: Handylautstärke aufs Maximum stellen
Das deutsch-schweizerische Theaterkollektiv Henrike Iglesias setzt im Theater an der Parkaue mit seinem interaktiven Stück „Newsroom“ auf demokratische Mitbestimmung im Journalismus
Von Alissa Geffert
Bei der heutigen Premiere im Theater an der Parkaue wird das Publikum mal nicht gebeten, die Smartphones in den Flugmodus zu versetzen, ganz im Gegenteil: „Bitte holt sie raus – und nutzt sie während der gesamten Vorstellung!“, heißt es. Es ist die Premiere von „Newsroom“, der neuesten Produktion des deutsch-schweizerischen, feministischen Theaterkollektivs Henrike Iglesias, das sich dieses Mal mit zehn jungen Berliner*innen im Alter von 16 bis 21 Jahren zusammengetan hat – aber vor allem mit all seinen Besucher*innen. Denn diese werden schon im Foyer dazu aufgefordert, einen QR-Code zu scannen und die Lautstärke ihres Handys bitte auf das absolute Maximum zu stellen. Henrike Iglesias bedienen sich als Performance-Kollektiv gern interaktiven Formaten und binden technische Mittel breit in ihre Inszenierungen ein. Sie operieren an der Schnittstelle von Popkultur und Medien und beleuchten dabei massenmediale Phänomene und Plattformen hinsichtlich ihrer Bedeutung für unseren Alltag. Wie etwa den titelgebenden „Newsroom“.
„…und wir sind live in 5, 4, 3, 2, 1!“, tönt es zu Beginn von der Bühne, der Theatersaal scheint sich mitsamt typischem Jingle-Intro in eine Nachrichtensendung zu verwandeln. Prompt wird die Sendung aber unterbrochen und aus dem Publikum schalten sich einige Schauspieler*innen in die gerade berichteten News ein: „Das ist mir viel zu viel!“ / „Ich verstehe es nicht!“ /„Lieber schaue ich ein get ready with me!“
Schnell also wird klar: Eine klassische Nachrichtensendung wird man heute nicht bekommen. Vielmehr steht das News-Format als solches im Vordergrund. Das daraufhin erklärte Ziel der Vorstellung ist, gemeinsam eine Nachrichtensendung zu kreieren, die wir alle wirklich sehen wollen. Mit Hilfe der eigens für die Vorstellungen entwickelten interaktiven App soll der Theatersaal zur Redaktionssitzung werden. Im Saal leuchten nun fast 200 Smartphones mit quietschgrünen Displays auf. „Welche Schlagzeile würdest du gern mal lesen?“ ruft eine Performerin dabei ins Publikum, auf dem Smartphone gibt es jetzt kurz Zeit, etwas in ein Feld einzutragen. Auch Fragen zum eigenen Nachrichtenkonsum, oder zu Präferenzen Formats werden gestellt. Erste Umfragen, die live auf der Bühnenleinwand übertragen werden, zeigen: Nicht wenige im Publikum konsumieren gar keine klassischen Nachrichten mehr, sondern informieren sich vorwiegend über Social Media. Diese Antwortpräferenz gilt allerdings über alle Altersgruppen hinweg. Fleißig tippt das Publikum, bildschirmschonerartige Bubbles fliegen dazu über einen durchsichtigen Vorhang, bis sie sich an einer seiner Ecken stoßen.
Nach einer ersten, sehr intensiven Fragerunde geht es dann rüber in die Produktionsstätte – den Newsroom. Wie sieht so einer denn eigentlich aus? Ästhetisch jedenfalls anders als bei der Tagesschau: „Dein News“ heißt das Format der Spieler:innen – und ist quietschgrün wie die Displays im Zuschauerraum. Der „Newsroom“ wirkt wie eine Mischung aus Retro-Redaktion und Gen-Z: Zwischen antiquierten Geräten sitzen die jungen Redakteur:innen hier in futuristischen Kostümen, einige von ihnen tragen Ketten mit einer riesigen Büroklammer.
In der durchgängigen Interaktion mit dem Publikum, die diesem durchaus Kraft abverlangt, stellt der Abend nicht nur die politische Frage nach demokratischer Mitbestimmung im Journalismus, sondern erprobt sie gleich live. Wie sinnvoll ist es denn, wenn im Newsroom mitbestimmt wird? Zwischen den von ihnen vorgeschlagenen Themen wie Rechtsextremismus, Antifeminismus und Comedy wird deutlich: Nach den Klicks zu gehen, führt eher in die Irre. Am Ende steht also weniger eine Antwort als die Einsicht: Nachrichten brauchen mehr als Reichweite; sie brauchen Haltung, Verantwortung und gemeinsame Auseinandersetzung.
Weitere Vorstellungen: 22., 23., 24. Mai und 8. Juli
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