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berliner szenenVielenDank.Danichtfür.

Die U-Bahn fährt ein. Ich will unbedingt meinen Thriller weiterlesen und wähle die leere Nische am Ende des Waggons. Weit entfernt von diesen drei Frauen, die schon auf dem Bahnsteig so laut gelacht und krakeelt haben. Leider folgen sie mir in meine Nische. Eine setzt sich neben mich, die anderen zwei lassen sich gegenüber auf die Bank fallen. Ihr fröhlich-durchdringender Diskurs geht weiter. Ich höre notgedrungen zu, an Lesen ist bei dem Lärm nicht zu denken.

Sie haben alle drei ganz offensichtlich Deutsch nicht als Muttersprache, können sich aber nur so verständigen. Sie sind eine bunte Berliner Mischung. Dem Akzent nach kommt die Große neben mir aus den USA, die Frau gegenüber scheint Spanisch als Muttersprache zu haben, ihre Sitznachbarin klingt irgendwie slawisch. Sie werfen sich Konjunktivformen, Grammatikbezeichnungen und Satzfragmente zu und lachen sich halb schlapp darüber: „Ich hätte besser gefrühstückt haben sollen!“ – „Ach, wäre ich doch früher aufgestanden!“ – „Vom Satzglied zum Gliedsatz!“ – „Was is’n ne Partizi­pialkonstruktion?“

Ich muss unwillkürlich grinsen und klappe mein Buch zu. Die „Spanierin“ entschuldigt sich bei mir für die Lautstärke. Sie hätten gerade ihren B1-Sprachtest absolviert und alles falsch gemacht. „Das glaube ich nicht“, sage ich, „Sie können sich doch gut ausdrücken und verständigen.“ Sie freuen sich. Um ihre Deutschkenntnisse zu verfeinern, bringe ich ihnen ein paar wichtige Sätze bei, scheitere aber zu ihrer Freude selber beim korrekten Vorsprechen: „Rotkraut bleibt Rotkraut, und Brautkleid bleibt Brautkleid.“ Und Fischers Fritze und den Cottbuser Postkutscher.

Kurz vor der Endstation steigt die Große aus und bedankt sich bei mir. „Wofür denn?“, frage ich verwundert. Sie stutzt auch kurz, dann sagt sie: „Für das Lachen!“

Gabriele Frydrych

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