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Archiv-Artikel

Auf der Abschussliste

VOR GERICHT Polizist wegen sexueller Nötigung angeklagt. Auf dubiose Polizei-Ermittlungen folgt ein merkwürdiger und lautstarker Prozess

„Kündigen Sie, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werde ich Sie entlassen“

Kuno Lehmann, Polizeidirektor

„Wollen sie beweisen, dass Widerstand gegen eine Anklage des Staates unnütz ist?“ mosert Verteidiger Uwe Maeffert genervt Landrichter Alfons Schwarz im Verfahren gegen den Polizisten Kamiar M. an. Es sind nicht nur die cholerischen Ausfälle und der militärische Umgangston – „Stellen Sie ihre Frage, Herr Maeffert, aber Marsch!“ – die den Staranwalt auf die Palme bringen, sondern vor allem der Umstand, dass Schwarz für Ermittlungspannen Desinteresse zeigt, die eine Plausibilitäts-Überprüfung der Angaben des vermeintlichen Opfers erschweren.

Verfahren gegen Polizisten haben bekanntlich eigene Gesetze – offenbar auch, wenn es darum geht, Kollegen wie den Deutsch-Iraner Kamiar M. aus dem Polizeidienst zu drängen. M. ist der sexuellen Nötigung angeklagt. Er soll am 11. September 2007 seine Schulfreundin Meike W., mit der er derweil sexuelle Kontakte hatte, attackiert haben. Laut W. hatte der 29-Jährige Suizidabsichten geäußert. Als sie zu ihm in die Wohnung geeilt sei, habe er versucht, sich mit einem Bademantelgürtel zu strangulieren, so dass sein Gesicht blau angelaufen sei. Dann habe er sie plötzlich aufs Bett gerissen, in den Schwitzkasten genommen und sexuell bedrängt.

Tags darauf war Kamiar M. von Polizeidirektor Kuno Lehmann ins Präsidium zitiert worden. „Kündigen Sie selbst, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werde ich Sie entlassen“, erklärte ihm Lehmann. Obwohl M. unbewaffnet war, stürmte danach das Mobile Einsatzkommando Lehmanns Büro mit scharfen Waffen, den roten Laserstrahl mit dem Schusspunkt auf M.s Brust gerichtet nahmen sie ihn fest.

Zu diesem Zeitpunkt war Meike W. zu ihrer Anzeige noch nicht vernommen worden, bestätigt Fahnderin Birgit B. vom Dezernat Sexualdelikte (LKA 42) im Prozess, der seit Juni läuft. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Festnahme mit W. in der Rechtsmedizin befunden, wo keine Verletzungen festgestellt wurden.

LKA 42-Fahnder Thomas K. machte sich zeitgleich ohne Durchsuchungsbefehl in der Wohnung von M. zu schaffen und vernahm dessen Lebensgefährtin ohne Belehrung. An eine Belehrung, so K., habe er „überhaupt nicht gedacht“. In der Wohnung sicherte K. zwar das Bettlaken, aber nicht den Bademantelgürtel, der eine wichtige Rolle für Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin spielt. „Der Gürtel war nicht verfahrensrelevant, weil er ja zu jedem Haushalt gehört“, sagte K.

Auf die Idee, wie üblich Nachbarn als Tatzeugen zu vernehmen, da Meike W. laut um Hilfe gerufen haben will, kamen die LKA 42-Fahnder ebenfalls nicht. „Dafür kann ich keine Erklärung geben“, sagt Birgit B. „Es ist nicht gemacht worden.“ In erster Instanz, die mit Freispruch endete, hatte eine Nachbarin ausgesagt, im hellhörigen Haus keine Hilferufe gehört zu haben. Der Prozess wird heute fortgesetzt.KAI VON APPEN