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Deutschland würde doch niemals eine Holocaust-Überlebende ausweisen, glaubt Klara Goldenberg Foto: Miriam Klingl

Nach dem 7. Oktober, als Lena Kernerman klar wurde, dass ihre Mutter auf keinen Fall in ein Land im Krieg zurückkehren konnte, hätten sie und der Anwalt ihre Bemühungen intensiviert. Der Anwalt reichte nach etwa einem Jahr, im September 2024, eine Untätigkeitsklage ein, eine Klage also, die die Behörde dazu auffordert, über einen bereits gestellten Antrag zu entscheiden.

Am 20. Dezember 2024 schickte das LEA dann einen Bescheid. Darin teilte die Behörde der 83-Jährigen mit, dass man ihren Antrag abgelehnt habe, forderte sie dazu auf auszureisen und drohte die Abschiebung an. „Sofern Sie nicht bis zum 16. Januar 2025 freiwillig ausgereist sind, werde ich Ihre Ausreise in Ihren Herkunftsstaat Israel oder in einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, zwangsweise durchsetzen“, heißt es in dem Bescheid. Falls sie abgeschoben werde, werde außerdem ein einjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet.

Die Behörde begründete ihre Ablehnung damit, dass Klara Goldenberg nicht ausreichend habe nachweisen können, über welche Quellen sie ihren Lebensunterhalt sichern werde. „Besondere Härten seien nicht ersichtlich“, heißt es in der Ablehnung. Wenn sie nicht freiwillig ausreise, müsse eine Abschiebung in die Wege geleitet werden.

Der Text dieser Ablehnung traf Lena Kernerman mit Wucht, wie sie berichtet. „Nach dem Bescheid war ich so schockiert“, sagt sie. „Sie haben ja sogar entschieden, dass sie Deutschland verlassen soll.“ Das habe sie ihrer Mutter bis heute nicht übersetzt. „Es würde ihre Ängste nur verstärken“, sagt Kernerman. „Sie spürt sowieso schon, dass es nicht so gut läuft.“

Stattdessen habe sie ihr gesagt, dass der Aufenthalt noch nicht geklärt sei. „Ich habe versucht, zu verstehen, woran die Ablehnung liegen könnte“, sagt Kernerman. „Meine Mutter sagt mir, ich müsse etwas falsch gemacht haben, Deutschland würde niemals eine Holocaust-Überlebende ausweisen. Sie hat großes Vertrauen in die Behörden hier.“

Goldenberg nickt und guckt leicht missbilligend, als Kernerman es ihr übersetzt. „Es ist ihr sehr wichtig, nichts falsch zu machen und alles gut zu regeln“, sagt Kernerman. „Es wird wohl keine Polizei kommen – aber es ist einfach wichtig, dass alles geklärt ist“, sagt Kernerman.

„Das Gericht und das LEA wussten, dass Frau Goldenberg Holocaust-Überlebende ist“, bestätigt auch Muhammad-Imtyaz Nawaz, der Anwalt, auf Nachfrage der taz. Es sei aus seiner Sicht nicht entscheidend für das Verfahren. Der Tochter sei es aber sehr wichtig gewesen, daher habe er diesen Nachweis vorgelegt.

Wie es Klara Goldenberg in Berlin geht? „Das Wichtigste ist, dass sie bei der Familie ist“, übersetzt Kernerman. „Auch für mich wäre es undenkbar, sie in ein Altenheim zu geben, sie hat viele soziale Ängste, das wäre nicht gut für sie.“ Sie möchte ihre Mutter in so einem Zustand auch auf keinen Fall allein in Israel wissen. „Wenn sie hier nicht bleiben darf, wäre die einzige andere Möglichkeit, dass ich mit ihr nach Israel gehe. Aber das will ich nicht: Ich habe mein Leben, meine Kinder und meine Arbeit hier“, sagt sie. Außerdem fürchtet sie, dass die Ängste ihrer Mutter in der Kriegssituation in Israel noch weiter zunehmen könnten.

Mit ihrem Anwalt haben sie nun gegen den Bescheid geklagt, das Verfahren läuft noch. Goldenberg hat für die Dauer des Verfahrens zunächst eine Duldung bis Ende Oktober bekommen. Sie und ihre Tochter sind nun aufgefordert, nachzuweisen, dass Goldenberg ihren Lebensunterhalt und die Krankenversicherung aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Lena Kernerman hat bisher keine Krankenkasse gefunden, die ihre Mutter aufnehmen würde, die privaten hätten nicht mal geantwortet. „Dabei braucht es eine Ablehnung, damit das Sozialamt vielleicht doch der Aufnahme in eine gesetzliche Kasse zustimmt“, sagt sie. Anwalt Nawaz ist zuversichtlich, dass dies durch ihre Rente aus Israel und die finanziellen Zusagen von Kernerman und ihrem Ex-Partner möglich sein wird – und dass das Gericht damit auch dem Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zustimmt.

Doch er kennt und versteht auch die Sorgen seiner Mandantin und ihrer Tochter. „Dass ihre kranke Mutter das Land verlassen soll, obwohl sie ja gar nicht vom Staat leben will, das hat ihr sehr zugesetzt“, sagt er. „Solche Schreiben, wenn die in der Welt sind, die stressen“, sagt Nawaz. „Und die Ausländerbehörden nehmen diesen Stress nicht weg.“

Er habe zahllose Fälle, in denen er Menschen vertrete, die für ihre Arbeit oder ihre Wohnung eine Bescheinigung von einer Ausländerbehörde bräuchten – und ewig darauf warten müssten, erzählt er. „In meiner Arbeit sehe ich, dass es bundesweit in nahezu jeder Ausländerbehörde diese Probleme gibt.“ Nawaz findet: „Sie spielen mit der Zukunft der Menschen. Und sie spielen mit der Zukunft des Landes.“

Auch aus der Politik gibt es Kritik an der Behörde. „Das LEA ist seit mehr als zwei Jahren nicht mehr funktionsfähig“, sagt Jian Omar, Sprecher für Migration, Partizipation und Flucht der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Der Leiter der Ausländerbehörde hat uns immer wieder im Innenausschuss berichtet, dass es keine Termine gibt und das LEA faktisch nicht erreichbar ist“, sagt er. „Erst in diesem Jahr hieß es, dass es im Vergleich besser geworden sei und der Terminstau abgenommen habe.“

Trotz dieser Rahmenbedingungen findet es Omar „absurd und skandalös“, dass die Behörde einer 83-jährigen israelischen Staatsbürgerin und Holocaust-Überlebenden einen Bescheid mit Abschiebeandrohung schicke. Die Länder hätten schließlich große Spielräume darin, wie sie Aufenthaltsrecht auslegten.

„Gerade in solchen Fällen, wo wir in Deutschland eine besondere Verantwortung haben, erwarte ich mehr Sensibilität“, sagt der Grünenpolitiker. Wenn die Behörde sich ausführlich mit dem Fall befasst hätte, hätte sie aus seiner Sicht zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. „Erst vor ein paar Tagen sind sogar Bomben auf den zentralen Flughafen von Israel gefallen“, sagt er. „Es muss klar sein, dass das ein Land im Krieg ist, in das eine 83-Jährige nicht abgeschoben werden darf.“

Das LEA sei damit von seinem eigenen Anspruch, eine Willkommensbehörde zu sein, weit entfernt. „Eine Einwanderungsbehörde sehe ich in der Verantwortung, auch zu beraten. Und wenn ein Paragraf nicht passt, dann wäre es folgerichtig, darauf hinzuweisen, welche anderen Möglichkeiten der Antragstellerin offenstehen oder welche Unterlagen sie nachreichen muss, bevor sie so eine Ablehnung aussprechen“, so Omar.

„Sie spielen mit der Zukunft der Menschen“

Anwalt Muhammad-Imtyaz Nawaz

Auch beim Landesamt für Einwanderung hakt die taz nach. Zu Einzelfallentscheidungen könne man sich „aus grundsätzlichen Erwägungen heraus“ nicht äußern, teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit. Bearbeitungszeiten würden statistisch nicht erfasst, schreibt er auf die Frage nach der durchschnittlichen Dauer, die das LEA braucht, um Anträge zu bearbeiten. Nachfragen könnten über das Kontaktformular auf der Webseite gestellt werden. Der Sprecher teilt allgemein mit, dass für An­trags­stel­le­r*in­nen aus dem besagten Personenkreis „in begründeten Fällen“ auch eine Aufenthaltsbewilligung nach einem anderen Paragraf oder über die Härtefallkommission in Betracht komme.

Und am selben Tag, an dem das LEA der taz antwortet, bekommt auch Lena Kernerman eine Mail. Man habe sich ihren Fall noch mal angesehen. Die Mutter – oder sie in Vertretung – solle am 15. Mai zu einem Termin kommen, die Behörde stellt einen Aufenthalt für fünf Jahre in Aussicht.

Der Anwalt sagt, dies sei „rechtlich ungewöhnlich“. „Ich hoffe, dass wir dann alles klären können“, sagt Kernerman. „Meine Mutter hat drei Tage später Geburtstag – das wäre ein schönes Geschenk.“

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