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Archiv-Artikel

Pornoposing und Patriotismus

Alles in allem ein schöner, lehrreicher Abend: Die Berliner Hiphopper traten unter dem Motto „Berlin bleibt hart“ im „2BE-Club“ auf – das sind harte Männer, hochgehaltene Handycams und jede Menge Deutlichkeit auf dem Weg ins Comichafte

VON DETLEF KUHLBRODT

Die Ankündigung hatte interessant geklungen. „Nach dem Erfolg des Berliner Aggro-Labels und Rappern wie Sido und Bushido, die mit ihren direkten Texten in die vordersten Plätze der Charts stürmten (…), tauchen jetzt immer härtere Acts aus dem Underground auf und erobern die Massen. (…) Die Namen Frauenarzt, Bass Sultan Hengzt, Mr. Long und King Orgasmus One stehen für harten Rap, bei dem kein Blatt vor dem Mund genommen wird (…). Der korrekt krasse Stoff von der Straße.“

Unter dem Motto „Berlin bleibt hart“ traten die Berliner Hiphopper also am Pfingstmontag im „2BE-Club“ in der Ziegelstraße auf. Der „2BE-Club“ war früher das „WMF“, und als ich am Eingang sagte, ich wäre alleine gekommen, sagte der Mann an der Kasse, „dann pass mal auf“ – wie um anzudeuten, dass dahinten die besonders Harten wären und ich ein Weichei. Der Kollege Fotograf wartete draußen, weil es ihm drinnen zu laut war, aber so richtig superlaut war es eigentlich nicht. Drinnen vielleicht zweihundert Leute, der Raum also eher halbvoll. Die meisten waren kaum zwanzig, der Frauenanteil lag bei 5 Prozent, würde ich mal so sagen.

Grade hatte „Frauenarzt“ angefangen. „Frauenarzt“ rappt schon seit 92. Früher hatten er und Mr Long eine Crew aus 150 Leuten inklusive Sprayern, Breakdancern und befreundeten DJs, so hatte auf einer Internetseite gestanden. Die erste Auflage des ersten „Frauenarzt“-Albums habe noch ein Porno-Booklet gehabt – und „King Orgasmus 01“ und „Frauenarzt“ seien seit ihrer Schulzeit miteinander befreundet. Gemeinsam mit einem Kollegen sang „Frauenarzt“ seine Lieder: „Wir stehen auf Fotzen / wir stehen auf Titten / Jetzt geht es los: Arschficken!“

Dreißig Leute vor der Bühne machten begeistert mit und kannten alle Texte. „Ich bin ein Proll und kenn die Fraun.“ Es ging um nackte Muschis, harte Schwänze und solche Sachen. Eigentlich also Rock ’n’ Roll. Vielleicht steht im Hintergrund, dass das Weiche ja letztlich doch immer das Harte bezwingt, das Harte also eher in Bedrängnis ist.

Deshalb müssen sie immer härter werden, dachte ich mir. „Spreiz deine Beine / Zeig deine Fotze / und lass dich gehen.“ Wobei das Harte ja gleichzeitig auch ins Comichafte geht mit diesem ganzen Gepose. Und auch deshalb auf Ablehnung in vielen Kreisen stößt, weil Pornografie ein Kulturgut ist, das zwar als Großindustrie so mitläuft, von dem man aber nicht spricht. Während Frauenarzt mit schicker Brille davon sang, dass unsre Schwänze groß wären, dachte ich daran, wie ich am Freitagabend auf dem Festplatz des Karnevals der Kulturen war und wie dort ein deutscher DJ das Lied „Ring um die Eier“ – eine Coverversion von „Rings of fire“ – aufgelegt hatte. Der im gemütlichen Countrysound vorgetragene deutsche Beitrag zur Multikulturalität mit dem Refrain „Und ich wird geil, geil, geil und immer geiler – Ring um die Eier“ schien mir böse und fies zu sein, während „Frauenarzt“, „Bass Sultan Hengzt“ und „King Orgasmus One“, den sie zärtlich nur „Orgi“ nennen, irgendwie eher lustig waren, wie früher Fun-Punk.

Weil nicht ununterbrochen Fickwünsche im Porno-Rap erfüllt werden konnten, handelten manche Lieder auch davon, wie man zu Hause sitzt, mit seinem Schwanz in der Hand, oder feuchte Träume hat – „warum bist du jetzt nicht bei mir“.

Na gut, könnte man als alter Sack sagen, wenn man selber immer davon träumt, überall wild rumzuficken, und Frauen, die das auch gern tun, zu oft Nutten nennt, gibt’s vielleicht Probleme.

Auffälliger als das grelle Pornoposing war eigentlich der Patriotismus der Hiphopper. Nach jedem Stück wurde x-mal „Berlin“ gerufen. „Berlin ist die beste Stadt, Alter. Berlin ist ein Land. Berlin ist ein Kontinent. Berlin ist alles“, rief „Frauenarzt“ am Ende seines Auftritts. „Bass Sultan Hengzt“ schienen durchaus auch selbstironisch zu sein, wenn sie schwiegen, während das Publikum „Halt deine Fresse“ sang. Der DJ war auch prima und ein bisschen electroorientiert. Schön war es auch, wie die Leute „King Orgasmus“ mit begeisterten „King Orgi“-Rufen feierten. „Orgi“ trat mit „Godzilla“ auf. Zwei harte Männer, zwei verschiedene Styles. Zuweilen waren auch leichtbekleidete kleine Blondinen und Rapperinnen auf der Bühne. Gern wurde mit Handycams fotografiert.

Das Publikum war angenehm. Man entschuldigte sich, wenn man versehentlich jemanden gestoßen hatte und bedankte sich höflich, wenn man eine Zigarette bekam. Ein milchgesichtiger, knapp postadoleszenter Junge rief begeistert immer „Fotze“, so ganz für sich, und nach der Show standen die Rapper noch mit ihren Fans zusammen und beredeten Sachen. Es war alles in allem also ein schöner, lehrreicher Abend, der sich natürlich möglicherweise auch anders angefühlt hätte, wenn statt 200 2.000 Menschen dagewesen wären.