: „Ein-Euro-Jobber zahlen keine Kirchensteuer“
Er ähnelt Oskar Lafontaine nicht nur äußerlich – er ist auch genauso schlecht zu sprechen auf die SPD: Jürgen Klute, Spitzenkandidat der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, hat den Glauben an die SPD verloren. Der Herner Sozialpfarrer will Nichtwähler mobilisieren und absurder Kostenlogik eine qualifizierte Opposition entgegensetzen
taz: Schwächt die Wahlalternative nicht das linke Lager?Jürgen Klute: Rechnerisch könnte das so sein. Doch bisher haben die Leute aus Frust über die SPD lieber auf ihr Wahlrecht verzichtet.
Die meisten Experimente links von der SPD waren nicht erfolgreich.
Jetzt ist der Unmut größer: Die Leute nehmen wahr, dass der Unterschied zwischen SPD und CDU marginal wird.
Aber es gibt Unterschiede bei der Flexibilisierung am Arbeitsmarkt oder den Studiengebühren.
Ich habe Zweifel, dass die SPD das durchhalten wird. Wenn ich mir Hartz IV anschaue, dann ist der Unterschied nur graduell.
Hartz IV will Menschen wieder anregen.
Das passiert nicht. Es liegt dem eine falsche Analyse zugrunde: Es wird gesagt, dass Arbeit zu teuer ist. Schau ich mir aber an, welche Rationalisierungsfortschritte gemacht werden, dann hat das nichts mit Kosten zu tun.
Sondern?
In Rüsselsheim wird der Opel-Vectra hergestellt. Mit der Einführung des letzten Modells haben sie 40 Prozent Produktivitätssteigerung gehabt. Aber die SPD bestreitet die technologisch indizierte Arbeitslosigkeit.
Noch einmal: Durch die Hartz-Gesetze soll den Erwerbslosen etwas angeboten werden.
Es wird nur gefordert. Den Leuten wird unterstellt, sie hätten ein Motivationsdefizit. Das zentrale Problem ist aber das Wegbrechen von Erwerbsarbeit. Selbst wenn sie Ein-Euro-Jobs durchlaufen, haben sie kaum eine Chance auf einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt. In skandinavischen Ländern wurden andere Pakete geschnürt: Die haben höhere Steuern. Die Privatisierung ist geringer. Und in vielen anderen Industrieländern gab es hohe Lohnsteigerungen. Aber hier verhandelt die Bauindustrie über zehn Prozent weniger Lohn.
Wie erklären Sie sich die deutsche Politik?
Die Orientierung an den Kapitalgebern wird stärker. Das amerikanische Aktienrecht wurde eingeführt. Das andere ist die Steuergesetzgebung, die Lage der öffentlichen Kassen. Das kriegst du bei der Wohlfahrt zu spüren. Was öffentlich finanziert wird, ist bedroht. Und im nördlichen Ruhrgebiet kann ich das nicht mit Elternbeiträgen auffangen.
Warum nicht?
Wir bekommen etwa für die Vormittagsbetreuung 10.000 Euro im Jahr von der Landesregierung. Den Rest sollten wir uns bei den Eltern holen, das sind bis zu 140 Euro im Monat. Aber die Leute haben keine 140 Euro.
Aber mit der CDU würde das Zentrum ganz zugemacht...
Wir haben jetzt schon ein Finanzproblem.
Dennoch wollen viele linke Wähler Rüttgers und die FDP verhindern.
Eine andere Politik ist eher durchsetzbar, wenn eine starke Opposition da ist. Wir müssen feststellen, dass die sozialen Einschnitte nach 1998 größer wurden. Die Leute denken nun: Politik kann nur noch Sozialeinschnitte machen.
In einer Regierung müsste das auch die WASG tun...
Deshalb sagen wir wie die Grünen vor 25 Jahren: Es geht um Opposition. Wenn du jetzt in eine Koalition gehst, dann müsstest du Sachen mitmachen, die an Identitäten rütteln.
Kann man Hartz auch ernst meinen?
Ja, als eine Verlagerung von Verantwortung: Ministerpräsident Steinbrück schrieb 2003 in der ZEIT, dass sich Politik nur um die Leute zu kümmern habe, die etwas für die Gesellschaft tun.
Aber woher kommen neue Jobs?
Du musst die Arbeitszeit anders verteilen. Wir haben doch bereits eine gewaltige Arbeitszeitverkürzung durch die fünf Millionen Arbeitslosen. Ich arbeite in der Kirche schon lange über die Zukunft der Arbeit. Und das hat große Schnittmengen mit der WASG.
Die Kirche belässt es bei Appellen...
Das reicht aber nicht aus. Wir haben immer wieder versucht, mit Personen aus der SPD zu diskutieren. Ob das Müntefering oder Wolfgang Clement waren, sie bleiben bei ihrer Kostenlogik.
Die sind fixiert auf die Großindustrie, auf eine Interessengemeinschaft von Großindustrie, starken Gewerkschaften und Sozialdemokraten. Wenn sie zugestehen, dass sie hier Arbeit aufgeben müssen, dann müssten sie einräumen, dass ihre Machtbasis verschwindet. Deshalb wird versucht, die alte Industriestruktur zu verlängern.
Die Landesregierung hat sich doch dem Strukturwandel verschrieben.
Aber schauen wir uns das Centro an. Das war einer der Versuche, riesige Mengen Arbeitsplätze zu kriegen, die unter anderen qualitativen Bedingungen laufen. Ähnlich läuft es bei den haushaltsnahen Dienstleitungen. Die Regierung will die Leute in Arbeit bringen, unabhängig von der Qualität.
Es gibt Menschen in der SPD, die sind gegen diese Reformen, wollen aber weiter um die Parteimehrheit kämpfen: Die WASG ist für die eine Sekte.
Aber wenn wir eine Sekte wären, hätten wir nicht 128 Kandidaten aufstellen können.
Sekten sind organisiert.
Keine politische Sekte hat das geschafft. Auch die PDS nicht.
Aber aus der Kirche geht man doch auch nicht heraus.
Es hat in der Geschichte immer Punkte gegeben, da sich Kirchen abgespalten haben – die lutherische Kirche, die calvinistische.
Gibt es einen christlichen Grund die WASG zu wählen?
Es gibt einen kirchenpolitischen Grund: Die Kirche verdankt ihre Finanzkrise der neoliberalen Sparpolitik.
Sie sind im Auftrag des Herrn unterwegs!?
(lacht) Um es mal ganz platt zu machen: Von der Aufwandsentschädigung der Ein-Euro-Jobber wird keine Kirchensteuer bezahlt.
INTERVIEW: CHRISTOPH SCHURIAN