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Sie altern und verjüngen sich

Am Deutschen Staatstheater Temeswar inszeniert Bülent Özdil seine Bühnenadaption von Andrei Tarkowskis Spielfilm „Der Spiegel“ mit überzeugendem Ensemble

Bühnenprojektionen in „Der Spiegel“ am Deutschen Staatstheater Temeswar Foto: Rainer Buland

Von Sophia Zessnik

Ein sanft leuchtender Lichtstrahl bricht sich auf dem blauen Stoff eines Paravents und sorgt für einen warmen Schein. Dahinter könnte das Meer liegen. In der Ferne zwar, aber deutlich erkennbar durch ein geöffnetes Fenster. Eine leichte Brise würde hereinwehen, die Füße umspielen, die hinter dem Raumtrenner hervorlugen. So etwa könnte die österreichische Kaiserin Elisabeth zur Heilung ihrer Lungenerkrankung in ihrem Sanatoriumsbett auf Madeira gelegen haben.

Die Aussicht des Bettlägerigen auf der Bühne des Deutschen Staatstheater Temeswar bleibt dem Publikum indes verborgen. Die Kulisse in Bülent ­Özdils Bühnenadaption von Andrei Tarkowskis Spielfilm „Der Spiegel“ („Serkalo“), an deren linkem Rand sich das Krankenlager befindet, vermittelt Resignation: Den Boden bedeckt Erde, ein kleiner Teich fasst trübes Wasser, daneben leere Flaschen, Müll, ein alter Teddybär. Sie sollen wohl der nostalgischen Erinnerung an vergangene Zeiten den titelgebenden Spiegel vorhalten, den Blick in die vermeintlich bessere Vergangenheit trüben. „Ich liebe meine Erinnerung, möchte mir aber auch bewusst sein, dass nicht alles nur glücklich war“, beschreibt Özdil seine Absicht hinter der Adaption im Gespräch mit der taz.

Diese Diskrepanz zwischen dem, was man individuell zu erinnern meint, und dem, was sich zur selben Zeit kollektiv in die Geschichte eingeschrieben hat, ist zentrales Motiv in dem Werk des sowjetischen Filmemachers Andrei Tarkowski von 1975. Die Erzählung in „Der Spiegel“ folgt keiner Chronologie, wechselt diskontinuierlich zwischen Erinnerungssequenzen, die im Aufwachsen des Protagonisten Alexei für diesen prägend waren.

Tarkowskis Bildsprache, die zwischen Traumbildern und dokumentarisch anmutendem Material changiert, auf die Thea­ter­bühne zu bringen, scheint geradezu utopisch. Özdil selbst, der bei dem Projekt nicht nur als Regisseur fungierte, sondern auch Produktion, Kostüm und Bühnenbild verantwortete, sieht das Vorhaben als gescheitert an, sagt er vor der Premiere. Geschicktes Erwartungsmanagement oder realistische Selbsteinschätzung? Vielleicht beides.

Vorschusslorbeeren für sein persönliches Herzensprojekt gibt es dennoch: Am Abend der Premiere ist der Saal des Theaters fast bis auf den letzten der 100 Plätze belegt. Mit dieser Resonanz habe er nicht gerechnet, sagt Özdil, aber Tarkowski sei in Rumänien sehr beliebt. Die Idee, dessen autobiografisch geprägten Film als Theaterstück zu konzipieren, sei ihm allerdings schon vor seiner Spielzeit in Temeswar gekommen. Seit 2022 ist er in der westrumänischen Stadt am Theater tätig. Vorher arbeitete Özdil, der 1981 in Mittelfranken als Sohn sogenannter türkischer Gastarbeiter geboren wurde, in Salzburg. Dass man mit der deutschen Sprache auch außerhalb der DACH-Region am Theater arbeiten könne, habe ihn überrascht.

Temeswar oder Timișoara, wie es auf Rumänisch heißt, könnte ein Paradebeispiel für multikulturelles Zusammenleben sein, davon ist der 44-Jährige überzeugt. 200 Jahre hatte man Zeit, hier zusammenzuwachsen. Neben den Banater Schwaben – der ansässigen deutschen Minderheit – lebten auch Ungarn hier, deren Staatstheater sich die Räumlichkeiten mit denen des Deutschen Staatstheaters teilt. Dieses Nebeneinander funktioniere sehr gut, meint Özdil, Identitätsdiskurse in Deutschland nehme er als viel verhärteter wahr.

Die Herkunft als Identitätsmerkmal scheint auch bei Tarkowski durch, wenngleich subtil. Wenn Alexei seine Exfrau fragt, ob ihr neuer Partner Ukrai­ner sei, gewinnt der Text auf der Bühne plötzlich an Aktualität und macht zeitgleich deutlich, wie weit etwaige Konflikte zurückgehen. Während Tarkowski in seinem Film Kindheitserinnerungen an den Zweiten Weltkrieg einflicht, versucht Özdil einen Bezug zum immer noch andauernden Krieg in der Ukrai­ne herzustellen. Und scheitert, wie vorausgesagt. Nicht gänzlich, aber zumindest in einem wesentlichen Punkt: Statt dem Publikum den Raum für Assoziationen und eigene Empfindungen zu lassen, wird überbordend auf theatrale Mittel zurückgegriffen. Das Bühnenarrangement mit einer verspiegelten Trennwand, die den Blick auf eine zweite (Zeit-)Ebene freigibt, funktioniert einwandfrei. Je nachdem, wo sich die Darstellenden befinden – vor oder hinter „dem Spiegel“ –, wechseln sie die Rollen, altern oder verjüngen sich. Hier gelingt es Özdil wunderbar, die erzählerische Ambivalenz von Tarkowskis Film für die Theaterbühne zu übersetzen. Besonders Oana Vidoni und Ida Jarcsek-Gaza, als junge und alte Version von ­Alexeis Mutter begeistern in ihrem Spiel, und Rareş Hontzu, der leider nur Nebenrollen bekleidet, würde man gern länger zusehen.

Tarkowskis Bildsprache zwischen Traumbildern und dokumentarisch anmutendem Material scheint geradezu utopisch

Was nicht recht gelingen mag, ist der Einsatz von KI: Auf einer großen Leinwand werden immer wieder Bilder projiziert, die der traumhaft-poetischen Sprache Tarkowskis nachempfunden sind. Doch wollen sie nicht recht passen, ästhetisch weder zum Stile Tarkowskis noch zum übrigen Bühnenbild. Man könnte sie wohlwollend als gelungene Kritik an KI nehmen, die alles überschreibt, was den Menschen und sein ambivalentes Wesen ausmacht. Denn ihr Einsatz zeigt deutlich, wie die Darstellenden und das, was sie durch Text und Körperarbeit zu transportieren versuchen, von den KI-generierten Bildern überlagert wird.

Fast ist es so, als wollten durch sie und den Einsatz allzu dramatischer Musik Emotionen erzwungen werden, statt diesen Raum zu geben, sich subtil zu entfalten. So bleibt der anfängliche Moment, indem ein simpler Lichtschein genügte, um Assoziationen entstehen zu lassen, – ja um zu träumen – einer der wenigen, indem das gelingt.

Der Text entstand mit Unterstützung des Deutschen Konsulats Temeswar.

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