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kritisch gesehenHito Steyerl analysiert Kriegskunst auch in Braunschweig

Wissenschaft und Kunst in einen Dialog bringen soll die Technische Uni Braunschweig. Es hat die Idealbesetzung gefunden

In roten Sesseln den Drohnenangriff ganz entspannt genießen: Hito Steyerls 3-Kanal-Video „ExtraSpaceCraft“ Foto: Stefan Stark

Hito Steyerl setzt sich mit Bildpolitiken wie der Ästhetisierung des staatsmännischen Agierens weltweiter Autokraten mittels Anleihen an künstlerische Avantgarden auseinander und erforscht die Macht moderner Technologien. Als Dr. phil. und Professorin für „Aktuelle digitale Medien“ in München war die 1966 geborene Deutsch-Japanerin die ideale Besetzung für das Science and Art Lab der TU Braunschweig: Das will Wissenschaft und Kunst in ­einen Dialog bringen.

Zu sehen sind dort gerade zwei exemplarische, ältere Arbeiten Steyerls: „The Tower“ von 2015 und „ExtraSpaceCraft“ aus dem Jahr 2016. Beide reflektieren im weitesten Sinne Situationen eines Krieges, vor oder nach konkreten Ereignissen. Das erste Video thematisiert eine Vision des irakischen Diktators Saddam Hussein aus den 1980er-Jahren. Er beabsichtigte, die Stadt Babylon wieder zu errichten, vor allem aber, den symbolträchtigen Turmbau in Angriff nehmen. Nach alttestamentarischer Überlieferung steht der für die Hybris des Menschen, mit Gott auf Augenhöhe zu gelangen. Dieser konterte mit einer fundamentalen Kommunikationsstörung: Als alle Arbeitenden in unterschiedlichen Sprachen zu reden und denken begannen, kam das Bauvorhaben zum Erliegen. Ein IT-Unternehmen im ukrainischen Charkiw griff Husseins nie realisierte Idee für sein Computerspiel „Skyscraper: Stairway to Chaos“ auf. Aber eigentlich erstellen die Programmierer im osteuropäischen Billiglohnland im Auftrag internationaler, westlicher Kunden 3D-Simulationen von Gebäuden, um für diese Immobilien Sicherheitskonzepte zu entwickeln – in der prekären Situation einer Stadt, die in nur einer Stunde Fahrzeit vom russischen Aggressor per Panzer zu erreichen wäre.

Das zweite Video beschäftigt sich mit dem imaginären Potenzial der in mehreren Kriegen zerstörten nationalen Sternwarte des Irak. Drohnenflüge über die ruinöse Anlage werden von computeranimierten Aufnahmen der fiktiven Raumfahrtagentur „Spaceagency“ unterbrochen: Kos­mo­nau­t:in­nen in orangefarbenen Anzügen werben dafür, dass Raumfahrt auch auf der Erde stattfindet.

Ausstellung Hito Steyerl, Science and Art Lab, Waisen­hausdamm 8, Braunschweig, bis 31. 5.

Be­su­che­r:in­nen können die beiden 3-Kanal-Videos ganz entspannt auf futuristischen, roten Sesseln in einer roten Podest-Landschaft genießen, die den Ausstellungsraum vollständig ausfüllt. Denn auch das gehört zu Hito ­Steyerls Arbeiten: ein immersives Setting, vermeintlich weit weg von jeglich störender Realität. Bettina Maria Brosowsky

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