Queere Spaces in Brandenburg: Bunt umzingelt von Braun-Blau
Der „Queer SafeSpace“ Falkensee ist ein geschützter Raum für queere Menschen. Angesichts des Rechtsrucks sind solche Anlaufstellen wichtiger denn je.

Falkensee boomt, wie der ganze Berliner Speckgürtel. Hier reihen sich Neubaugebiete aneinander, die Plätze in den Schulen und Kitas werden knapp. Einerseits Kleinstadt in Brandenburg, andererseits alles andere als Provinz. Und trotzdem, findet Herke, fehlte etwas in der Stadt: Orte, an denen sich queere Menschen geschützt austauschen können.
Insbesondere für junge Menschen sei bisher nicht ausreichend Angebot in der Stadt vorhanden, so Herke. Deshalb hat er den Queer SafeSpace ins Leben gerufen. Hier kann man sich über Probleme und Sorgen austauschen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, auf Unverständnis oder gar Anfeindungen zu stoßen. Neben dem Queer SafeSpace gibt es in der Stadt noch eine weitere Anlaufstelle für die queere Community: Das Regenbogencafé am Bahnhof.
Herke trägt Schiebermütze und Dreitagebart. Er ist 49 Jahre alt, verheiratet, arbeitet hauptberuflich bei einem Radiosender in Berlin. Seit 25 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für queere Rechte. Im Brandenburger Landesverband der Grünen ist er Ansprechpartner für Betroffene sexualisierter Gewalt. Herke versteht sich selbst als queer. Vor rund neun Jahren hat er eine Transition vollzogen. Trans* Menschen ergreifen in dieser Zeit Maßnahmen, um sich der eigenen Geschlechtsidentität anzugleichen. Dazu gehören Hormoneinnahme und Operationen.
Hasskriminalität gegen die LSBTIQ*-Community verzehnfacht
Nach einem kurzen Spaziergang sind fünf Teilnehmende des SafeSpace eingetroffen, mitsamt Schlüssel. Herke schließt auf. Öffentlich bekannt soll der Ort ihres Treffens nicht werden. Zu groß ist die Sorge vor Anfeindungen. Rund 20 Menschen sind derzeit Teil des Queer SafeSpace. Sie wollen queere Menschen ermutigen, sich zusammenzuschließen, sagen sie. Zeigen, dass man als queere Person nicht allein ist.
Mit ihren Klarnamen möchten sie nicht in der Zeitung genannt werden. Manche, weil sie bei ihren Verwandten nicht geoutet sind. Andere, weil sie nicht in der Stadt wiedererkannt werden möchten. Wieder andere befürchten, dass plötzlich Leute vor ihrer Tür stehen könnten, die ihnen nicht wohlgesonnen sind.
Das hat Gründe: Polizeiliche Statistiken verweisen auf eine zunehmende Bedrohungslage für queere Menschen. Laut Jahresbericht 2024 des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts gab es eine Verzehnfachung der Hasskriminalität gegen die LSBTIQ*-Community seit dem Jahr 2010. Von insgesamt rund 17.000 erfassten Fällen im Bereich der Hasskriminalität richteten sich 1.785 gegen LSBTIQ*-Personen. Im polizeilichen Lagebericht wird zudem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
In Brandenburg ist die Situation ähnlich: Waren es im Jahr 2022 noch 29 Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen, stieg die Zahl auf 61 im Jahr 2023 und noch einmal auf 84 im vergangenen Jahr. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums in Potsdam auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Noack hervor.
AfD schürt Hass gegen Queer Community
Stundenlang könnte sich Herke über die Situation für die queere Community im Land in Rage reden. Die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahl empfindet er als „desaströs“. In Brandenburg gewann die AfD in neun von zehn Wahlkreisen, mit Ergebnissen zwischen 30 und 42 Prozent. Insgesamt ist die AfD hier mit rund 22 Prozent die zweitstärkste Kraft nach der Union. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr wurde die rechtsextreme Partei mit 32,5 Prozent sogar stärkste Kraft.
Die AfD Brandenburg wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt. Queerfeindliche Parolen gehören beim AfD-Landesverband zur politischen Praxis. So äußerte sich unter anderem der AfD-Abgeordnete Hans-Christoph Berndt im vergangenen Landtagswahlkampf queerfeindlich. Er sprach von einer „kranken Ideologie des Regenbogens“. Als Ministerpräsident wolle er Regenbogenfahnen verbieten, so Berndt.
Diese menschenverachtende Fantasie stieß in Falkensee auf Zustimmung. Im Dezember vergangenen Jahres versuchte die dortige AfD-Fraktion, das Hissen der Regenbogenflagge an öffentlichen Plätzen und Gebäuden zu verbieten. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte den Antrag jedoch geschlossen ab.
Emily ist eine von fünf jungen Queers, die an diesem Abend zum SafeSpace gekommen sind. Neben ihr sitzen Izzy, Justus, Tobi und Toni. Sie sind zwischen 17 und 28 Jahre alt, studieren, arbeiten, machen eine Ausbildung oder ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Die Wahlergebnisse sind ein fatales Zeichen für die queere Community“, sagt Emily. Sie ist 19 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft in Berlin. Zusammen mit Tobi und Toni spielt sie in einer Band, mit der sie auch auf dem diesjährigen Christoper Street Day (CSD) in Falkensee auftreten möchten.
CSDs in Brandenburg trotz Neonazi-Aufmärsche
Die Sichtbarkeit der queeren Community steige seit ein paar Jahren, sagt Emily mit Blick auf die zahlreichen CSDs in Brandenburg. Im vergangenen Jahr wurde in vielen Städten für queere Rechte demonstriert. Darunter Potsdam, Cottbus, Eberswalde und auch Falkensee. In manchen Städten fand der CSD im vergangenen Jahr zum ersten Mal statt, in Falkensee gibt es ihn seit 2019. Vielerorts kam es dabei auch zu Bedrohungen durch Neonazi-Aufmärsche. In Zwickau etwa versammelten sich rund 150 Rechtsextreme der Kleinstpartei Der Dritte Weg. Unter Polizeischutz und trotz rund 650 extremen Rechten demonstrierten in Bautzen etwa 1.000 CSD-Teilnehmer:innen für queere Rechte.
In Falkensee sei die queere Community vergleichsweise noch gut aufgestellt, sagt Emily. Doch in weiten Teilen Brandenburgs sei man inzwischen „umringt von Blau“. Auch hinter der Stadtgrenze von Falkensee, in den kleinen Städten und Dörfern im brandenburgischen Umland. „Vielerorts gibt es keine aktiven queeren Repräsentant:innen.“ Queere Menschen seien dort im Alltag oft auf sich allein gestellt.
„Für queere Menschen in ländlichen Regionen ist die nächste Anlaufstelle teilweise bis zu 80 Kilometer weit entfernt“, berichtet Lars Bergmann, Leiter des Vereins Andersartig in Potsdam. Der Verein ist der Dachverband der LSBTIQ*-Community in Brandenburg und bietet unter anderem Beratung und Workshops für Schulen und Unternehmen an.
Anlaufstellen brauche es in jedem Landkreis, sagt Bergmann. „Lokale Initiativen und Engagierte benötigen mehr langfristige kommunale Unterstützung aus der Politik.“ Fördergelder und auch die Vergabe von Räumen, seien wichtig, um queeren Initiativen Teilhabe im ländlichen Raum zu ermöglichen.
Zunahme von Antifeminitsmus und Queerfeindlichkeit
Bergmann beobachtet seit einigen Jahren einen Anstieg an Beratungsbedarf. „Mit dem Aufstieg der AfD und dem Erstarken rechter Narrative haben Gewalt und Übergriffe gegen queere Menschen zugenommen“, stellt er fest. Seine Beratungsstelle registriere einen Anstieg physischer Übergriffe, queerfeindlicher Sachbeschädigungen und Bedrohungen sowie Einschüchterungsversuche.
Auch Studien zeigen: Antifeministische und queerfeindliche Einstellungen haben zugenommen. Die Autor:innen der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2024 stellen fest, dass rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung ein geschlossen antifeministisches und sexistisches Weltbild vertrete – sich also gegen feministische Bestrebungen wie die Selbstbestimmung von Frauen, Gleichberechtigung und die Bekämpfung von Sexismus stellt. Bei der Transfeindlichkeit sind die Werte mit 37 Prozent sogar noch deutlich höher.
Aufgeben will Herke trotzdem nicht. „Ich kann nicht einfach still dasitzen und nichts tun“, sagt er. Zusammen mit einem Teilnehmer des Queer SafeSpace hat er Anfang des Jahres eine Beratungsstelle in Falkensee ins Leben gerufen. Damit wollen sie den verbreiteten Vorbehalten gegenüber queeren Menschen entgegenwirken. Ob bei Fragen zum Coming-out oder zum Umgang mit dem queeren Enkelkind – die Beratungsstelle will sich an alle Menschen richten.
Juliane Wutta-Lutzmann, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftrage der Stadt Falkensee, begrüßt die Beratungsstelle, die nun auch auf der Webseite der Stadt beworben werden soll. „Die Stadtverwaltung ist auf die Unterstützung einer aktiven Zivilgesellschaft angewiesen“, erklärt Wutta-Lutzmann gegenüber der taz.
Für Emily ist vor allem eines wichtig: „Es wäre gut, wenn sich viel mehr Menschen mit Queerfeindlichkeit auseinandersetzten.“ Man müsse sich auch an die eigene Nase fassen und fragen: Welche Vorurteile habe ich denn eigentlich?
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