: Regierung profitiert vom Umsturz
NORDRHEIN-WESTFALEN Die rot-grüne Minderheitsregierung platzt, weil die FDP dem Etat nicht zustimmt. Neuwahl dürfte Rot-Grün stärken. FDP und Linken droht das Aus
VON PASCAL BEUCKER
KÖLN taz | High Noon im Düsseldorfer Landtag. Um 12.04 Uhr trat Hannelore Kraft am Mittwoch außerplanmäßig ans Rednerpult. „Die Bürgerinnen und Bürger haben den Anspruch, zu wissen, woran sie bei den Fraktionen sind“, sagte die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen mit getragener Stimme. Eine Entscheidung stehe an, „die kann Ihnen, jedem Einzelnen, niemand abnehmen“, rief die SPD-Politikerin den Abgeordneten zu. Jetzt sei „klare Kante“ angesagt.
Formal ging es nur um eine Sache, von der bis Dienstag auch Kraft noch glaubte, sie wäre weitgehend irrelevant: die zweite Lesung über die einzelnen Posten des Landeshaushalts 2012. Doch inzwischen wussten alle Abgeordneten, dass es um weit mehr geht: um das Schicksal eines spannenden Politexperiments. „Sollte jetzt der Einzelplan des Innenministeriums keine Mehrheit finden, werde ich die Koalitionsfraktionen bitten, einen Antrag auf Selbstauflösung des Landtags zu stellen, um damit Neuwahlen einzuleiten“, erklärte Kraft.
Zwanzig Monate hat Krafts Minderheitsregierung aus SPD und Grünen mit wechselnden Mehrheiten das bevölkerungsreichste Bundesland regiert. Mit der Linkspartei schaffte sie die Studiengebühren ab, mit der CDU machte sie einen „Schulkonsens“, mit der FDP vereinbarte sie einen „Stärkungspakt“ für die finanziell notleidenden Kommunen. Es lief ganz gut.
Dabei war der Koalition wegen der einen Stimme, die ihr zur eigenen Mehrheit fehlt, seit ihrer Inthronisierung im Juli 2010 in schöner Regelmäßigkeit ein vorzeitiges Ende prophezeit worden. Dass Rot-Grün ausgerechnet jetzt eher aus Versehen denn aus politischem Kalkül stolpert, hatte jedoch ernsthaft niemand erwartet. Denn nachdem ihr beim Etat 2011 noch die Linkspartei per Enthaltung über die Klippe geholfen hatte, signalisierte diesmal die FDP Gesprächsbereitschaft.
Um das Gesicht zu wahren, hatte sich deren Fraktionschef Gerhard Papke ein vermeintlich pfiffiges Prozedere ausgedacht: Bei der zweiten Lesung sollte seine Fraktion gegen die Einzelpläne des Etats stimmen. Dann wollte sie der Regierung bis Ende März noch ein paar Einsparungen abtrotzen und in der entscheidenden dritten Lesung den Gesamthaushalt passieren lassen. So hätte die FDP Neuwahlen verhindern und sich gleichzeitig als Sparkommissar in Szene setzen können.
SPD und Grünen gefiel der fintenreiche Plan. Besonders die Sozialdemokraten liebäugelten schon lange damit, enger mit der FDP zusammenzuarbeiten. Bereits für Montag war ein Gespräch mit Papke verabredet. Doch die rot-grün-gelben Politstrategen hatten einen rechtlichen Haken nicht bedacht: Findet ein Einzelplan in der zweiten Lesung keine Mehrheit, gilt der gesamte Haushalt schon als abgelehnt. Erst am Dienstag hatte die Landtagsverwaltung die Fraktionen über diese Rechtslage informiert. Die FDP hatte sich verzockt. Ohne das Gesicht zu verlieren, konnte sie nicht mehr den Rückweg antreten.
Zu spät war es auch für einen Kursschwenk der Linkspartei. Sie habe stets signalisiert, „einen Haushalt passieren zu lassen, der wenigstens ein Stück weit für ein soziales und ökologisches Nordrhein-Westfalen sorgt“, sagte Linke-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann verbittert an die Adresse von Rot-Grün. „Aber Sie haben die Hand ausgeschlagen.“
Die Konsequenz: In namentlicher Abstimmung stimmten die 90 rot-grünen Abgeordneten für den Etat des Innenministeriums, 91 Parlamentarier der Opposition geschlossen dagegen. Damit war das Schicksal der Minderheitsregierung besiegelt – und wohl nicht nur das ihre.
Der Opposition dürfte der Umsturz teurer zu stehen kommen. Nach der Auflösung des Landtags muss es binnen sechzig Tagen zur Neuwahl kommen. Glaubt man den aktuellen Meinungsumfragen (siehe Grafik), liegt die CDU zwar gleichauf mit der SPD, in der Beliebtheitsskala rangiert allerdings Ministerpräsidentin Kraft weit vor dem CDU-Landeschef und Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der sich bereits am Mittwoch als Spitzenkandidat präsentiert hat. Linkspartei und FDP müssen zudem damit rechnen, aus dem Landtag zu fliegen. Rot-Grün hingegen winkt im neuen Parlament eine stabile absolute Mehrheit, selbst wenn die Piratenpartei erstmals den Einzug schaffen sollte. Wahrscheinlicher Wahltermin ist der 6. oder der 13. Mai.