: Kreativ ohne Knete
Kunstvereine kämpfen mit Förderkürzungen, improvisieren aber weiter. In Wolfsburg wird 2025 das Abenteuer zum Thema – trotz knapper Kassen und unklarer Mittelvergabe

Von Bettina Maria Brosowsky
Kunstvereine gelten als Institutionen, die mit relativ bescheidenem Etat viel zu machen verstehen. So sieht es jedenfalls Christoph Platz-Gallus, Direktor im Kunstverein Hannover. Umso mehr schmerzt es ihn, wenn der wichtige Zuschuss des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur dieses Jahr knapper ausfällt. Zudem erhielt der Verein erst Ende Januar darüber eine Vorab-Information – nachdem das Jahresprogramm, dem die Förderung ja zugute kommen soll, längst durchgeplant und öffentlich war. Noch herber traf es den Kunstverein Wolfsburg. Hier klagt Direktor Justin Hoffmann gar über einen 25-prozentigen Rückgang der Landesmittel fürs laufende Jahr.
Eine Nachfrage beim Ministerium ergab: Die Fördersumme in Höhe von 900.000 Euro ist seit Jahren unverändert, auch die Anzahl der geförderten Vereine ist mit 22 für 2025 ähnlich der Zahl in den Vorjahren. Hat es also nur eine Umverteilung gegeben, haben einige mehr bekommen, andere weniger? Stets berät eine fünfköpfige Fachkommission das Land bei der Mittelverteilung, allerdings fehlten wohl zwei ihrer Mitglieder bei der letzten Vergaberunde. Da können dann schon mal subjektive Vorlieben durchschlagen.
Hinzu kommt, dass zunehmend auch kommunale Einrichtungen Anträge stellen, über hauseigene Fördervereine. So erhält etwa die Kunsthalle der Stadt Osnabrück Mittel aus dem Kunstvereinstopf – dafür geht der alternative „Allgemeine Konsumverein e. V.“ in Braunschweig nun leer aus.
Kunstvereine sind aber auch routiniert in der Improvisation sowie der Mittelakquise bei Stiftungen, Industrie oder privaten Geldgebern. Ein Kunstverein lebt also stets in einem Hoffen, einem Möglichkeitsraum, mit der Freiheit des Ungeahnten und Unerklärlichen. Diese Schlagworte sind dem Jahresthema des Kunstvereins Wolfsburg entnommen, denn 2025 geht es, irgendwie ja passend, ums Abenteuer. Dies ist auf das Zukünftige gerichtet, ein aufregendes, außerordentliches Ereignis. Voraussetzung allerdings: Optimismus, denn ein Abenteuer bedeutet immer auch Risiko, und, so sieht man es in Wolfsburg weiter: „Das Abenteuer ist eine Einheit von Impuls und Aktion. Es wird oft als eine kulturelle Emotion erfahren, als ein mitreißendes Erlebnis. Das Abenteuer impliziert eine komplexe Wahrnehmung.“
Vier thematische Ausstellungen sind im Wolfsburger Jahresprogramm geplant. Ob sie nun alle in der vorgesehenen Form stattfinden können? Gespräche mit Förderern laufen, etwa für eine Retrospektive der lange in Wolfsburg tätigen Künstlerin Helga Pape. 1939 geboren, erhielt sie 1961, gerade 22-jährig, den neugeschaffenen Kunstpreis „Junge Stadt sieht junge Kunst“. Und sorgte indirekt für einen Kunstskandal: Arnulf Rainer übermalte eine ihrer Arbeiten während der Preisträgerausstellung – als „Akt der permanenten Verbesserung“, so der Österreicher. Zwar wurde er dafür verurteilt, das Werk ist in der Sammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg aber bis heute unter seinem Namen verzeichnet.
Die erste Ausstellung im Wolfsburger Kunstvereinsprogramm ist „Auf Reisen“. Sie widmet sich künstlerischen Fragestellungen, die jenseits der regulären Wohnorte von vier Verfasser:innen aufgespürt und umgesetzt wurden. Sie können auch die ganz persönliche kulturelle Zugehörigkeit berühren wie bei Atiye Noreen Lax. 1994 in Bielefeld geboren, hat sie deutsche wie pakistanisch-türkische Wurzeln und ist mit einem iranischen Musiker verheiratet. 2023 diplomierte sie an der HBK Braunschweig in der freien Kunst.

Sie zeigt zwei Videos. Für das erste, „Restlessness“, hat sie viele Jahre lang ihre Füße an verschiedensten Orten gefilmt, ihr empfundenes Nomadentum. Für ihre zweite, 13-minütige Videoarbeit war sie 2024 für sechs Monate in der Türkei unterwegs. Sie bereiste entlegene Gegenden mit familiären Bezügen, aber auch Touristen-Hotspots wie die zentralanatolische Region Kappadokien. Dieses Unesco-Weltkultur- und Naturerbe zeichnen nicht nur bizarre Höhlen vulkanischen Ursprung aus, teils zu Architekturen transformiert, es ist auch hoch frequentierter Ausgangspunkt für Ballonfahrten. Man sieht Scharen asiatischer Tourist:innen in den Himmel aufsteigen – und die Künstlerin fragt sich: Was unterscheidet mich von ihnen? Bin ich nicht nur in Deutschland Fremde, sondern auch in der „Haymat“, so der Titel des Videos gemäß der türkischen Transkription dieses urdeutschen Gefühlspotenzials.
Auch die Berlinerin Delia Samila Naghavi Alhosini zeigt zwei Videos, die sich mit der künstlichen, dys- wie utopisch empfunden Realität in Dubai auseinandersetzen. Die Wolfsburgerin Devah Falcone engagiert sich für Kinder und Frauen in Afghanistan, ihren Fotos gelingen ungewöhnlich private Einblicke. Der Hamburger Till Krause folgte während zweier Wochen in Beirut ganz eigenen kulinarischen Versuchsanordnungen. Er aß oder trank sich etwa durch das Angebot einer einzigen Straße oder während einer Nacht, schickte seine Speisenotationen nach Hause. Im Raum für Freunde des Kunstvereins steuert Sina Heffner ihre „Symbionten“ bei, akribisch gezeichnete Mischwesen aus Tier und Pflanze: Naturstudien, ganz im Geiste der großen Forschungsreisenden.
„Auf Reisen“: bis 4. 5., Kunstverein Wolfsburg, www.kunstverein-wolfsburg.de
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