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Archiv-Artikel

„König und Leibeigener“

Was könnte den Bremer Bürgermeister und Senator Peter Gloystein getrieben haben, in aller Öffentlichkeit einen Obdachlosen mit Sekt zu begießen? Hier hilft nur noch der Psychoanalytiker

INTERVIEW SUSANNE GIEFFERS

War es der Ausdruck von Klassenbewusstsein der besonderen Art? Postpubertärer Spaß eines Senators? Oder der unbewusste Wunsch, aus der Bremer Politik endlich auszusteigen? Was war los mit Bremens Bürgermeister und Wirtschafts- und Kultursenator Peter Gloystein (CDU), als er am Mittwoch dem Obdachlosen Udo Oelschläger auf dem Bremer Marktplatz Sekt über den Kopf goss und dafür einen Tag später zurücktreten musste? Fragen an den Bremer Psychoanalytiker Dr. Rudolf Heltzel. taz: War das eine Freud’sche Fehlleistung, die Peter Gloystein unterlaufen ist?

Rudolf Heltzel: Psychoanalytisch würde man sagen, es war eine Geste, die einen szenischen Gehalt hat. Fairerweise müsste man jetzt mit dem Akteur sprechen, aber Peter Gloystein ist eine öffentliche Person, deshalb sind Mutmaßungen erlaubt. Was passiert ist, war eine taktlose und uns beschämende Handlung. Ich glaube, sie sagt etwas aus über Macht und Ohnmacht – und über Gewinner und Verlierer. Auf den Bildern sieht Gloystein wie ein König im Mittelalter aus, der einen Leibeigenen begießt.

Gloystein hat also einfach mal die Sau rausgelassen – respektive sich selbst?

Es ist komplizierter: Gloystein steht als Bremer Bürgermeister, Wirtschafts- und Kultursenator an der Spitze der Macht. So einer gerät in die Gefahr, dass er von Hybris überwältigt wird, von Selbstüberschätzung und von Distanz zu denen, mit denen er eigentlich zu tun hat. Im alten Rom hatten die siegreichen Feldherren bei ihren Triumphzügen hinter sich einen Sklaven, der ihnen die ganze Zeit ins Ohr flüsterte: Bedenke, dass du sterblich bist.

Den hätte Gloystein auch gebraucht?

Er ganz besonders. Aber eigentlich müssten alle heutigen Politiker einen solchen inneren Sklaven haben – ein inneres Balancesystem, das sagt: Bleib auf dem Boden, heb nicht ab.

Dabei hatte Gloystein keinen Grund zum Abheben: Bremens Bilanz ist mies, und als Senator hat er sich in seiner kurzen Amtszeit nicht sonderlich hervorgetan.

Genau. Gloystein ist kein siegreicher Feldherr, sondern eher das Gegenteil: ein Mängel- und Schuldenverwalter und Kulturhauptstadt-Verlierer. Ich glaube deshalb, dass die Sektgussszene etwas von Distanzierung enthalten könnte: So setzt er sich von den Verlierern der Gesellschaft ab. Er ist aber selber einer. Ein ehrenwerter Politiker müsste Niederlagen verarbeiten können. Gloysteins Tat hingegen deutet auf den Schutz oder die Abwehr von etwas, was unerträglich ist: dem Gefühl zu verlieren. Interessant ist, dass er jetzt umso mehr verloren hat.

Gloystein hat indirekt den Medien die Schuld gegeben, als er von der „Macht der Bilder“ sprach: Die tatsächliche Szene sei gar nicht so schlimm gewesen, aber der durch die Fotos erweckte Eindruck zwinge ihn zum Rücktritt.

Das ist eine Form von sehr schlichter Schuldentlastung. Das finde ich ebenso erschütternd wie die Geste selbst. Im Kern ist es die gleiche Schuldentlastung, die die Täter unserer Väter- und Großvätergeneration praktiziert haben.

Wenn da jemand anders vorne gestanden und genervt hätte, kein offenkundig Armer oder Obdachloser – hätte Gloystein dasselbe getan?

Ich glaube nicht, dass er geschüttet hätte. Der Wohnungslose personifiziert das arme Bremen, das da vor oder unter Gloystein steht. Und das arme Bremen pöbelt ihn an. Er ist sozusagen mit seiner Gegenseite konfrontiert.

Man könnte denken, dass diese Tat vor allem zu einem CDU-Politiker passt. Hätte ein SPD- oder Grünen-Politiker so etwas auch tun können?

Das würde ich nicht ausschließen. Aber ich würde erst mal darauf hinweisen, dass Peter Gloystein Banker ist. Das finde ich fast wichtiger als seine Zugehörigkeit zur CDU. Denn ich denke schon an Ackermann & Co. In diesen Kreisen, glaube ich, ist eine solche Haltung gegenüber Armen nicht so schädlich.

Was macht dieses Ereignis mit dem Menschen Peter Gloystein?

Das kommt darauf an, wie er damit umgeht. So eine Entgleisung, wie sie Herrn Gloystein passiert ist, kann sehr wichtig sein für die eigene Entwicklung, wenn man sie reflektiert und durcharbeitet. Scheitern kann wahnsinnig wichtig sein, um sich weiterzuentwickeln.

Und was wird die kurze Berühmtheit als Begossener dem Obdachlosen Udo Oelschläger bringen?

Ich wünsche ihm Gutes. Eine Wohnung. Dass er ein bisschen Aufmerksamkeit erhält und die Chance, aus seiner Situation herauszukommen. Im schlimmsten Fall wird auch er von der Hybris angesteckt.