: Jetzt schon mal 190 Milliarden
FINANZKRISE Bundeskabinett billigt Gesetz für dauerhaften Finanzschirm – doch viele Fragen bleiben offen. Mit neuen Verfassungsbeschwerden ist zu rechnen
BERLIN taz | Die erste Hürde ist genommen: Zwei Gesetze, mit denen die Voraussetzungen für die Schaffung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM geschaffen werden sollen, sind am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen worden.
Doch bevor der Europäische Stabilitätsmechanismus im Juli seine Arbeit aufnehmen und Kredite an überschuldete Euro-Staaten vergeben kann, müssen die Gesetze weitere Hürden nehmen: Ende März und Ende Mai befasst sich der Bundestag damit, Mitte Juni der Bundesrat – und dann vermutlich das Bundesverfassungsgericht. Denn weil der ESM wichtige Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert, wird mit Verfassungsbeschwerden gerechnet.
Haftung könnte steigen
Mit dem ESM entsteht eine neue Institution, die über viel Geld und Einfluss verfügt: Er soll ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro haben, von dem 500 Milliarden als Kredite oder Bürgschaften ausgegeben werden können. Deutschland ist mit 28 Prozent daran beteiligt, was Kreditgarantien von 168 Milliarden Euro und eine Einzahlung von 22 Milliarden Euro bedeutet; für 8,7 Milliarden Euro, die schon in diesem Jahr eingezahlt werden müssen, ist ein eigener Nachtragshaushalt erforderlich.
Die deutsche Gesamthaftung von 190 Milliarden Euro könnte sich aber weiter erhöhen, wenn die Mittel des ESM – wie von vielen EU-Staaten gefordert – aufgestockt werden. Darüber soll voraussichtlich Ende März entschieden werden, teilte ein Sprecher des Finanzministeriums mit. Im Fall einer Aufstockung sei ein neues Gesetz erforderlich. Steigen könnte die Haftung zudem, wenn die verbliebenen Mittel des Vorgängerfonds EFSF beim ESM-Start nicht angerechnet, sondern addiert würden.
Noch offen gelassen wurde im Gesetzentwurf zudem die Frage, in welcher Form der Bundestag bei künftigen Entscheidungen zum ESM beteiligt wird. Dies soll das Parlament selbst regeln. Wie die Abstimmung im Bundestag ausgeht, ist offen. Während die Linkspartei den ESM als „Rettungsschirm für Spekulanten“ ablehnt, halten ihn SPD und Grüne grundsätzlich für sinnvoll, koppeln ihre Zustimmung aber möglicherweise wie beim Fiskalpakt an Bedingungen, etwa die Finanztransaktionssteuer. Und eine eigene Mehrheit ist der Regierung wie bei vorherigen Euro-Abstimmungen nicht völlig sicher.
Volksabstimmung nötig?
Sicher scheinen hingegen Klagen gegen das Gesetz. So argumentiert etwa der Verwaltungsrechtler Wolfgang Kahl, weil mit dem Gesetz die „Identität des Grundgesetzes“ berührt werde, sei eine Volksabstimmung darüber zwingend. Und das Büro des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, der bereits gegen frühere Euro-Entscheidungen geklagt hatte, teilte mit, man werde eine neue Verfassungsbeschwerde prüfen. MALTE KREUTZFELDT