: Die Fernbedienung war’s!
Das deutsche Fernsehen wird interaktiv: Mitmachdienste wie „Betty“ und „Joca“ wollen müde Sofasitzer vom tristen TV-Alltag erlösen. Jetzt müssen bloß noch die Sender mitspielen
VON PEER SCHADER
Otti Fischer kann einpacken. Ende des Jahres bekommt „Der Bulle von Tölz“ Konkurrenz – von ungefähr sechs Millionen Privatermittlern. Die Zuschauer der Sat.1-Krimiserie sollen künftig kombinieren, wen der „Bulle“ am Ende verhaften wird. So stellen sich das jedenfalls die Entwickler beim Münchner Unternehmen Betty TV vor, das voraussichtlich im Dezember ein Gerät auf den Markt bringen wird, mit dem man interaktiv am TV-Programm teilnehmen kann.
Mitraten bei „Wer wird Millionär“ und abstimmen, ob Richterin Barbara Salesch auf „schuldig“ oder „nicht schuldig“ plädieren wird – all das soll künftig so selbstverständlich sein wie der Zuschauer-„TED“, der seit 20 Jahren Wettkönige bei „Wetten, dass …?“ kürt. „‚Betty‘ wird vieles ermöglichen, das es heute im Fernsehen so nicht gibt“, verspricht Christian Morawietz von Betty TV. Gesteuert wird das Mitmach-TV über die Betty-Fernbedienung, auf deren Display die von Sendung zu Sendung verschiedenen Interaktionen eingeblendet werden. Die Münchner haben große Pläne: „Zu jedem Format wird es eine Mitmachmöglichkeit geben.“ Zudem spekuliert die Werbeindustrie darauf, den Betty-Nutzern künftig parallel zu den im TV laufenden Spots Informationen zu ihren Produkten auf die Fernbedienung schicken zu können.
Der interaktive Spaß ist allerdings nicht völlig kostenlos: Die Zuschauer müssen erst einmal 30 Euro in die Hardware investieren und ihr TV-Gerät Betty-kompatibel machen, bevor sie den Kandidaten von Günther Jauch zu Hause die Show stehlen können (siehe Kasten).
Auch für einige Aktionen muss – ähnlich wie heute für SMS-Votings und Quizhotlines – gezahlt werden. Dafür laden die Nutzer einen Chip in ihrer Betty-Fernbedienung auf, von dem die Aktionen wie bei Prepaid-Handys abgebucht werden. Gewinnspiele sollen als Mitmachanreiz funktionieren. Dabei steht noch gar nicht fest, ob die Sender überhaupt mitspielen. ProSiebenSat.1 ist offiziell schon seit Monaten „sehr interessiert“ an Betty, Verträge wurden allerdings noch nicht unterschrieben. Beim Konkurrenten RTL lässt man durchblicken, fürs televisonäre Mitbestimmen weiterhin eher auf SMS und Telefon setzen zu wollen. Betty-Mann Morawietz glaubt dennoch, beide Sendergruppen in nächster Zeit für eine Kooperation gewinnen zu können. Auch Marcus Garbe vom Münchner Mitbewerber Interactiv muss die Sender erst noch von seiner Technik überzeugen. Anders als bei Betty werden die Mitmachdienste bei der Interactiv-Erfindung „Joca“ per Handy gesteuert. Dafür laden sich die Nutzer eine Software aufs Mobiltelefon. „Joca hat den Vorteil, dass keine SMS-Ziffern oder Begriffe eingegeben werden müssen, man kann mitmachen wie zu Hause am PC“, sagt der Garbe. Obwohl der Dienst seit Anfang des Monats zum Download bereit steht, ist Joca noch relativ unbekannt.
Die TV-Sender tun sich schwer, weil sie fürchten, mit neuen Angeboten die eigenen Mehrwertdienste zu kannibalisieren. Hinzu kommt, dass Joca längst nicht für alle Handy-Typen angeboten wird, weil die Software jedem Gerätetyp neu angepasst werden muss. Das ist ziemlich aufwändig und kostet ordentlich Geld.
Alexander Trommen vom Hamburger Dienstleister Minick sieht die schöne neue Fernsehwelt eher kritisch: „So gut Ideen wie Betty und Joca technisch auch sind – ich glaube nicht, dass sie sich in Deutschland durchsetzen werden.“ Entsprechende Erfahrungen hat Trommen bereits in Großbritannien gemacht. Minick koordiniert dort unter anderem die interaktiven Dienste für „Big Brother“. Obwohl die Briten schon seit längerem per Fernbedienung mitbestimmen können, sind die Nutzungszahlen rückläufig. Die Zuschauer interagieren lieber per SMS und Telefon. „Viele Anbieter überschätzen die Technikaffinität ihrer Kunden“, glaubt Trommen. Selbst wenn sich Dienste wie Betty und Joca in deutschen Wohnzimmern etablieren sollten, müssen Technikmuffel nicht verzweifeln. Schließlich kann man bei „Wer wird Millionär?“ schon heute ganz prima mitraten – zwar ohne interaktives Erlebnis und ohne Gewinnaussichten, dafür aber völlig kostenlos.