: „Niemand lebt gern hinterm Mond“
OSTZEIT Im Haus der Kulturen der Welt stellen die Gründungsmitglieder der Bildagentur Ostkreuz, unter ihnen auch die Fotografin Sibylle Bergemann, bekannte und unbekannte Bilder aus einem vergangenen Land aus
Sibylle Bergemann wurde 1941 in Berlin geboren. 1966, nach ihrer Ausbildung als kaufmännische Angestellte, begann sie eine Fotografenausbildung bei Arno Fischer. Mit ihm ist sie seit 1985 auch verheiratet. Als Mitglied der Gruppe „Direkt“ etablierte sie sich ab 1967 als freischaffende Fotografin. Ihre Fotos erschienen in der Wochenzeitung Sonntag und seit 1973 in der Modezeitschrift Sibylle und im Magazin. 1990 war sie Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Fotografen Ostkreuz. Seit 1994 ist sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Fotos von Sibylle Bergemann sind in der Ausstellung „Ostzeit“ zu sehen, die heute im Haus der Kulturen der Welt eröffnet. Die Gründer der Agentur Ostkreuz wollen in dieser Ausstellung die Besucher auf eine Reise in das Land nehmen, in dem sie einmal gelebt haben. Bis 13. September, Mi.–Mo., 11–19 Uhr. Die Aufnahme Sibylle Bergemanns zur Linken ist ein Selbstporträt.
INTERVIEW RALF HANSELLE
taz: Frau Bergemann, welches Bild kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie heute an die Wende in der DDR denken?
Sibylle Bergemann: Spontan fällt mir da ein Bild meines Mannes ein.
Des Fotografen Arno Fischer.
Ja. Es ist am Silvesterabend 1989/90 am Brandenburger Tor entstanden. Man sieht die jubelnden Menschen, und man erkennt im Hintergrund das Feuerwerk. Ich weiß nicht, warum, aber an diese ausgelassene Szenerie denke ich wohl zuerst.
In der Regel gibt es von jedem großen politischen Ereignis die eine unvergessliche Ikone. Bei der Revolution in der DDR aber scheint dieses symbolträchtige Bild merkwürdigerweise zu fehlen. Wieso ist das so?
Ja, das stimmt. Es fehlt das eine große Bild. Aber eine Erklärung dafür habe ich auch nicht. Obwohl sich diese Revolution ja mitten in einer Mediengesellschaft ereignet hat. Natürlich gibt es Bilder. Eine Menge Bilder sogar. Aber es sind immer wieder dieselben Bilder. Das ist zuweilen richtig langweilig.
Reden wir also lieber über Ihre eigenen Fotografien: Warum sind viele davon, besonders aus der Zeit vor dem Mauerfall, in Schwarzweiß aufgenommen worden?
Farbaufnahmen habe ich damals in der Regel nur dann gemacht, wenn ich Mode fotografiert habe. Ich sehe mich auch heute noch eher als Schwarzweißfotografin. Es war in der DDR schließlich kompliziert, in Farbe zu fotografieren. Nach der Wende hat sich das geändert. Da war ich oft sogar dazu gezwungen, in Farbe zu arbeiten. Aber ich kehre wieder vermehrt zur Schwarzweißfotografie zurück.
Sie sind einem breiterem Publikum in der DDR zunächst vor allem durch Modeaufnahmen für die Zeitschriften Sibylle bekannt geworden, die in weiten Kreisen Kultstatus genoss. Dabei gab es die dort gezeigten Kleider und Accessoires zumeist nicht einmal zu kaufen. An wen richteten sich solche Modezeitschriften?
Sie richteten sich an Menschen wie du und ich. Wir haben mit Sibylle versucht, den Menschen in der DDR Informationen über Mode und Trends an die Hand zu geben. Natürlich: Es ging dabei nicht primär ums Verkaufen. Das war vielleicht der große Unterschied zu den Modezeitschriften im Westen. Das, was es bei uns zu sehen gab, das gab es in keinem Geschäft. Und umgekehrt galt: Was es im Geschäft gab, das war für uns nicht interessant. Des Öfteren hat man in der Redaktion daher die Kleider selbst entworfen. Und auch die Mannequins waren häufig nicht professionell, sondern kamen aus unserem Freundeskreis. Da war eben viel Improvisation dabei. Im Nachhinein würde ich aber sagen, dass wir dadurch Freiräume hatten.
Sie haben für diese Modeaufnahmen zuweilen sehr gewagte Hintergründe benutzt – Industrielandschaften etwa oder Braunkohlehalden. Während vorne Mode gezeigt wurde, qualmten hinten die Schlote. Spiegelte sich in solchen Bildern Fortschrittsglauben, oder ging es um Ironie?
Natürlich sind solche Bilder nur mit einem Augenzwinkern zu verstehen gewesen. Das Foto mit dem Schornstein hat uns sogar richtig Ärger eingebracht. Aber das war man damals ja gewohnt. Trotzdem waren es alles in allem recht gute Arbeitsbedingungen. Wenn ich eine Fotoserie machte, dann wurde die in den meisten Fällen auch so gedruckt. Das gibt es heute ja gar nicht mehr.
Sie hatten damals Kontakte zu Fotografen aus dem Westen. Ihre Wohnung am Schiffbauerdamm soll ein regelrechter Treffpunkt für die deutsch-deutsche Fotoszene gewesen sein?
Wir hatten das Glück, dass es in Ostberlin ein französisches Kulturinstitut gab. Dessen Leiter war ein großer Fotofan. Immer wenn es dort Ausstellungen von Legenden wie Cartier-Bresson oder Koudelka zu sehen gab, kamen die Leute nach der Vernissage zu uns. Das waren aufregende Abende. In einer Mangelsituation ist man immer hungrig nach Informationen. Niemand will hinter dem Mond leben. Viele Kollegen kamen dann. Die hatten oft ihre Bilder dabei, und die westlichen Fotografen sollten ein Urteil dazu abgeben. Das war stets lustig und spannend.
Welche Positionen haben Sie damals bei den Fotografen aus der Bundesrepublik am meisten interessiert?
Ich selbst komme aus einer Tradition, die sozialdokumentarisch geprägt ist. Folglich haben mich immer jene Fotografen interessiert, die einen ähnlichen Ansatz hatten. Fotografen, für die die Welt nicht einfach und zweidimensional war. Die zeigten, ohne zu beschönigen. Ich habe in der DDR ja schließlich auch nie für die Organe gearbeitet, die den Aufbau des Sozialismus dokumentierten. Die zeigen wollten, wie toll alles war. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich hatte nichts gegen den Sozialismus. Aber ich wollte auch nichts idealisieren.
Sie sagen, Sie hätten nichts gegen den Sozialismus. Dennoch ist Ihre bis heute wohl bekannteste Arbeit gerade im Westen immer wieder als augenzwinkernde Kritik an der Staatsideologie der DDR verstanden worden. Ich rede von der berühmten Dokumentation über den Bau des Marx-Engels-Denkmals in Berlin.
Ich weiß, dass es viele Leute gibt, die meinen, ich hätte mich mit dieser Serie über den Künstler – den Bildhauer Ludwig Engelhardt – oder über seine Arbeit lustig machen wollen. Aber das stimmt nicht. Es war zunächst eine reine Dokumentation.
Trotzdem kann doch nicht bezweifelt werden, dass in diesen Bildern enorme Ironie steckt. Wer, wie Sie, Marx und Engels ohne Köpfe fotografiert oder wer sie wie fette Putten am Himmel zeigt, der spielt doch eindeutig mit einer Form von Komik.
Natürlich steckt in den Aufnahmen Ironie. Aber ich habe wirklich nur dokumentieren wollen. Ohne Zweifel: Wir haben damals selbst manches Mal gelacht, wenn wir diese kopflosen Philosophen sahen. Und bei dem schwebenden Engels musste ich an den berühmten Engel von Ernst Barlach im Dom zu Güstrow denken. Aber selbst von offizieller Seite hat es nie irgendwelche Einschränkungen gegeben. Alles konnte mit Einverständnis des ZKs so gezeigt werden, wie ich es fotografiert hatte.
Oft ist der skurrile Surrealismus auf Ihren Fotografien betont worden – die starke Poesie und Verträumtheit. War das Eskapismus?
Das ist alles Quatsch. Das hat keine politischen Dimensionen gehabt. Es gibt auch Leute, die auf meinen Bildern Melancholie sehen wollen. Auch dagegen habe ich mich immer gewehrt.
Was wäre denn so schlimm an Melancholie?
Eine solche Deutung erschien mir immer zu privat.
Seit den letzten Tagen der DDR ist viel Zeit vergangen. Glauben Sie, dass sich Ihre fotografische Sicht auf die Welt in den letzten Jahren verändert hat?
Nein. Natürlich habe ich in all den Jahren neue Erfahrungen gesammelt. Aber an meiner Art zu fotografieren hat sich gar nichts verändert. Vielleicht haben sich zuweilen die Themen und Techniken gewandelt. Aber mein Blick auf die Dinge ist immer der gleiche geblieben. Auch heute noch.
Woran arbeiten Sie denn zurzeit?
Ich versuche wieder vermehrt Berlin zu fotografieren. Aber das fällt mir zunehmend schwerer. Früher habe ich ja sehr viel in der Stadt fotografiert. Aber heute ist das nicht mehr so einfach. Man kann nicht nahtlos an alte Bilder anknüpfen. Ich bin nicht mehr so unbefangen. Die Stadt hat sich sehr verändert. Und vielleicht ist sie auch gar nicht mehr so interessant wie damals.