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Lotsen sollen Gewalt verhindern

Schmähgesänge, Diskriminierungen, körperliche Angriffe: Der Niedersächsische Fußballverband setzt auf Konfliktlots*innen, die vermitteln, wenn es auf dem Platz oder in der Kabine eskaliert. Geht es nach dem DFB soll es das bald in allen Bundesländern geben

Konfliktfeld: So manches Fußballspiel endet mit Gewalt und Diskriminierung Foto: Robert Michael/dpa

Von Alina Götz

Respekt, Fairness, Zusammenhalt – das sind Werte, die der Fußball für sich beansprucht. Die Realität auf Plätzen, gerade im Amateur- und Jugendbereich, sieht manchmal anders aus. Um Eskalationen aufzuarbeiten und im besten Fall auch zu verhindern, sind im Niedersächsischen Fußballverband (NFV) seit 2021 Kon­flikt­lot­s*in­nen unterwegs.

Zwar haben die Vorfälle auf Fußballplätzen seit 2018 nicht sonderlich zugenommen. In der Saison 2023/24 gab es bei 173.633 Spielen in Niedersachsen 360 Gewaltvorfälle, 242 Diskriminierungsvorfälle und 90 Spiele mussten abgebrochen werden. Aber: „Gewalt nimmt überall und daher auch im Fußball zumindest in der Intensität gerade andere Ausmaße an“, sagt Sebastian Ratzsch, Teamleiter Gesellschaftliche Verantwortung im NFV.

Deswegen hat der Verband zusammen mit dem Landessportbund Niedersachsen folgendes Konzept erarbeitet: Seit Ende 2020 gibt es beim Niedersächsischen Fußballverband eine Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle. 2021 wurden in der NFV-Akademie an zwei Wochenenden die ersten Kon­flikt­lot­s*in­nen ausgebildet. 2022 folgte ein weiterer Durchlauf. Künftig soll es das in allen Bundesländern geben, wenn es nach dem Deutschen Fußballbund (DFB) geht.

Bereits seit 2014 muss ein*e Schieds­rich­te­r*in im Spielbericht angeben, ob es zu einem Gewaltvorfall kam. Falls ja, gibt es auch einen Bericht dazu. „Der DFB hat einen Leitfaden, was unter Gewalt und Diskriminierung fällt“, sagt Ratzsch.

Sein Kollege Alain Nkem sichtet nach jedem Spieltag die digitalen Spielberichte und bietet dann den involvierten Vereinen die Hilfe der Kon­flikt­lot­s*in­nen an. Die Vereine entscheiden dann, ob sie das Angebot annehmen möchten oder nicht. „Die Wirkung wäre nicht sicherzustellen, wenn es Pflicht wäre“, sagt Ratzsch über die Idee der Freiwilligkeit. Anders ist es, wenn Sportgerichte die Lot­s*in­nen als Auflage einsetzen. Auch das kommt vor. Seltener bitten Vereine von sich aus um Unterstützung.

Konfliktlotse Frank Dobroschke ist Rentner. „Ich kann alles, was mit Kommunikation zu tun hat“, sagt er. „Und ich kann mich in Menschen hineinversetzen.“ Gemeinsam mit einem Kollegen bearbeitet er derzeit einen Fall, in dem sich zwei Jugendmannschaften nach einem Spiel beleidigt und angegriffen haben. „Ein Verein kam auf uns zu und wollte, dass wir mit den Jungs mal sprechen und sie auf dem richtigen Weg begleiten“, sagt Dobroschke. Wie wollt ihr behandelt werden? Das ist eine der Fragen, die er den Jugendlichen stellt. Und: Wie kann man auch mal locker auf eine Beschimpfung reagieren, ruhiger bleiben? „Gerade Jüngere sind leicht aufbrausend“, sagt er.

Das Rückspiel der Teams ist im Juni. Vorher wollen die Konfliktlotsen mit beiden Vereinen gemeinsam Regeln für das erneute Aufeinandertreffen aufstellen. „Wir erarbeiten mit den Spielern einen Verhaltenskodex.“ Spieler sollen auch sensibilisiert werden, füreinander da zu sein. „In jeder Mannschaft sind auch emotionalere Leute. Da kann ich als Mitspieler drauf achten.“

In einem anderen Fall – da gab es Schmähgesänge in der Kabine nach Abpfiff – wird sportgerichtlich ermittelt. Bereits vor der Verhandlung seien die Vereine auf die Konfliktlotsen zugekommen, erzählt Dobroschke. Seit 35 Jahren ist er Schiedsrichter-Coach und pfeift selbst bis zur Regionalliga. Die Rolle sei anders, als Schiri entscheide man. Jetzt versuche er vielmehr, im Vorhinein zu verhindern. „Menschenkenntnis ist in beiden Rollen wichtig.“

In seiner Zeit als aktiver Spieler sei auch gepöbelt worden, erzählt Dobroschke. „Aber danach ging man zusammen Bier oder Cola trinken. Wenn es heute eskaliert, ist es weitaus schlimmer, weil die Leute nicht einfach vergessen.“ Vielleicht auch wegen der sozialen Medien. „Im Netz geht es oft weiter“, sagt Konfliktlotse Kai Münchow-Witt, „es tauchen Videos oder Fotos auf.“

„Gewalt nimmt überall und daher auch im Fußball zumindest in der Intensität gerade andere Ausmaße an“

Sebastian Ratzsch, Teamleiter Gesellschaftliche Verantwortung im Niedersächsischen Fußballverband

Münchow-Witt ist Mediator und sein Beruf ist auch Konfliktlotse: im Amt für Migration Hamburg. Er weiß, wie wichtig es ist, beide Seiten unvoreingenommen zu hören. In seinen vier Jahren Einsatz für den NfV hat er noch keine Fälle erlebt, in denen ein Verein freiwillig auf ihn zugekommen ist. „Wir sind immer noch relativ neu. Und einige Vereine haben Angst vor der Öffentlichkeit, wenn sie sich bei uns melden. Fremde Hilfe könnte als Führungsschwäche gelten.“

Münchow-Witt arbeitet derzeit an Fällen, in denen seine Begleitung eine Auflage vom Sportgericht ist. „Wir haben im Jugendbereich Fairplay-Schulungen durchgeführt, nachdem es ein Urteil zu Gewalt und Diskriminierung bei einem U16-Spiel gab.“ Die Beleidigungen seien nicht rassistisch gewesen, hätten sich eher auf Äußerlichkeiten wie Körper oder Frisur bezogen, oder auf die angeblich fehlenden Skills im Fußball. „Man weiß nie genau, wie ernst die 20 jungen Kerle das samstags um zehn Uhr nehmen“, sagt Münchow-Witt. Für die meisten sei die Teilnahme am Workshop Pflicht. „Aber am Ende habe ich oft das Gefühl, dass es ’was gebracht hat.“

Drei der mittlerweile 21 Kon­flikt­lot­s*in­nen beim Niedersächsischen Fußballverband sind Frauen. Was ist eigentlich mit Frauen- oder Mädchenteams? Keine Anfragen, sagt Münchow-Witt. „Wir haben sie nicht vergessen, aber sie brauchen unsere Hilfe gerade anscheinend nicht. Das ist ja auch nicht verkehrt.“

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