: S-Bahn wird zur Geisterbahn
Bahn-Tochter spart in den nächsten Jahren 875 Leute weg. Es trifft vor allem das Personal auf den Bahnsteigen. Gewerkschaft nennt die Pläne „völlig falsch“, Betriebsrat kündigt Protestkampagne an
VON ULRICH SCHULTE
Die S-Bahn GmbH bejubelt ihr zehnjähriges Betriebsjubiläum, doch die Beschäftigten – gar nicht in Feierstimmung – proben den Aufstand. Nach den Sommerferien wollen sie sich mit einer groß angelegten PR-Kampagne gegen Stellenkürzungen wehren: „Wir werden umfassend zu den Themen Sicherheit, Sauberkeit und Service informieren, um Kunden und Politikern klar zu machen, was die Einsparungen bewirken“, sagte Betriebsratschef Andreas Tannhäuser gestern der taz.
Die Kampagne wird mit Plakaten, Infozetteln und Veranstaltungen vor allem dafür werben, weiter Aufsichtspersonal in S-Bahnhöfen zu beschäftigen. „Ob es die schnelle Auskunft oder die Hilfe bei Übergriffen ist – Menschen auf den Bahnsteigen sind durch Sprechsäulen nicht zu ersetzen“, sagte Tannhäuser. Während der Tarifkonflikt bei der BVG gerade auf einen Streik zuläuft, schließt der S-Bahn-Betriebsrat einen Arbeitskampf aber aus. „Die Kollegen haben angefragt, aber wir sind durch den gültigen Tarifvertrag an die Friedenspflicht gebunden.“
Die S-Bahn plant in den nächsten fünf Jahren einen drastischen Stellenabbau: Von derzeit 3.750 Beschäftigen sollen 875 gehen, davon sind über 600 Bahnsteigaufsichten. Im Moment geben knapp 900 Mitarbeiter auf den Bahnsteigen Auskunft.
Dass sich das Unternehmen in dieser Größenordnung Leute sparen will, ist bereits seit vergangenem Jahr klar. Günter Ruppert, Vorsitzender der Geschäftsführung, betonte auf der gestrigen Geburtstags-Pressekonferenz noch einmal, die Rausschmisse seien „sozial verträglich“ – bevor er zur großen Lobhudelei ansetzte (s. Kasten). 2013 müsse die S-Bahn wettbewerbsfähig sein, denn dann könne der Senat Linien im Wettbewerb vergeben. Das „strategische Ziel“ sei der „Erhalt eines S-Bahn-Netzes aus einem Guss“, sagte Ruppert.
Die angekündigte Lobbyarbeit des Betriebsrates darf er getrost als Kampfansage verstehen. „Mit der Aktion möchten wir erreichen, dass die Geschäftsführung die Abbaurate halbiert“, sagte Tannhäuser. Höchstens 430 Stellen dürften wegfallen, und auch die nur auf lange Sicht, nämlich bis 2013. Die Geschäftsführung will schon in den nächsten fünf Jahren zuschlagen.
Mit der Forderung haben die S-Bahn-Beschäftigten die Gewerkschaft auf ihrer Seite. „Für den völlig falschen Weg“ hält Transnet-Sprecher Michael Klein das Wegkürzen der Bahnaufsichten. „Die Ansprechpartner erhöhen das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste enorm, anders als jede Videokamera.“ Klein kritisiert auch den Senat. Bis Ende 2001 überwies das Land der S-Bahn 230 Millionen Euro pro Jahr, nach dem neuen, 15 Jahre gültigen Verkehrsvertrag sind es 26 Millionen Euro weniger. „Die Politik muss sich überlegen, wie viel Service sie im Nahverkehr will.“
Trotz aller Kritik: Die S-Bahn-Beschäftigten müssen sich nicht auf das Schlimmste gefasst machen. Betriebsbedingte Kündigungen sind laut Haustarifvertrag ausgeschlossen. Die Stellen würden durch Altersteilzeitregelungen eingespart, sagt Bahnsprecher Burkhard Ahlert. Außerdem biete das Unternehmen Deutsche Bahn auch andere Tätigkeiten. Die Fahrgäste aber werden auf den meisten der 165 S-Bahnhöfe in und um Berlin nur noch ihresgleichen treffen. Lediglich auf 21 Stammstationen, die besonders gut frequentiert sind, wird es weiterhin Aufsichten geben, etwa an Zoo, Friedrichstraße oder Alexanderplatz.