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Zwangsprostitution im NS„B-Baracke“ gleich Bordell

Ein vergessenes Kapitel der NS-Geschichte: Die staatlich organisierte Zwangsprostitution. Die Kunstschau „Missing Female Stories“ in Berlin widmet sich dem Thema.

Bild aus künstlerischen Spurensuche „Missing Female Stories“ Foto: Frank Peters

Berlin taz | In der Baracke Nummer zwei im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide hängt ein braunes Hemd an einem Kleiderbügel. Es hat deutlich sichtbare Löcher, Birgit Szepanski hat sie hineingeschnitten. Sie symbolisierten die Leere über das Geschehene, sagt sie. Denn wir wüssten viel zu wenig.

Was dennoch bekannt ist, hat Szepanski in einer Kunstschau zu verarbeiten gesucht, die einen Raum in der Baracke einnimmt. Darin geht um ein vergessenes Kapitel in der Geschichte des NS-Staats: die staatlich verordnete und organisierte Zwangsprostitution von Frauen für Männer, die ihrerseits unter Zwang Arbeitsdienste für die Nazis verrichteten.

Szepanski betreibt recherchebasierte Kunst. 2020 war es, da besuchte sie die Königsheide, ein Wäldchen nicht weit von Bahnhof Schöneweide an der Straße Südostallee gelegen. Dort habe sie von einem Heimatforscher einen ersten Hinweis auf Zwangsprostitution in einem Arbeitslager der Henschel-Flugzeugwerke erhalten, das unweit des Wäldchens gestanden hatte.

2.000 männliche Insassen mussten dort schuften, meist Italiener, Franzosen und Belgier. Angehörige dieser Nationen konnten ihr Lager in der Freizeit verlassen, im Gegensatz zu Gefangenen aus der Sowjetunion. Insgesamt soll es mehr als 3.000 Zwangsarbeiterlager in Berlin gegeben haben.

Entdeckt im Bauaktenarchiv

An der Wand von Baracke Nummer 2 im Dokumentationszentrum hängen Bauzeichnungen auf vergilbtem Papier. Szepanski hat sie im Bauaktenarchiv Treptow entdeckt. Zu sehen ist der Grundriss einer Baracke mit zwölf Zimmern, jeweils 3,75 Meter im Quadrat groß, dazu ein Vorraum und ein Arztzimmer.

Das Bauwerk ließ sich bei Bedarf leicht um vier Zimmer erweitern. Auf dem Blatt ist von einer „B-Baracke“ die Rede. „B“ steht für Bordell. Im NS-Staat gab es alle möglichen Abkürzungen, oft zu Tarnungszwecken, eine F-Maschine stand zum Beispiel für eine Guillotine. Nun also eine B-Baracke.

In den Bauakten werden die Frauen, die dort Sex-Arbeit verrichten mussten, mit keinem Wort erwähnt, das ist Szepanski sogleich aufgefallen. Da ist nur von „Personen“ die Rede. 12 Zimmer für 12 „Personen“ also, rund 500 Meter entfernt vom Lager des Henschelwerks. Für dieses waren die Frauen in der „B-Baracke“ bestimmt. Ein Besuch war auf 15 Minuten limitiert. Wachmänner kontrollierten die Männer, ein Arzt überwachte die Frauen. Die Organisation übernahm die Deutsche Arbeitsfront.

„Die Nazis waren die größten Zuhälter der Geschichte“, sagt Robert Sommer. Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit hat den Historiker im Februar zur Diskussion eingeladen. Sommer hat als Autor mit einer Studie über Bordelle in deutschen Konzentrationslagern Neuland betreten.

Das NS-Regime habe 1934 zunächst die faktische Straflosigkeit für Prostitution beendet, schreibt Sommer. „Gewerbsunzucht“ wurde in Orten mit unter 20.000 Einwohnern verboten. Adolf Hitler hatte in „Mein Kampf“ Prostitution als „eine Schmach der Menschheit“ bezeichnet.

Nur noch das Fundament der Baracke

Als die Künstlerin Birgit Szepanski erstmals von der Baracke gehört hatte, war sie schockiert. „Mir wurde mulmig“, sagt sie. Das Dickicht in der Königsheide macht ein Betreten des Wäldchens schwierig. Szepanski entdeckte einen Trampelpfad. Aber sie fand keine Spuren der „B-Baracke“, nicht einmal das Fundament hat sich erhalten. 3,75 mal 3,75 Meter, das war die Zimmergröße der Frauen. Szepanski markierte die Dimension mit einem Band zwischen den Bäumen. Jetzt hängt dieses Band in der Ausstellung und markiert dort die Größe der Räume, in denen die Frauen zur Prostitution gezwungen wurden.

Mit Kriegsbeginn 1939 setzte der NS-Staat andere Prioritäten in Sachen Prostitution. Einerseits wurden Prostituierte nun aus Furcht vor einer Beeinträchtigung der Wehrkraft durch Geschlechtskrankheiten komplett erfasst und scharf kontrolliert. Andererseits machten sich die Nazis selbst zu Zuhältern. Da gab es die Bordelle für die Soldaten der Wehrmacht jenseits der deutschen Grenzen. Auch wurde eine entsprechende Einrichtung für die KZ-Schergen von Auschwitz errichtet.

In zehn KZs entstanden Bordelle für Gefangene. Diese Lager waren nicht nur Orte des Mordens, sondern auch der Zwangsarbeit. Keineswegs jeder männliche Häftling durfte eine der Prostituierten besuchen.

Der NS-Rassismus war Auslöser für die Entwicklung von Bordellen für Zwangsarbeiter. Die Nazis fürchteten, die Verschleppten könnten sich deutschen Frauen nähern. Männlichen Zwangsarbeitern drohte in diesem Fall die Todesstrafe, den deutschen Frauen die öffentliche Demütigung und eine Einweisung in ein Konzentrationslager. Und doch kam es immer wieder zu Liebesbeziehungen.

Bordell als Leistungsanreiz

Die „Fremd­arbeiter“ könnten Bordelle haben, entschied SS-Chef Heinrich Himmler 1940. „Aber mit unserem deutschen Volk haben sie nichts zu tun.“ Zugleich sollte die Möglichkeit eines Bordellbesuchs den Männern einen Anreiz zu besserer Arbeit geben. In einem Brief Himmlers vom März 1942 heißt es, den „fleißig arbeitenden Gefangenen“ sollten als Leistungsanreiz „Weiber in Bordellen“ zugeführt werden.

Waren die Bordelle besuchenden männlichen Zwangsarbeiter damit nicht nur bis aufs Blut ausgebeutete Opfer der Nazis, sondern auch Täter bei einer Zwangsprostitution? „Es gibt darauf keine eindeutige Antwort“, sagt Gedenkstättenleiterin Christine Glauning dazu. Im NS-Staat habe es immer wieder Entwicklungen gegebenen, bei denen „die Grenzen zwischen Opfern und Tätern verschwimmen. Dies ist in diesem Fall sicherlich auch so.“

Man müsse über die Männer reden, aber ohne deshalb ihren Opferstatus infrage zu stellen, meint Historiker Sommer. Lange genug sind gerade die Zwangsarbeiter, egal ob männlich oder weiblich, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ignoriert worden.

Nichts bekannt über die Frauen

Über die Frauen in der „B-Baracke“ in der Königsheide sei nichts bekannt, bedauert die Künstlerin Birgit Szepanski. Es gibt nicht einen Namen, keine Geburtsdaten, einfach nichts. Aus anderen Einrichtungen weiß man immerhin, dass der NS-Staat nicht nur Prostituierte in solche Bordelle zwang, sondern auch Frauen, die als gesellschaftlich unangepasst galten, als „asozial“, wie es damals hieß.

Es sollen dort vor allem Polinnen und Französinnen gearbeitet haben. Doch der Forschungsstand ist dünn. Die meisten Frauen haben vermutlich den NS-Terror überlebt, aber danach aus Scham geschwiegen. Bis heute gibt es kaum Berichte der Gepeinigten über ihr Dasein in den Bordell-Baracken. „Missing Female Stories“ heißt deshalb auch Szepanskis Installation.

Die verschwundene Baracke in der Königsheide war kein Unikum, sondern Alltag in deutschen Städten. Die Nazis hätten bestimmt, dass auf 300 bis 500 zwangsarbeitende Ausländer eine Prostituierte kommen sollte, schreibt Sommer. „Arischen“ Frauen, also etwa solchen aus Deutschland, Norwegen oder den Niederlanden, war die Arbeit dort verboten, zudem unterlagen Jüdinnen im NS-Staat einem strikten Prostitu­tionsverbot.

Umgekehrt durften deutsche Männer diese Bordelle nicht besuchen – eine Folge der rassistischen Vorstellung, die „Vermischungen“ nicht gestattete und bei sexuellen Kontakten zwischen Juden und „Ariern“ eine „Rassenschande“ postulierte. Fast acht Millionen Zwangsarbeiter aus den deutsch besetzten Ländern schufteten 1944 im Deutschen Reich.

So entstanden nach Sommers Forschungen bis Ende 1943 insgesamt 60 Bordelle, weitere 50 waren geplant – deutlich weniger als nach den zynischen Berechnungen der Nazis veranschlagt.

Fünf Mark für einen Bon

In Berlin sind fünf solcher Orte der Zwangsprostitution in der NS-Zeit nachgewiesen, möglicherweise gab es aber noch mehr. Der Wiener Publizist Moritz Grote fand jüngst bei Recherchen im Landesarchiv Salzburg heraus, dass die Frauen für ihr Zimmer zehn Mark pro Tag bezahlen mussten. Männliche Besucher kauften für fünf Mark einen Bon, der zum Eintritt in eines der Zimmer berechtigte. Davon gingen vier Mark an die Frau und eine an die NS-Verwalter.

Ob dieses System aber überall im Reich, also auch in Berlin, galt, ist nicht sicher. Es soll auch Fälle gegeben haben, in denen sich der Betrieb der Bordell-Baracken im Sinne der Nazis nicht rentierte und diese deshalb wieder geschlossen wurden.

Szepanskis Kunstinstallation hat den Anstoß dafür gegeben, dass vielleicht bald weitere Informationen über die Baracke in der Königsheide bekannt werden. Die Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick beschloss Ende letzten Jahres, dass dort archäologische Forschungen durchgeführt werden sollen. Auch sind Informationstafeln über die Sex-Zwangsarbeit vorgesehen.

Die Kunstschau

„Missing Female Stories. Künstlerische Spurensuche zur ‚Bordell-Baracke‘ in der Königsheide“. Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide. Bis zum 6. April. Eintritt frei.

In Szepanskis Kunstausstellung hängt eine Schwarz-Weiß-Fotografie an der weißen Wand, darauf zwei leere Blumenvasen auf einer Tischdecke drapiert – eine Art der Verschönerung von Räumen, wie sie es auch in den Zimmern der Bordellbaracken gegeben haben soll. Szepanski hat diese trügerische Idylle auf dem Boden darunter zerschmettert. Dort liegen nun Scherben, Stoff und vertrocknete Pflanzen.

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