesetzt. 40 Prozent der Familien bestehen aus einer allein erziehenden Mutter und ihren Kindern. Die Mütter sind Witwen, oder ihre Männer dienen in der Armee, für 20 Euro im Monat. Auf dem Land machen dann die Kinder die Arbeit des Vaters. Wer zur Schule geht, muss ein Jahr Militärdienst leisten, um das Abitur machen zu dürfen – ein weiterer Anreiz dafür, die Schule früh zu verlassen. Das Ergebnis: Die Universität von Asmara ist leer, weil es keine neuen Studenten gibt. Der Universitätsrektor, ein Freund von Präsident Afeworki, hat gekündigt und das Land verlassen.
Eigentlich könnte Eritrea reich sein, strategisch günstig am Roten Meer gelegen mit zwei Häfen. Aber das Land hat sich mit allen Nachbarn zerstritten. So dehnt sich nun der Hunger aus.