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„Die Gier hatte mich komplett unter Kontrolle“

Die Zahl der Menschen, die wegen Kokainmissbrauchs in ärztlicher Behandlung sind, hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Vor allem junge Männer sind betroffen. Florian Mayer* ist einer von ihnen. Er erzählt, wie er gegen die Sucht kämpft

Früher als Droge der Reichen verschrien, hat sich Kokain heute in viele gesellschaftliche Bereiche ausgebreitet Foto: David Ebener/dpa

Interview Christina Koppenhöfer

taz: Wann haben Sie das erste Mal gekokst?

Florian Mayer: Das erste Mal habe ich Kokain 2009 auf einer Party genommen, da war ich Anfang zwanzig. Harte Drogen waren für mich eigentlich ein Tabu. Aber dann, angetrunken, habe ich gesagt: „Ich will das mal ausprobieren.“ Das erste Mal war überwältigend. Die intensiven Gespräche und dieses Gefühl der Leichtigkeit, der Eindimensionalität – das fand ich sehr, sehr spannend.

taz: Wie fühlt sich dieser Rausch an?

Mayer: Der Körper bekommt auf einen Schlag einen riesigen Adrenalin- und Dopaminflash. Dinge, die einen beschäftigen – Sorgen, Ängste oder Scham – sind weg. Stattdessen fühlt man sich euphorisiert und leicht.

taz: So gut, dass Sie nicht aufhören konnten?

Mayer: Nein, nicht sofort. Viele Jahre später hat ein Bekannter in Berlin eine Kneipe aufgemacht. Abends nach der Arbeit bin ich bei ihm vorbei­gefahren und wir haben dort zusammen konsumiert. Das war die Routine – vier-, fünfmal die Woche. Als er aus Berlin wegzog, gab er mir zum Abschied die Nummer eines Kokstaxis. Danach habe ich mir immer ­wieder zum Feiern etwas besorgt. Und dann fing es langsam an, dass ich, wenn ich noch etwas übrighatte, auch zu anderen Gelegenheiten konsumiert habe.

taz: Was war der Grund dafür, öfter zu konsumieren?

Mayer: Ein Schlüsselerlebnis war, als ich auf der Arbeit unter enormem Druck stand: Ich musste ein Angebot fertigstellen, hatte wenig Zeit und war völlig verzweifelt. Ich habe mir Kokain besorgt und bis vier Uhr morgens gearbeitet, war hochmotiviert und euphorisch. Das Ergebnis war gut, und ich hatte unfassbar viel Spaß daran. Das war der Anfang vom Ende. 2019 oder 2020, ich war Anfang dreißig. Ab da habe ich begonnen, allein zu konsumieren – anfangs noch gelegentlich, später täglich.

taz: Wie sah Ihr Leben mit der Sucht aus?

Mayer: Ich kam abends nach Hause, dann eine Stunde Familienleben. Das war wichtig, weil die Fassade halten musste. Ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld kein Konsum. Und ohne Familie hätte ich komplett den Halt verloren und mich vermutlich tot konsumiert. Danach lag ich oft auf der Couch, völlig k.o. Aber innerlich begann schon die Vorfreude auf den nächsten Konsum. Ich habe meinem Dealer geschrieben, einen Vorwand erfunden, um nochmal aus der Wohnung zu müssen. Meistens bin ich zum selben Geldautomaten gegangen, habe Geld geholt, auf das Taxi gewartet und dann drei Kapseln Kokain gekauft.

taz: Und auf der Arbeit sind Sie nie aufgeflogen?

Mayer: Nein, nie wirklich. Dabei bin ich sogar mitten in einer Telefonkonferenz eingeschlafen. Ein, zwei Mal musste ich sogar von Kol­le­g:in­nen geweckt werden. Aber ich arbeite immer noch dort.

taz: Kokain gilt als eine der teuersten Drogen, ein Gramm kostet rund 75 Euro. Konnten Sie sich Ihren Konsum immer leisten?

Mayer: Im April 2023 hatte ich wirklich alles Geld, das ich besaß, in den Konsum gesteckt. Zu Beginn des Monats, wenn das Gehalt kam, habe ich zwei, drei Wochen exzessiv konsumiert – danach war alles weg, keine Reserven, nichts. Über die vier Jahre hinweg habe ich etwa 200.000 Euro ausgegeben.

taz: Wann kam der Punkt, an dem es nicht mehr weiterging?

Mayer: Das war im Sommer 2023. Obwohl ich gut verdiene, hat das Geld nicht mehr gereicht. Außerdem war der Konsum ein einziger Kontrollverlust. Einmal war meine Frau eine Woche auf Dienstreise. Ich war mit meinem Kind allein und habe trotzdem jeden Abend konsumiert. Dieses Verlangen, die Gier, war so ekelhaft und hatte mich komplett unter Kontrolle. Die Paranoia war der andere Grund. Abends bin ich mit dem Auto durch Berlin gefahren, stundenlang. Einmal bin ich mitten in der Nacht in Wedding aus dem Auto geflüchtet, weil ich dachte, ein Streifenwagen verfolgt mich. Ich habe mich stundenlang hinter Mauern versteckt.

taz: Wie haben Sie es dann geschafft, aufzuhören?

Mayer: Irgendwann hat meine Frau gemerkt, dass etwas nicht stimmt – sie dachte, ich hätte eine Affäre. Eines Nachts hat sie mein Handy genommen und Chats mit anderen Frauen gefunden. Sie hat mich geweckt und konfrontiert. Vor lauter Angst habe ich dann alles erzählt. Sie war völlig geschockt. Wir haben uns erst mal getrennt, ich bin für drei Monate ausgezogen. Ab diesem Punkt war ich clean – erstmal ohne Therapie.

taz: Auch ohne Rückfälle?

Mayer: Es gab immer wieder Rückfälle, die mit der Zeit immer schlimmer wurden. Dann war ich oft zwei, drei Tage am Stück weg. Nach einem Rückfall, einen Tag vor Weihnachten 2023, haben wir unserem Sohn dann alles erzählt.

taz: Wie erklärt man das seinem Kind?

Mayer: Ich habe meinem damals achtjährigen Sohn gesagt, dass ich eine Suchtkrankheit habe und deshalb Drogen genommen habe. Dass ich ein großes Problem habe, an dem ich arbeiten muss. Es war ein schwieriges Gespräch, aber rückblickend war es das einzig Richtige. Mein Kind musste das auch aufarbeiten und hat es bei Freunden am Küchentisch erzählt: „Mein Papa ist kokainsüchtig.“

taz: Sie haben eine Therapie gemacht, sind clean. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Mayer: Ich hasse mich für den Menschen, der ich damals war. Die erste Zeit der Abstinenz war, wie in einer tiefen Depression zu stecken. Und die Folgen des Konsums spüre ich noch immer. Ich habe in meinem Kopf so viel zerstört, dass es schwer ist, wieder echte Freude zu empfinden. Das ist erst nach einem Jahr Abstinenz zurückgekommen.

Florian Mayer*Der Interviewte heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben – sein Name ist der Redaktion bekannt. Er war mehrere Jahre kokainsüchtig und lebt inzwischen clean.

taz: Die Zahlen der Menschen, die wegen Kokain in ärztlicher Behandlung sind, haben sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Wie gucken Sie auf die Konsumierenden?

Mayer: Das Schlimmste ist, wie allgegenwärtig die Droge ist. Du bekommst sie überall – offener Konsum wird gar nicht mehr kritisch hinterfragt. Kokain hat ein unfassbares Abhängigkeitspotenzial. Die Droge hat die Fähigkeit, einen emotio­nal und mental komplett zu zerstören. Wenn ich sehe, wie viele Menschen konsumieren und wie einfach das geworden ist, macht mich das wütend und traurig zugleich. Wenn ich solche Zahlen höre, kriege ich Gänsehaut.

taz: Was braucht es, um diese Situation zu verbessern?

Mayer: Ich halte nichts von Verboten. Was es braucht, ist Aufklärung, Diskurs. Menschen wie ich, die es hart getroffen hat, müssen darüber sprechen, was für eine Scheiße das ist. Es braucht mehr Angebote, über die vor allem junge Menschen sich informieren können.

taz: Was hätte Ihnen damals geholfen?

Mayer: Eine Enttabuisierung von Kokainmissbrauch und Suchterkrankungen. Dann fällt es Betroffenen, aber auch Freun­d:in­nen leichter, über die Sucht zu sprechen – Hilfe anzubieten oder sie anzunehmen.

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