piwik no script img

Bürokratie und Computerfehler

Die britische Serie „Unschuldig – Mr. Bates gegen die Post“ erzählt von einem unglaublichen Justizskandal in England. Und von Bürgern, die sich wehren

Alan Bates (Toby Jones) und seine Frau Suzanne (Julie Hesmondhalgh) auf einem Treffen von Filial­leitern der Post Foto: ITV Studios/Little Gem/ZDF

Von Florian Schmid

In Jo Hamiltons Gemischtwarenladen gibt es nicht nur Konserven. Er ist auch eine kleine Postfiliale. Britische Provinz eben. Ganz idyllisch, ganz einfach. Doch als die 50-Jährige ihre Abrechnung macht, wird ihr ein größerer Fehlbetrag angezeigt. Hat sie die Rentengelder falsch ausgezahlt? Oder stimmt etwas mit dem neuen, ohnehin überfordernden Abrechnungsprogramm Horizon nicht? Bei der Hotline bekommt sie gesagt, sie sei die Einzige mit dem Problem. Aber „Unschuldig – Mr. Bates gegen die Post“ erzählt von einem der größten Justizskandale der jüngeren britischen Geschichte. Und in Wirklichkeit produziert das Ende der 90er Jahre eingeführte neue Computersystem der britischen Post Hunderte solcher Fehlbuchungen und Nachfragen. Mehr als 3.500 Postmitarbeiter wurden wegen fehlerhafter Software fälschlich beschuldigt, Gelder veruntreut zu haben. Zwischen 1999 und 2015 kam es zu mehr als 700 Verurteilungen, mehr als 200 Menschen gingen sogar ins Gefängnis. Das betraf vor allem kleine Postfilialleiter wie die eingangs erwähnte Jo Hamilton (Monica Dolan). Und auch sie wurde wegen Betrugs und Unterschlagung verurteilt.

Erst als der titelgebende Alan ­Bates (Toby Jones) an die Presse geht und sich betroffene „Sub-Post-Master“ zusammentun, um aktiv zu werden, ändert sich etwas. In Großbritannien sorgte die im Original schon im Januar 2024 auf ITV ausgestrahlte Serie für großes Aufsehen, und kurze Zeit später kündigte Premierminister Rishi Sunak an, ein Gesetz einzubringen, das die Fehlurteile aufheben sollte.

Eindringlich werden die drastischen Konsequenzen des Royal-Mail-/Horizon-Skandals gezeigt. Biografien wurden zerstört, Menschen verloren ihre Arbeit, wurden angeklagt, erkrankten teils schwer, verloren ihre Ersparnisse, Ehen zerbrachen, vier Betroffene verübten Suizid. Die Serie setzt auch die Halsstarrigkeit der Leitung der britischen Post in Szene, die keinerlei Fehler eingestehen will und so großen Schaden anrichtet. Wie sich herausstellte, erhielten Ermittler sogar Prämien, wenn sie Betroffene überführten. Es geht auch darum, wie erfolgreich eine Kampagne von unten Druck auf die Politik ausüben kann.

Wobei es Jahre dauerte, bis wirklich etwas passierte. Die Behörde war beim Verschleppen der Aufklärung eben sehr erfolgreich und spielte immer wieder auf Zeit. Die für das Programm zuständige Firma Fujitsu zog sich ebenfalls erfolgreich aus der Verantwortung, sogar als ein Whistle­blower vor Gericht aussagte, dass Datenmanipulationen an den Terminals der Poststationen von außen möglich waren, was Postleitung wie Software­hersteller immer wieder bestritten. Als es vor Gericht für die Chefetage der Post dann doch eng wurde, behaupteten ihre Anwälte, der zuständige Richter sei befangen – ein entscheidender Moment in der Serie.

Nach jahrelangem Kampf hat selbst der Moment des Triumphs einen faden Beigeschmack

Die Klage verzögert sich, der Kampagne um Alan ­Bates geht das Geld aus und die Postmitarbeiter müssen sich wohl oder übel auf einen Vergleich einlassen. Nach jahrelangem, aufreibendem Kampf gegen die Bürokratie und einen dummen Computerfehler hat selbst dieser Moment des Triumphs einen faden Beigeschmack.

Doch auch wenn die Serie hin und wieder arg auf die Tränendrüsen drückt, hat der Vierteiler eine empowernde Wirkung und erzählt lebendig davon, wie Menschen, die sich zuvor noch nie politisch betätigt haben, erfolgreich eine Kampagne aus dem Boden stampfen und sich endlich zur Wehr setzen.

„Unschuldig – Mr. Bates gegen die Post“, vier Folgen in der Arte-Mediathek und am 27. 3. ab 21.45 Uhr auf Arte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen