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Was zählt, ist auf dem Petersplatz

Es ist wieder Konklave-Zeit. Wie immer berichtet die Wahrheit live von der Papstwahl aus dem Estadio Vaticano in Rom

Eisenharter Stürmer des Vatikans in Purpurrot: Camillo „Don“ Ruini Foto: reuters

Von Michael Ringel

Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, wir melden uns hier aus dem herrlichen Estadio Vaticano, das mit rund 100.000 Zuschauern ausverkauft ist. Unter dem vom Architekturbüro Michelangelo wunderbar gestalteten Tribünendach ist die Stimmung euphorisch. Auch 5.000 Kollegen sind auf den Presseplätzen versammelt, um das Konklave gemeinsam mit Ihnen daheim live zu erleben.

Bei angenehmen Frühlings­temperaturen erwarten wir eine spannungsgeladene Partie mit allem, was ein Konklave zu bieten hat. Aber wie heißt es so schön: Das Konklave hat seine eigenen Gesetze. Der Ausgang ist ungewiss, wobei wir eins bereits vorab wissen: Am Ende werden wir einen verdienten Sieger haben. Oder wie der große Bochumer Papst Hermann I. einmal sagte: Hätte, wenn und aber, alles nur Gelaber.

Was zählt, ist auf dem Petersplatz. Das Spielfeld ist in einem guten Zustand, und die Mannschaften stehen auch schon bereit. Die Italiener wie immer lautstark und siegessicher. Aber heute könnten ihnen die Afrikaner einen Strich durch die Rechnung machen. Allerdings streicheln und tätscheln sie gerade wieder einmal die Köpfe der Einlaufkinder eine Spur zu lange und zu intensiv, als hätten sie seit Jahren keine Messdiener mehr gesehen.

Doch lauschen wir zunächst der Hymne: „Veni Creator“. Wer den Text mitlesen und vor allem mitsingen möchte, kann das wie immer auf unserer Teletextseite 666 tun …

So, meine Damen und Herren, hören Sie den Jubel? Eine erste La Ola streicht durch diesen römischen Hexenkessel. Die letzten Takte des Musikkorps der Schweizer Garde sind kaum verklungen, da bittet der Camerlengo Kevin Farrell die Spielführer zu sich und mahnt ein faires Konklave an. Artig reichen sich die Purpurröcke die Hände und tauschen Wimpel aus. Eine gespannte Erwartung liegt überm weiten Rund. Jedes Konklave beginnt bei null.

Steilpass aus den Wolken

Und schon geht’s los. Ein Auftakt nach Maß für die Italiener, die mit ihrem Star Pietro Parolin von Inter Mailand über den rechten Flügel kommen. Er pflückt den Steilpass aus den Wolken und – Foul! Foul! Der Camerlengo stürzt herbei und nestelt auch schon am Karton. Gelbe Karte! Zu Recht! Der Mann in Schwarz verwarnt Fridolin Ambongo Besungu, den beinharten Verteidiger von Real Madrid. Immer diese Nickligkeiten der Afrikaner. Eine solche Blutgrätsche gehört nicht in ein modernes Konklave. Wer da von internationaler Härte spricht, sollte sich anschauen, wie Parolin mit schmerzverzerrtem Gesicht hinaushumpelt an die Seitenlinie, gestützt von den Medizinmännern. Heiliger Himmel! Das sieht nicht gut aus. Hoffen wir, dass das Eisspray Wunder bewirkt.

Moment! Der VAR, der Vatican Assistant Referee, meldet sich aus dem Keller des Kölner Doms. Videobeweis! Rot! Glatt purpurrot für Besungu! „Camerlengo, wir wissen, wo dein Auto steht!“, schallt es aus der Kurve der Ultras von Opus Diego.

Ein Konklave ist eben kein Mädchenpensionat. Auch wenn sich manche Mitwirkenden das wahrscheinlich wünschen. Es zählt nur das Ergebnis. Und weiter geht’s mit der ersten Standardsituation. Die Afrikaner bilden eine Mauer, der Camerlengo muss sie noch auf den Neunmeterfünfzig-Abstand bringen. Für die Italiener tritt Pierbattista Pizzaballa von Juventus Turin an. Ein Doktor Hammer vor dem Herrn mit einem mächtigen Bums. Er zieht ab, und der Keeper hält.

Jetzt ein Befreiungstheologenschlag aus dem Strafraum der Kongregation direkt ins gegnerische Feld. Doch der Assistent des Inquisitors auf der anderen Seite hebt sofort die Fahne. Das war nie und nimmer Abseits! Eindeutig eine Konfessionsentscheidung.

Ein energischer Pfiff des Camerlengo. Halbzeit im Estadio Vaticano. Der Pausentee wartet auf die Aktiven. Ein erstes Fazit lautet: Die Italiener lassen nichts anbrennen, die Afrikaner halten sich trotz einem Mann weniger wacker und an den Deutschen geht das Konklave bislang völlig vorbei. Wahrscheinlich entscheidet heute die Tagesform. Aber warten wir auf die zweite Hälfte, in der sich die taktischen Zwänge hoffentlich in Rauch auflösen. Bleiben Sie dran.

Und da sind wir auch schon wieder in der Vatikan-Arena von Rom. Die Luft flirrt vom Oblatenduft, der Messwein funkelt in den Plastikbechern, das Publikum feuert seine Lieblinge an. Es kann weitergehen. Und die Afrikaner kommen mit wehenden Soutanen. Hinten brennt es lichterloh bei den Italienern.

Und aus, aus, das Spiel ist aus. Nein! Doch nicht. Pardon. Ich hatte schon weißen Rauch aufsteigen sehen. Aber das Feuer ist gelöscht, der Ofen kalt. Ohne Pyrotechnik auf den Rängen kann das ja nichts werden. Also plätschert die Partie pomadig vor sich hin. Ein Papst würde dem Konklave jetzt guttun.

Doch denken wir daran: Im Konklave ist alles möglich. Wobei für die Afrikaner offenbar nur eins wichtig ist: Hinten muss die Null stehen. Und die heißt Peter Turkson. Ein echter Bruder Leichtfuß. Der ghanaische Ausputzer lässt sich verladen von Camillo „Don“ Ruini, und es steht eins zu null für die Italiener. Ein humorloser Treffer wie aus dem Nichts. Ein Schuss, ein Strich. Ein Kabinettstückchen der hängenden Spitze, die dahin geht, wo es wehtut.

So können die Afrikaner nur noch Meister der Herzen werden. Immer dieses Klein-Klein. Auf dem tiefen Boden in der Sixtinischen Kapelle tun sie sich besonders schwer. Und gegen die italienischen Maurer mit ihrem Catenaccio einen Erfolg zu erzielen, ist schier unmöglich. Da kann nur noch ein Wunder von Bern helfen.

Nur noch wenige Minuten bis zum Abpfiff. Der Camerlengo schaut schon auf die Uhr, und die Assistenten bereiten den weißen Rauch vor. Die Italiener haben über den Kampf zum Konklave gefunden. Jetzt müssten die Afrikaner Moral zeigen. Aber ihr Credo, dass der Star die Mannschaft ist, hilft wieder einmal nicht. Sie sind eben traditionell eine Heimmannschaft. Erst wenn der Vatikan in Kinshasa steht, werden sie als Sieger vom Platz gehen.

Weiße Rauch gen Himmel

Der Schlusspfiff. Camerlengo Farrell hebt beide Arme und zeigt auf den Anstoßpunkt. Weiße Rauchfahnen wehen durch den römischen Himmel. Die Pyro ist gewaltig. Das Stadion bebt. Die Italiener liegen sich in den Armen. Sieg auf ganzer Grundlinie. Pietro Parolin reißt sich die Kapitänsbinde vom Arm und wirft sie in die Zuschauermenge. „Habemus Campione“, skandieren seine Fans. Und da: ein bewegender Moment. Die Zuschauer erheben sich von ihren Plätzen und applaudieren frenetisch.

Tatsächlich! Es ist Jesus von Nazareth United. Der Altinternationale klettert aus seiner Loge. „Inri! Inri!“, skandiert das ganze Stadion seinen Spitznamen. Gefillte Fische werden auf den Rasen geworfen. Seine Lieblingsspeise. Der einstige Fußballgott überreicht jetzt seinem Nachfolger unter Tränen den goldenen Meisterring.

Mit dieser ergreifenden Szene verabschieden wir uns und geben­ zurück aus Rom in die angeschlossenen ­Funkhäuser.

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