Medien: Der Gerettete verramscht den Retter
Eine Meldung mit Knalleffekt: Die „Südwestpresse“ aus Ulm kauft die Stuttgarter Zeitungen, die „Eßlinger Zeitung“, den „Schwarzwälder Boten“ und die „Böblinger Kreiszeitung“. Und was sagen die Chefredaktionen dazu? An der Qualität ändere sich nichts. Das klingt wie eine Drohung. Eine Bestandsaufnahme.

Von Josef-Otto Freudenreich
Wie so oft beginnt eine Geschichte mit dem Kampf zweier Männer. In diesem Fall heißt der eine Eugen Kurz, auch das „Springerle vom Nesenbach“ genannt, nach seinem Vorbild Axel Springer. Er war der Erfinder des Stuttgarter Modells, das darin bestand, 1972 zwei unabhängige Zeitungen unter ein Dach zu zwingen. Ein Wahnsinnsgeschäft, weil damit Anzeigen immer in der „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) und den „Stuttgarter Nachrichten“ (StN) geschaltet werden mussten, sehr teuer und manchmal so viele waren, dass die Rotationen sie nicht mehr drucken konnten. Von Kurz, der 2006 starb, hieß es, er hebe jeden Pfennig vom Boden auf, die Eigentümer hat das zu Millionären gemacht.
Der andere ist Eberhard Ebner, Eigner der Ulmer Südwestpresse, Markenzeichen Seidenschal. Ein Verleger, dem nachgesagt wurde, seine Zeitungen sogar zu lesen, von denen es immer mehr gab. Kein Lokalblatt zwischen Balingen und Crailsheim war mehr sicher vor ihm, weshalb er im Stuttgarter Pressehaus als „Monopolyspieler“ gefürchtet war. Schließlich waren sie alle Teil des Spiels, das da hieß: kaufen, was die Kassenlage hergibt. Aber weil im Tod alle Feindschaft endet, schrieben die Chefredakteure der „Stuttgarter Zeitung“ und „Nachrichten“, Joachim Dorfs und Christoph Reisinger, im April 2024 in aller Ergebenheit, Ebner sei ein Verleger gewesen, der „viele vereinte“ und stets ein „Miteinander statt Gegeneinander“ gelebt habe. Zu dem Zeitpunkt waren die Stuttgarter Blätter nicht nur in puncto Anzeigen verbunden, 2016 waren auch die beiden einst unabhängigen Redaktionen zusammengelegt worden, seitdem lassen sich die Artikel doppelt lesen.
Nun, ein Jahr später, am Mittwoch, den 28. Mai, um 10 Uhr, müssen die Nachrufer erkennen, dass sie sich geirrt haben: Die Ebnersche Neue Pressegesellschaft (NPG), das Dach über der „Südwestpresse“, kauft ihre Blätter. Um es genau zu sagen: Die NPG übernimmt 82 Prozent der SWMH-Tochter Medienholding Süd (MHS), zu der die „Stuttgarter Zeitung“, die „Stuttgarter Nachrichten“, die „Eßlinger Zeitung“, der „Schwarzwälder“ und der „Böblinger Bote“ gehören. Einen Kommentar zu dem Deal gibt es aus Ulm nicht, ein Kaufpreis wird nicht genannt, womöglich ist es gar ein Schnäppchen. Ein früherer Patriarch aus der Möhringer obersten Etage fasst zusammen: „Kurz rotiert im Grab, Ebner lacht sich im Himmel ins Fäustchen“. Was noch fehlt ist die Zustimmung des Bundeskartellamts. Aber daran gibt es wenig Zweifel. In vier Wochen, so heißt es, soll die Prüfung abgeschlossen sein.
Die MHS-Geschäftsführer Herbert Dachs und Carsten Groß überbringen den Belegschaften die bittere Botschaft. Sie sagen, sie könnten nicht viel sagen, weil ihnen das Kartellamt untersage, etwas zu sagen. Groß spricht dann noch kurz von weiteren „starken Werbeeinbrüchen“. Die Kolleginnen und Kollegen sind völlig überrascht, schockiert, fassungslos und entsetzt. Sie sind ja vieles gewohnt nach vier Sparrunden in zehn Jahren, nach dem spinnerten Umbauen der Redaktionen, nach dem blinden Glauben an den Götzen Klickzahl und der Missachtung des Gedruckten.
Kein Vierteljahr ist es her, dass ihnen im Stuttgarter Pressehaus eröffnet wurde, es müssten 45 Stellen weg. Jetzt sollen sie, wieder einmal, ihr Blickfeld neu ausrichten. Diesmal in Thementeams, die sich ausschließlich um Stuttgart kümmern. Die Reporter:innen für Baden-Württemberg werden abgeschafft, das Lokale, zuletzt zum Mauerblümchen degradiert, feiert fröhliche Urständ. Digitalchefin Johanna Bruckner verlangt nach „lokaler Exzellenz“ und soll Ad-hoc- und Express-Reporter kriegen. Sie ist die einzige, die an jenem Mittwoch Optimismus verbreitet. Sie hätten doch gezeigt, in welch‘ hohem Maße sie beim Fußball-Pokalfinale des VfB „Qualitätsjournalismus“ zu liefern in der Lage gewesen seien. Mit gigantischen Klickzahlen. Das ändere sich auch bei neuen Herren nicht. Sagt sie allen Ernstes.
Das Elend beginnt mit dem Kauf der Süddeutschen
Diesmal lächeln nicht einmal mehr die jungen Redakteur:innen und die Älteren schütteln nur noch den Kopf. Es sind diejenigen, die sich erinnern, bei einer einst führenden Landeszeitung angefangen zu haben, und jetzt befürchten, im Zuge der Selbstverzwergung als Schreibpersonal eines Lokalblatts bei der „Südwestpresse“ zu landen. Sie wissen, wie schnell sie ausgetauscht werden können. In ihrem Stuttgarter Büro fertigt die SWP Landestexte, in Berlin hat sie ein zwölfköpfiges Team für nationale Themen.
Es sind die Köpfe, die erlebt haben, wie alles anfing. Es war das Jahr 2007, als die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), die Muttergesellschaft der „Stuttgarter Zeitung“, beschloss, die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) für 750 Millionen Euro zu kaufen. Der damalige Geschäftsführer Richard Rebmann hatte überschlägig errechnet, dass die Gewinne des Münchner Weltblatts genügen würden, die Finanzierung in wenigen Jahren zu stemmen. Das hat sich als veritabler Trugschluss erwiesen. Die Kontext-Geschichte dazu von Jürgen Bartle, einem Ex-SWMH-Manager, ist heute noch lesenswert.
Die Umsätze der gesamten Branche brachen ein, auch die SZ rutschte in die roten Zahlen, und die SWMH-Gesellschafter, unter ihnen die Gruppe Württembergischer Zeitungsverleger, wurden kräftig zur Kasse gebeten. Auf eine Dividende warten sie bis heute. Ihre Antwort war einhellig: sparen! Auf unsere Kosten, sagen die Beschäftigten, zum Überleben der „Süddeutschen Zeitung“. Sie bringen es auf die so einfache wie wahre Formel: Der Gerettete verramscht den Retter.
Der Niedergang von StZ und StN
2007: Die SWMH (Südwestdeutsche Medienholding) in Stuttgart kauft die „Süddeutsche Zeitung“.
2016: Die Redaktionen von „Zeitung“ und „Nachrichten“ werden zusammengelegt.
2016: 30 Stellen werden gestrichen.
2021: Das Layout der Zeitungen wird vereinheitlicht, Außenstandorte geschlossen.
2022: Zerschlagung der Ressorts; 55 Stellen gestrichen.
Januar 2024: Die „Süddeutsche Zeitung“ gründet eine Redaktion in Stuttgart.
Januar 2025: In den Redaktionen von „Stuttgarter Zeitung“ und „Nachrichten“, „Böblinger Bote“, „Eßlinger Zeitung“ und „Cannstatter Zeitung/Untertürkheimer Zeitung“ sollen bis 2027 bis zu 45 Stellen (von 300) wegfallen.
Mai 2025: Bekanntgabe des Verkaufs von „Stuttgarter Zeitung/Nachrichten“, „Böblinger Bote“, „Eßlinger Zeitung“, „Schwarzwälder Bote“ an die Südwestpresse Ulm. (lee)
Schlimmer als Stuttgart ist die Pfalz
Im BWL-Deutsch der SWMH klingt das natürlich anders. Sie wolle zwei Unternehmensbereiche im Gesellschafterkreis „konsolidieren“, schreibt sie und meint damit das Abstoßen der MHS-Regionalzeitungen, die ihr offensichtlich zum Klotz am Bein wurden. Begonnen hatte es 2018, als der TV-Manager Christian Wegner Geschäftsführer der SWMH wurde und sehr schnell klarmachte, dass für ihn nur München und die Süddeutsche zählte. Er stand noch für grenzüberschreitende Sprüche („Journalismus ist unsere DNA“) zur Verfügung, aber nicht mehr für die Zwischenholding MHS, betonte deren Eigenständigkeit und ermöglichte den Chefs im Stuttgarter Pressehaus straffrei ihre Experimente – siehe oben. Unter ihnen auch Chefredakteur Dorfs, der mittlerweile seit 17 Jahren im Amt ist.
Noch schlimmer als Stuttgart ist nur die Pfalz. Hierhin wird der zweite Unternehmensbereich, die Fachinformationen des Süddeutschen Verlags, ausgelagert. In Ludwigshafen übernehmen wird die Familie Schaub, die 47,54 Prozent an der SWMH hält, mit Helmut Kohl dicke war und zu den 500 reichsten Deutschen gehört. Flaggschiff ihrer Medien Union ist die „Rheinpfalz“, eine kostengünstig hergestellte Provinzzeitung, die auch in Stuttgart gerne als Vorbild vorgetragen wurde. Auf Schaubs Konto geht zum Beispiel die Abschaffung der Büros der Baden-Württemberg-Korrespondenten bei der „Stuttgarter Zeitung“. Dass die Pfälzer jetzt die Sparte Fachinformationen bekommen, eine durchaus werthaltige Abteilung mit 150 Titeln, darf man wohl auch als Linderung vergangener Dividendenschmerzen betrachten.
Die Zeit der langen Leine ist vorbei

Wie die MHS-Zeitungen bei der „Südwestpresse“ eingegliedert werden, hat noch leicht spekulativen Charakter, der Spur der Monopolbildung folgend jedoch eine klare Linie. Zunächst erweitert und arrondiert der Verlag sein Verbreitungsgebiet enorm, womit die werbetreibende Wirtschaft zu beeindrucken ist. Damit verbunden sind immer Synergieeffekte, also Einsparmöglichkeiten bei Doppelstrukturen, bei Redaktionssystemen, bei Wasserköpfen in den Geschäftsleitungen und Chefredaktionen, was nicht immer negativ sein muss. Hier müssen insbesondere die Stuttgarter Chefs und Chefinnen wachsam sein, die den Arbeitsplatzabbau auf ihrer Etage nie für nötig gehalten haben. Im Gegenteil.
Vorbei ist auf jeden Fall die Zeit der langen Leine. Spielereien wie die Zertrümmerung von Redaktionsstrukturen Ende 2022 („creative chaos“), Ausflüge in die Welt des Eros (StZ: „Mein Weg zum Orgasmus“), Etikettenschwindel mit galoppierenden Business-Titeln fürs Führungspersonal („Managing Editor Audience & Growth“) mögen sie bei der SWP in der Ulmer Frauenstraße 77 nicht. In dem architektonisch nicht überambitionierten Firmensitz regiert schwäbische Bodenständigkeit, selbstredend auch der Sparstift, sowie die Überzeugung, dass ein direkter Zugriff auf die Lokalredaktionen das Beste ist. Also Obacht Kolleginnen und Kollegen in Esslingen, Oberndorf, Böblingen und anderswo.
Letztes Beispiel: das „Schwäbische Tagblatt“ in Tübingen. Kaum war das Traditionsblatt im Januar 2024 eingesackt, war der Lokalchef fort und der Layoutbefehl da. Die Seiten haben ein einheitliches Gesicht zu zeigen – in Ulm und um Ulm herum, personalsparend und KI-tauglich. Kein Problem hat SWP-Boss Florian Ebner, Neffe und Nachfolger des legendären Eberhard, auch damit, dem Reutlinger Verleger („Generalanzeiger“) und Multifunktionär Valdo Lehari jr. ein Anzeigenblatt ins Hoheitsgebiet unter der Achalm zu pflanzen. Soll er doch schäumen, der Verlegerpräsident. Entscheidend sind die Zahlen in der Bilanz, nicht die Emotionen. Für Letzteres hat Ebner einst einen eigenen Bundesliga-Tischtennisclub (TTC Neu-Ulm) gegründet.
Und im Stuttgarter Pressehaus wird wieder einmal Valium verteilt. An die Leserinnen und Leser. Unter der Überschrift „Strukturelle Weichenstellung für starken Lokaljournalismus“ wird der Kundschaft in einer einspaltigen Meldung versichert, am Auftrag von StZ und StN, unabhängig und kritisch zu berichten, ändere sich derzeit nichts. Abgesehen davon, dass in keiner Zeile erklärt wird, wem das Ganze nutzen soll, ist das eine echte Drohung.
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