berliner szenen: Wollt ihr was?
Es ist Sonntag, 9.30 Uhr. Meine Freundin und ich sind mächtig verkatert. Wir haben einen Brand, einen Nachdurst, der mit Wasser oder Tee nicht zu stillen ist. Was wir brauchen ist eine Sprite. Studien haben bewiesen, dass Zitronenlimonade tatsächlich gegen einen Kater helfen soll, da sie den Abbau von Acetaldehyd beschleunigt. Wir brauchen ganz dringend eine Beschleunigung, wir hängen in den Seilen, wir brauchen eine Sprite.
Also irren wir durch die Straßen und Gassen Neuköllns, verwundert, wie stark die Sonne doch schon den Asphalt erhitzt hat und wie wenig Optionen wir vorfinden. Da ist eine stillgelegte Tankstelle, wir finden noch geschlossene Restaurants vor und Dutzende Cafés, deren Heißgetränke wir entschieden ablehnen. Hat denn kein Späti auf? Alles zu oder noch zu. Wie Touristen stehen wir auf offener Straße herum, die Handys gezückt, Google Maps konsultierend, prüfen verzweifelt, wo sich eine Oase in dieser glühenden Wüstenei befindet. „Hey, wollt ihr was?“
Wir gucken von unseren Bildschirmen auf. Vor uns stehen zwei Jungs, ich schätze sie auf acht und zwölf. Einer zeigt auf einen abgedunkelten Spätkauf.„Wollt ihr Getränke? Wollt ihr rein?“ Wir nicken entgeistert. Na klar wollen wir rein, wir sind verzweifelt! Die beiden Kids führen uns durch einen Hausgang, durch den Flur einer Wohnung, durchs DHL-Lager von hinten in den Laden. In der Dunkelheit wählen wir unsere Getränke, Tabak, Chips und zwei Snickers. Die Jungs tippen auf der Kasse herum, geben uns Wechselgeld heraus, so wie es zu Öffnungszeiten wäre. Danach schließen sie wieder ab und begleiten uns durch den Hintereingang zurück nach draußen. Ich deute auf die Sprite, ich bin so glücklich. Noch einmal bedanke ich mich. „Kein Problem, Diggi. Jederzeit wieder. Hier ist meine Karte.“
Lars Widmann
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