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Keine normale Beziehung

Berlin und Tel Aviv gehen am Montag eine Städtepartnerschaft ein. Das wirftin diesen Zeiten etliche Fragen auf. Die Antworten fallen unterschiedlich aus

Zeichen der Berliner Solidarität am Rande des Festivals of Lights – nun folgt die offizielle Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Tel Aviv Foto: Fabian Sommer/dpa

Von Klarissa Krause

Partys, queere Szene, Start-ups, teure Mieten: Vieles verbindet Berlin und Tel Aviv. Das wird nun offiziell – mit einer Städtepartnerschaft. Am Montag kommt der Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, zur Unterzeichnung nach Berlin. „Ich freue mich außerordentlich“, verkündete der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Jetzt könne man die jahrelange kulturelle und wirtschaftliche Verbindung zwischen den Metropolen vertiefen.

Im Abgeordnetenhaus beschlossen die Parteien die von CDU und SPD vorgeschlagene Städtepartnerschaft einstimmig. Geplant sind laut Melanie Kühnemann-Grunow (SPD) vor allem Begegnungen und Jugendaustausch.

„Bei aller Solidarität mit Israel sehe ich diese Partnerschaft mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Kühnemann-Grunow. Vor der massiven Zerstörung in Gaza und dem Leid der Zivilbevölkerung könne man die Augen nicht verschließen. „Aber Tel Aviv steht für etwas anderes“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die dortige Zivilgesellschaft protestiere gegen den Krieg, sei bunt, queer und offen. Genau wie die in Berlin.

Tatsächlich ist Tel Aviv im israelischen Kontext durchaus liberal, erklärt Gil Shohat, Leiter des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv. In der Selbstwahrnehmung sei die Stadt eine „Insel des Säkularismus“. Andererseits gebe es große soziale Ungleichheiten. Ron Huldai, seit 1998 Bürgermeister von Tel Aviv, habe zwar viele Start-ups in die Stadt gelockt, Tel Aviv aber auch an Investoren „ausverkauft“. Die Mieten seien extrem hoch. „Das geht mit Verdrängungsprozessen einher“, sagt Shohat. Eine weitere Ähnlichkeit zu der Stadt, die sich früher „arm, aber sexy“ nannte.

Es ist Berlins 19. Städtepartnerschaft. Neben Istanbul, London und Kiew zählen auch Warschau und Windhuk zumindest auf dem Papier zu Berlins engen Freund:innen. Für Tel Aviv ist Berlin die sechste Partnerstadt in Deutschland, insgesamt hat die Mittelmeermetropole 21 Städtepartnerschaften.

Mehrere Berliner Bezirke haben bereits ein Abkommen mit israelischen Städten und Gemeinden. Steglitz-Zehlendorf beispielsweise ist der israelischen Stadt Sderot seit 1975 freundschaftlich verbunden. Das gefällt heutzutage nicht allen: Im Herbst 2024 beschmierten Unbekannte die Beschilderungstafel auf dem Sderotplatz in Zehlendorf. Auch Blumen, die Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung dort niedergelegt hatten, wurden gestohlen.

Für das Land Berlin ist Tel Aviv die erste israelische Partnerin. Dabei heißt die Hauptstadt Israels eigentlich Jerusalem. „Das freiheitliche Tel Aviv passt aber viel besser zu uns“, findet Kühnemann-Grunow.

Durch die gemeinsame Geschichte mit Jaffa sei Tel Aviv auch „sinnbildlich für die Situation zwischen jüdischen und palästinensischen Staats­bür­ge­r:in­nen Israels“, sagt Gil Shohat. Die Bevölkerung von Tel Aviv sei bis auf Jaffa größtenteils jüdisch. Wenig bekannt ist: Viele Palästinenser, die 1948 aus Jaffa vertrieben wurden, flüchteten nach Gaza. Shohat erklärt, die meisten Bewohner Jaffas hätten deshalb dort Verwandte. Sie seien „sehr von der Katastrophe in Gaza betroffen“. Dies finde in den israelischen Medien wenig Beachtung.

Auch in Berlin hat der 7. Oktober Auswirkungen. „Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind antisemitische Vorfälle in Berlin gravierend angestiegen“, sagt Julia Kopp, die Projektleiterin von RIAS Berlin. Bei der Meldestelle für Antisemitismus seien allein in der ersten Hälfte des Jahres 2024 insgesamt 1.383 antisemitische Vorfälle eingegangen. „Das sind mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Dokumentation 2015.“ Auch die antisemitischen Gewalttaten hätten zugenommen.

Bei 71,6 Prozent der Vorfälle handelt es sich laut Kopp um israelbezogenen Antisemitismus. Dieser liege zum Beispiel vor, wenn dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen werde. Meistens sei israelbezogener Antisemitismus aber nicht das einzige Motiv bei einem antisemitischen Vorfall.

„Wir stellen fest, dass es immer wieder an Empathie und Solidarität mangelt“, sagt Julia Kopp. Betroffene von Anfeindungen im öffentlichen Raum erführen oft nur wenig Unterstützung durch umstehende Menschen. Deshalb brauche es klare und glaubwürdige Positionierungen seitens Politik und Stadtgesellschaft, sagt Julia Kopp. „Dazu gehört auch eine klare und transparente Bestimmung von Antisemitismus.“

Der Regierende Bürgermeister betonte in einem Statement zur Städtepartnerschaft seine Verantwortung für den „Schutz jüdischen Lebens in unserer Stadt“. Dass die Partnerschaft beim Kampf gegen Antisemitismus in Berlin hilfreich sei, erwartet Melanie Kühnemann-Grunow nicht.

„Hier in Tel Aviv wird die geplante Städtepartnerschaft gar nicht wahrgenommen“, sagt Gil Shohat. Vielmehr seien die aktuellen Gedenktage im Land Thema. Dazu gehört der „Jom haScho’a“, also der Tag des Gedenkens an die Opfer der Shoa. Und innenpolitisch sei die Stimmung sowieso aufgeheizt. Der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai, schon seit Jahren ein Kritiker Netanjahus, stehe aufseiten der Protestbewegung, erklärt Shohat. „Er hält sich aber zurück.“

In Tel Aviv gehen regelmäßig Tausende für die Freilassung der Geiseln auf die Straße. Auch der Streit um die Justizreform ist wieder voll aufgeflammt. Zuletzt beschloss die israelische Regierung Ende März, dem Parlament bei der Ernennung von Rich­te­r:in­nen mehr Macht einzuräumen. Dies wird als ein weiterer Angriff auf die Gewaltenteilung im Land kritisiert.

Ein echtes Signal für Frieden wäre eine Städtepartnerschaft mit einer palästinen­sischen Stadt

„Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza wird in den Protesten meist ausgelassen“, sagt Gil Shohat. Der Grund: die Einigkeit solle nicht gefährdet werden. Doch das Entsetzen über die Situation in Gaza wachse. So haben in den letzten Wochen 4.000 bis 5.000 Menschen mit Bildern von getöteten Kindern aus Gaza gegen die israelischen Kriegsverbrechen demonstriert. Dabei ging es auch um eine „politische Lösung der Situation zwischen Israelis und Palästinensern“, sagt Shohat.

Die Protestbewegung sehe er mit Respekt, sagt Ferat Koçak (Linke) und fordert, dass auch kritische Stimmen im Dialog zwischen den Städten ihren Platz finden – „nicht nur die politischen Entscheidungsträger“. Gleichzeitig kritisiert der Bundestagsabgeordnete den „brutalen Krieg im Gazastreifen“, bei dem schon zehntausende Zi­vi­lis­t:in­nen getötet wurden. Er betont zudem die „massive Ausweitung von Siedlungen und Vertreibungen im Westjordanland“. An beiden sei auch das wirtschaftlich starke und politisch wichtige Tel Aviv beteiligt. Eine Städtepartnerschaft ohne öffentliche Distanzierung von der israelischen Kriegsführung hält Koçak deshalb für „moralisch fragwürdig“.

„Ein echtes Signal für Frieden“ wäre laut dem Linken-Politiker eine zusätzliche Partnerschaft mit einer palästinensischen Stadt – etwa Ramallah, Nablus oder Gaza-Stadt. „In meinem Bezirk Neukölln lebt die größte palästinensische Community außerhalb Palästinas“, sagt Koçak. Er halte es für wichtig, dass ihre Perspektiven in diesem Diskurs Gehör finden. Sollte der Senat keine Partnerschaft anstreben, werde er in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln den Anstoß dafür geben.

Am Montag kommt erst einmal Ron Huldai nach Berlin. Bis Redaktionsschluss waren noch keine Gegenproteste angemeldet. Gegen Nachmittag werden das Tel Aviver Oberhaupt und der Regierende Kai Wegner die Städtepartnerschaft im Roten Rathaus unterzeichnen.

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