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An den richtigen Ort

Valence Silayo ist der erste Dschagga, der in Stuttgart das Erbe seines Volks aus Tansania an einem Museum erforscht. Größtenteils ist es Raubgut des rassistisch agierenden deutschen Kolonialismus. Einblicke in einefordernde, oft bürokratische SpurensucheRichtung Rückgabe nach Afrika

Sobald Tansania die Objekte zurückfordert, kann ein Restitutionsprozess beginnen: Valence Silayo mit Artefakt im Linden-Musem

Aus Stuttgart Jonáš Filip Lüth (Text) und Verena Müller (Fotos)

Valence Silayo beugt sich im Linden-Museum in Stuttgart, Arbeitsraum 008, über einen purpurroten Königsmantel. Behutsam ertasten seine Fingerkuppen den geriffelten Stoff, fühlen münzgroße Bögen aus Glasperlen, streifen über Bahnen aus graubraunem Tierfell, als wolle er das Gewand verstehen: Wer hat es gestaltet? Wer hat es getragen?

Silayo, kompakte Statur, gewinnendes Lächeln, ist geübt darin, Gegenstände mit aller Vorsicht zu behandeln. Der 46 Jahre alte Archäologe aus Tansania im Osten Afrikas ist auf der Suche nach der Geschichte seiner Ahnen. Oder besser gesagt: auf der Suche nach dem, was davon übriggeblieben ist. Tansania war von 1885 bis 1918 deutsche Kolonie. Die Deutschen nahmen mit, was ihnen beliebte. Und bestückten mit den Objekten die Sammlungen neu gegründeter ethnologischer Museen.

Valence Silayo kam vor einem Jahr aus seiner Heimat Tansania nach Stuttgart. Denn im Linden-Museum, das wusste Silayo, lagern Kulturschätze, die einst seinem Volk, den Dschagga, gehörten. Er sagt, dass sie es weiterhin tun – auch wenn sie sich hier, in Deutschland, zwischen Brandschutztüren und Inventarnummern verbergen. Am liebsten würde Silayo den Königsmantel und alle anderen Sachen einpacken und mitnehmen.

Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es ihm seine Mission zu leicht machen würde. Immer wieder stolpert Silayo über den mit Vorschriften gepflasterten Boden der bürokratischen Realität. Dabei geht es nicht unbedingt um Einsicht oder Gerechtigkeit, sondern um Formulare, Anträge, Protokolle. „Vor allem die Hausregeln waren und sind schwierig. Manchmal verstehe ich es einfach nicht. Die Regularien erlauben dies nicht, die Regularien erlauben das nicht“, sagt Silayo.

Schweigend schlägt er die Ecke des Königs­mantels um und deutet auf ein weißes Etikett: „Kiboscho, Dschagga, 11.328, Johannes“. Die Bestandsaufnahme der Entführung, als wäre sie ein Verwaltungsvorgang. Kiboscho ist ein Dorf am Fuß des Kilimandscharo-Massivs in Tansania. Valence Silayo ist in der Region aufgewachsen. Im Schatten der mächtigen Berggipfel Kibo und Mawenzi fing er als junger Archäologe an, die Geschichte seines Volks zu ergründen.

Über eine Million Dschagga leben heute im Norden Tansanias – eine von über 120 Volks­gruppen im Land. Im Gegensatz zu ihren halbnomadischen Nachbarn, den Massai, sind sie seit Jahrhunderten sesshaft. Den Dschagga eilt in ­Tansania der Ruf voraus, besonders strebsam zu sein. Valence Silayo sagt: „Ich habe die Verantwortung, dass unser Erbe bekannt ist und an den richtigen Ort kommt.“ Er ist der erste und bislang einzige Dschagga, der in Stuttgart das Erbe seines Volks erforschen darf.

Johannes, der Name auf dem Etikett, weist auf Kurt Johannes hin. Einer der Befehlshaber der „Schutztruppe“ für die Kolonie Deutsch-Ostafrika, das heutige Tansania. Am 2. März 1900 ließ Oberstleutnant Johannes mehrere Dschagga-Anführer hinrichten. Im selben Jahr brachte er ihr Königsgewand nach Stuttgart.

Die Inventarnummer 11.328, der Königsmantel, bezeichnet eines von etwa 160.000 Objekten, die die Sammlung des Linden-Museums in Stuttgart umfasst. Über 5.000 davon stammen aus Tansania, rund 450 wiederum vom Volk der Dschagga.

Rund zweieinhalbmal so groß wie Deutschland, erstreckt sich Tansania vom Indischen Ozean bis tief ins Landesinnere Ostafrikas. Als 1885 die Deutschen kamen, existierte es noch nicht als politische Einheit, erst die Kolonialherren zeichneten seine heutige Form in die Landkarte. Der deutsche Imperialismus forderte bis 1918 hunderttausende Opfer im damaligen Deutsch-Ostafrika. Neben Kunsthandwerk und Alltagsgegenständen, nahmen sie unzählige Schädel und Gebeine mit nach Europa – oft um sie für rassistische Theorien zu untersuchen. Bis heute liegen viele dieser menschlichen Überreste in deutschen Sammlungen.

Etwa 90 Jahre nach dem Abzug der Deutschen aus Tansania, im Jahr 2004, schreibt sich ein junger Mann namens Valence Silayo an der Universität der tansanischen Hauptstadt Daressalam ein. Geschichte soll es werden – seine große Leidenschaft seit der Schulzeit. Silayo bekommt aber keinen Platz und so wird es damals ein Fach, das er bislang nicht kennt: Archäologie, aus taktischen Gründen. Bald will er den Studiengang wechseln. Doch es kommt anders: Der junge Student verliebt sich in die Archäologie, bleibt ihr treu. Jahrelang gräbt Silayo die Erdschichten des Kilimandscharo-Massivs um, auf der Suche nach Zeugnissen der vorkolonialen Geschichte seines Volks. 70 bis 80 Meter tief, bis zurück in die Jungsteinzeit. Er holt Keramiken, Steinwerkzeuge und Perlen aus dem Vulkangestein. Weiter oben im Boden findet er Bewässerungsgräben, Befestigungsanlagen und Tunnelsysteme – gebaut, bevor die Deutschen die Dschagga unterwarfen. Doch Kunsthandwerk wie Perlenstickereien, Schmiede- und Holzarbeiten sucht er vergeblich: „Als ich verstanden hatte, dass die materielle Kultur, die am Kilimandscharo geplündert wurde, irgendwo verborgen liegt, habe ich angefangen, darüber nachzudenken, wie ich den Objekten näherkommen kann“, erzählt Silayo heute.

März 2025, Stuttgart. Der Hegelplatz ist eigentlich eine Kreuzung. Dort erhebt sich das Linden-Museum wie ein Leuchtturm aus dem Asphalt. Valence Silayo legt den Kopf in den Nacken, zeigt auf den Torbogen des Eingangsportals und sagt: „Das Museum ist auf unserem Rücken gebaut.“ Zwei Statuen mit nacktem Oberkörper stützen den Gründerzeitbau. Stereotype koloniale Darstellungen eines Afrikaners und eines Ozeaniers. Silayo, dunkler Pullover mit hohem Kragen, schwarze Jeans und Sneaker, erklimmt die Treppen zum Eingang – „Perspektiven wechseln“ steht da auf einer der Stufen. Wenn es doch so einfach wäre.

An der Rezeption vorbei, durch eine erste schwere Tür hindurch, gelangt man in die Katakomben. Am Ende eines fensterlosen Korridors mit Gussbetonboden befindet sich eine doppelte Brandschutztür. Hinter ihr verbergen sich die Schätze der Dschagga und viele tausend w­eitere Objekte. An der Tür hängt eine Warnung: „Der Eintritt ist nur mit Schutzausrüstung gestattet“.

Beutekunst im Fokus

Ethnologische Museen

Zehntausende Objekte aus ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und Ozeanien befinden sich in Museen hierzulande – von Devotionalien und königlichen Insignien bis zu Kunsthandwerk und Alltagsgegenständen. Der Großteil kam zu Zeiten des Kolonialismus nach Deutschland. Oft wurden die Objekte geraubt oder unter Ausnutzung ungleicher Machtstrukturen von den indigenen Völkern der Kolonien beschafft. In Deutschland und Europa entstanden eigens für die Objekte ethnologische Museen, die sich bis heute damit schmücken.

Hohe Rückgabeforderungen

Weil viele der Objekte für die Herkunft-Communities hohen Wert haben, bestehen teils seit Jahrzehnten Rückgabeforderungen. Der berühmteste Fall sind die „Benin-Bronzen“ aus der ehemals britischen Kolonie Nigeria. 22 dieser Skulpturen gab Deutschland 2022 an Nigeria zurück. Weitere Kulturgüterrückgaben gingen in die ehemaligen deutschen Kolonien Namibia und Samoa. Aktuelle Rückgabeforderungen kommen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Herkunft-Communities, etwa aus Kamerun. Dort, in Ghana und in Tansania (alles ehemalige deutsche Kolonien) haben sich auch Gremien zur Artikulation von Restitutionsforderungen gebildet. Von ihnen könnte es in Zukunft auch Forderungen von staatlicher Seite geben. (jfl)

Das Problem? Die dort aufbewahrten Gegenstände sind mit Arsen und Quecksilber kontaminiert – giftigen Chemikalien, die früher verwendet wurden, um das ethnografische Material haltbar zu machen. Einmal an sich genommen, dann vergiftet. Eine doppelte Entfernung: erst aus dem Land, dann aus der Berührbarkeit.

Will Silayo hinter die Tür, muss ihn jemand begleiten. Wenn gerade niemand da ist, soll er auch mal einen Tag warten. Versicherungsgründe. Silayo ist Stipendiat und wird von einer externen Stiftung bezahlt, nicht vom Museum. Deshalb hat er keinen Schlüssel für das Depot, nur für das Hauptgebäude und sein Büro. Spontan und auf eigene Faust etwas aus dem Magazin holen, das geht nicht. Valence Silayo ist Doktor der Archäologie und angesehener Dozent an der Universität Daressalam. Ihm fällt es schwer, die Zutrittsvorschrift anzunehmen.

„Das Museum bewahrt und schützt die Objekte, aber ich spreche von Gerechtigkeit. Sie dort einzusperren, ist für mich eine andere Art, den Völkern ihr Recht zu verweigern“, findet Silayo. Wenn er deutlich wird, unterstreichen seine Hände die Worte mit resoluten Gesten, er nickt zur Unterstützung fest mit dem Kopf. Und Silayo wird oft deutlich. Sein Lächeln weicht dann einer entschlossenen Ernsthaftigkeit. Auch heute hätte er gerne die Tür zum Magazin geöffnet und alles gezeigt. Doch Journalisten sollen nicht ins Magazin. Um die Objekte aus den Depots zu holen und sie zu präsentieren, braucht das Museum zwei Wochen Vorlauf. Nicht nur Silayo muss sich durch das Regeldickicht schlagen.

Er verschränkt die Arme, blickt mit einigem Abstand auf die Tür. Unerwartet nähert sich ein Mitarbeiter, grüßt kurz, setzt sich eine Atemschutzmaske auf und legt einen Transponder an den Zutrittsleser. Er öffnet die Tür einen Spalt, huscht ins Magazin und kommt kurz darauf mit einer Holzkiste wieder heraus. Angestellte dürfen das.

Aus dem Hintergrund beobachtet auch Fiona Siegenthaler, Kuratorin der Afrika-Sammlung, den Vorgang. Kurzhaarfrisur, olivgrüner Wollpulli, grasgrüne, halbgeschlossene Sandalen. Die Anthropologin aus der Schweiz arbeitet eng mit Silayo zusammen. Auch heute ist sie dabei. Vor der Tür des Magazins stehend, berichtet Silayo von vermeintlichen Einschränkungen bei der Bearbeitung von Bildern der Objekte.

Fragend spekuliert er: „Vielleicht geht es um Vertrauen …?!“ Fiona Siegenthaler unterbricht ihn. „Das war sicherlich ein Missverständnis“, sagt sie. Silayo: „Das ist meine Wahrnehmung.“

„Es ist ihr Erbe, sie wollen es zurückhaben, sie wollen es sehen und sich damit wieder verbinden!“

Valence Silayo, Archäologe aus dem Volk der tansanischen Dschagga

Die Regeln des Hauses scheinen Misstrauen in ihm zu säeen. Siegenthaler fällt die schwierige Aufgabe zu, die Vorschriften durchzusetzen und zugleich die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für Silayo zu schaffen. Ein Balanceakt. Auf inhaltlicher Ebene habe es keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten, aber lebhafte Diskussionen zwischen ihr und Silayo gegeben, erzählt Siegenthaler. Erstmal mussten sie eine gemeinsame Sprache finden, die Denksysteme aneinander anpassen. Dazu kommt, dass sie beide nicht in ihrer Muttersprache, sondern auf Englisch miteinander reden.

2023 hatte ein Kollege aus Berlin Silayo auf eine Internet-Anzeige aufmerksam gemacht: Zwei Jahre Forschungsaufenthalt im Linden-Museum in Stuttgart, gefördert durch die Gerda-Henkel-Stiftung. Das Museum möchte die koloniale ­Gewalt gemeinschaftlich aufarbeiten. Gleich­zeitig will man etwas über die Sammlungsgegenstände lernen, die oft ohne nähere Erklärung im Museum gelandet waren. Forschungsideen darf der Stipendiat selbst liefern. Eine Riesenchance.

Valence Silayo bewarb sich sofort. Im Februar 2024 zog er mit seiner Frau und zwei Kindern nach Stuttgart. Eine Premiere: Erstmals kommt ein Tansanier an das Linden-Museum, um an der kolonia­len Sammlung zu forschen. Ein Jahr später, Arbeitsraum 008. Zwei Türen entfernt vom Magazin. Silayo hat mit Hilfe der Museumsangestellten Objekte der Dschagga auf Tischen ausgebreitet: den Königsmantel, Hochzeitsschmuck und -gewänder, Haushaltswaren, Schutzschilde, Speer, Schwert und Pfeile. Der Archäologe spricht in Schleifen, schweift aus, fügt noch eine Anekdote hinzu und kehrt dann zurück zur Ausgangsfrage. Immer mit einer klaren, unmissverständlichen Haltung, die wenig Zweifel zulässt.

„Die Deutschen sagen: ‚wir haben Gesetze, die unsere Artefakte, unser Erbe schützen.‘ Aber ich habe ein Problem mit dem Wort ‚unser‘“, sagt er. ­Silayo ist in seinem Element, vergisst beim Gestikulieren kurz den kostbaren Holzkrug in seinen Händen. Sachte legt er ihn ab, als es ihm auffällt. Man solle die Gegenstände lieber belongings nennen, Besitztümer, nicht einfach Objekte. Besitz­tümer der Herkunft-Communities. Sie wüssten, was die Objekte bedeuteten. Und diese Communities wollen sie zurückhaben. Er selbst sei nur der Bote.

Silayo zeigt die historische Herkunftsnotiz zum Schild der Dschagga

Fiona Siegenthaler, die Sammlungskuratorin, sitzt auf einem Treppchen am Fenster und lauscht aufmerksam Silayos Worten. Meist stimmt sie ihm zu, manchmal aber, da möchte sie präzisieren. Als Silayo davon spricht, dass alle Objekte geplündert wurden, flüstert Siegenthaler ein „meistens“ hinterher. Ein anderes Mal fügt sie an: „Es besteht die Gefahr, dass wir vergessen, Geschichte als etwas Komplexes zu begreifen. Wo Aushandlungen stattfanden, wo es Gespräche gab, und wo, in einigen Ausnahmefälle sogar Freundschaften bestanden.“

Sie will damit nicht das begangene Unrecht wegwischen. Aber Siegenthaler möchte differenzieren. Und tatsächlich ist bei vielen Objekten nicht abschließend geklärt, wie genau sie in ­deutsche Hände gelangten. Wenngleich sich ­Silayo sicher ist, dass der Mantel, andere royale ­Gegenstände und die Hochzeitskleider geraubt sein müssen. Niemand gebe so etwas freiwillig her.

An manchen Tagen wollte er schon alles hinschmeißen und einfach nur nach Hause, sagt er. Die Hausregeln und der ganze Papierkram in Deutschland machen ihn mürbe. Sein Antrag auf Verlängerung des Visums liegt seit Monaten bei der Ausländerbehörde, aktuell hat er nur einen provisorischen Aufenthaltstitel. Erst kürzlich, als er von einer Konferenz in Südafrika zurückkam, hielt die Passkontrolle ihn fast eine Stunde hin, bevor sie ihn ins Land ließ. Traumatisierend war das: „Ich bin doch kein Sklave, ich bin ein freier, unabhängiger Mann.“ Es verletzt seine Würde.

Fiona Siegenthaler und andere Museumsmitarbeiter versuchen Silayo im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Arbeit zu erleichtern. Dafür sei er sehr dankbar, sagt er. Hunderte Seiten handgeschriebener Korrespondenzen tippte der Provenienzforscher des Museums, Markus Himmelsbach, in den Rechner und ließ sie dann für Silayo ins Englische übersetzen. Über 500 Fotografien von Objekten ließ das Museum anfertigen.

„Das Museum bewahrt und schützt die Objekte – sie dort einzusperren, ist für mich eine andere Art, den Völkern ihr Rechtzu verweigern“

Valence Silayo, zurzeit Stipendiat im Linden-Museum

Silayo nimmt die Fotos im Rahmen seiner Forschung mit an den Kilimandscharo. Um die Bedeutung vieler Gegenstände zu verstehen, muss er sie den Dschagga zeigen. Oft schlage ihm dabei Unverständnis entgegen. Die Menschen fragten ihn dann, warum er nicht einfach die Objekte selbst mitgebracht habe.

Für manche ist es aber auch eine Über­raschung, dass diese Objekte überhaupt existieren. Ist es also denkbar, dass es eine gewisse Form von Dankbarkeit gibt? Dafür, dass die Deutschen die Objekte erhalten haben? „Nein!“, schießt es aus Silayo hervor. „Das würde ich nicht sagen! Die königlichen Gegenstände wurden von Generation zu Generation weitergegeben.“ Die Materialien zu erhalten, das hätte man auch selbst geschafft.

Valence Silayo verlangt von Deutschland nicht nur eine Entschuldigung für die Kolonisierung, sondern die volle Übernahme von Verantwortung für die Geschichte. Das heißt für ihn: Alle Gegenstände der Dschagga müssen über kurz oder lang wieder an Tansania zurückgegeben werden. In seinen Worten: „Es ist ihr Erbe, sie wollen es zurückhaben, sie wollen es sehen und sich damit wieder verbinden!“

Zweite Etage, in der „Orient“-Ausstellung, eine Wand mit blauen Ornamenten. Eine Klinke ragt unauffällig aus ihr heraus, die Tür ist kaum sichtbar. Direkt aus Arabien geht es in die schmucklose Realität eines Büroflurs. An dessen Ende sitzt Museumsdirektorin Inés de Castro in ihrem lichtdurchfluteten Büro. Das Museum sei sehr offen für solche Restitutionen, sagt sie. Man habe auch schon Objekte an Namibia zurückgegeben. Am Ende aber entscheidet die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg. Ihnen gehören formal die Artefakte. Sobald Tansania sie zurückfordert, kann ein Restitutionsprozess beginnen.

Eingang zum Linden-Museum in Stuttgart

Und gerade das scheint jetzt auch angestoßen zu werden: Mitte März hat eine offizielle Delegation aus Tansania deutsche Museen besucht, um Kulturgut zu sichten. In Stuttgart trafen sie auch Valence Silayo. Eine Erklärung und erste Rückgabeforderungen könnten bald folgen. Es wird aber wohl noch einige Zeit und das Ausfüllen vieler Formulare brauchen, bis die Dschagga ihr Erbe zurückbekommen. Silayo kennt dieses Spiel mittlerweile. Kein Nein, kein Ja – sondern eine unendliche Kette von „Wir prüfen das“.

In Moshi, der Hauptstadt der Kilimandscharo-Region, sei man schon weiter, erzählt Silayo. Ein Kulturzentrum solle hier entstehen, mit Regionalmuseum für die zurückgegebenen Objekte und einem Friedhof für rückgeführte Gebeine. Auch einen Ort dafür gebe es schon. Für die Finanzierung des Vorhabens haben Silayo und ein Kollege Förderanträge bei deutschen Stiftungen gestellt.

Wenn die Objekte erst mal in den Händen der Communities sind, dann könne man einige ausgewählte ja auch in Deutschland zeigen, meint Silayo. In Planung ist das sowieso: Kuratorin Siegenthaler und er bereiten eine Ausstellung für den September 2025 vor. Bis dahin bleibt der purpurrote Königsmantel sicher in Stuttgart.

Im Arbeitsraum 008 steht Valence Silayo vor dem Gewand. Er spricht mit ruhiger Stimme, auch die scharfen Worte. Er erzählt, wie die Nachkommen der Königsfamilie in Tränen ausbrachen, als er ihnen ein Foto des roten Mantels zeigte. Und auch Silayos Pupillen glänzen bei dieser Erinnerung. Er hätte sich gewünscht, ihnen mehr als ein Foto zu bringen. Aber in Deutschland braucht Aufarbeitung Zeit. Und Formulare. Und Geduld.

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