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Die Ausnahme als Normalzustand

Outsider Art ist in den USA beliebt. Ihr dortiger Erfolg verbindet auf spezifisch amerikanische Weise Kunst, Leben und Konsum. Besuch einer Kunstmesse abseits der Wirrungen von Politik und Markt

In welchem US-amerikanischen Wohnzimmer Montrel Beverlys Interpration von da Vincis „Das Abendmahl“ aus Pfeifenreinigern wohl landet? Gezeigt wurde es kürzlich auf der Outsider Art Fair in New York Foto: SAGE Studio & Gallery

Von Katharina J. Cichosch

Der amerikanische Traum ist „alive and well“, wie man so sagt, gesund und munter. Zumindest konnte diesen Eindruck erhalten, wer Anfang März die Outsider Art Fair in New York besuchte. Es ist die älteste Kunstmesse, die sich ganz der sogenannten Außenseiterkunst widmet. Seit 1993 trifft man sich alljährlich in Manhattan, um Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren und entdecken, die jenseits der Kunstakademie ihren Weg beschreiten. Und in diesem Jahr vermeldete sie rekordhafte Besuchs- und Verkaufszahlen: Während die großen Messen für kleinere und gar mittlere Galerien zunehmend weniger rentabel werden, nur noch die Blockbuster-Galerien mit weltweiten Standorten wirklich profitieren, scheint hier ein Gegenmodell zu laufen.

Ältere Sammlerinnen und Sammler, das örtliche geneigte Kulturpublikum, aber auch junge Kreative, viele vermutlich selbst von den umliegenden Kunstschulen und akademien: Wer hierherkommt, der interessiert sich für Kunst. Der Markt gehört dazu, und er wächst. Aber von Hype und Investment ist man hier weit entfernt. Statt im Zollfreilager hängen diese Bilder mit einiger Wahrscheinlichkeit eher bald in einem US-amerikanischen Wohnzimmer. Kunst und Alltag waren sich in den USA womöglich immer schon näher als in der Alten Welt, davon profitiert sicherlich auch die Outsider Art. Hinzu kommt ein US-amerikanisches Grundverständnis, sich eben zu kaufen, was gefällt, ohne umständliche Rechtfertigung – und womöglich auch eine Art Mäzenatentum, das ganz und gar nicht staatlich gedacht wird.

Läuft man über die Messe im Metropolitan Pavilion in der 18th Street, so fällt auf, wie viele Werke durchtränkt sind von der US-amerikanischen Popkultur. Zu der zählen ja bekanntlich auch die schönen und verführerischen Waren, die sich hier auf den Bildern und in einigen Skulpturen anhäufen. Coca Cola und Michael Jackson, Filmstills, Pancakes, Wolkenkratzern, Comics. Aber auch dem amerikanischen Exceptionalism, der Verfassung gar, begegnet man auf Leinwänden, Keramika, Blechplatten, Papier, Collagen und auf Sperrholz. Doch zum amerikanischen Traum gehört ja fast schon qua Definition, dass er ebenso schnell wieder vorbei sein oder ins Fiebrige kippen kann. Während die einen Arbeiten vor US-Optimismus strotzen, ist anderen die Brüchigkeit des feinen Zivilisationsfirnis offenbar schon eingeschrieben.

Solcherlei Abgründe in vertrauten Americana tut zum Beispiel Harry Underwood auf, dessen somnambule Szenerien, mit Latex in präzisen Konturen auf Sperrholz gemalt, gleich ins Auge fallen: Da rennt eine Frau im Bikini auf dem Asphalt einer subtropischen Stadt vor einem unbekannten Verfolger, dort trägt ein filmischer Heldenmann eine offenbar bewusstlose Frau vor einem jener prächtigen Kinopaläste, wie sie im Amerika der 1920er Jahre groß wurden. Düstere Ahnungen hat der Künstler in Handschrift mit Bleistift auf dem Bild notiert: „Ist er ihr Held oder Schurke? Finde(t) ihre Eltern. Geh(t) dieser Geschichte auf den Grund!“ Man kann ob seiner retrospektiven Sujets kaum ausmachen, ob Underwood ein zeitgenössischer Künstler oder einer aus den 1950er Jahren ist oder wie alt er sein mag, falls er heute noch arbeitet. Auch sein Galerist Duff Lindsay von Lindsay Gallery in Columbus, Ohio, kennt das genaue Alter nicht, weiß aber mehr: Harry Underwood war Handwerker und Anstreicher, heute arbeitet er nurmehr künstlerisch. Ein Einzelgänger, in jeglicher Hinsicht.

Und damit ist man schnell beim Elefanten im Raum angelangt, der im Jahr 2025 derart heißt: Sollte man eine Messe überhaupt noch so nennen, „Outsider Art Fair“? Viele betrachten den Namen heute kritisch, insbesondere in Europa. Aber manchmal trifft es der Begriff eben doch. Ihr Programm fasst die Lindsay Gallery als self-taught, Outsider und Folk Art zusammen – was das Spektrum auf dieser Messe ebenso gut umreißt. Seltener liest man das in Europa üblichere, inzwischen ebenso umstrittene „Art Brut“, das historisch vor allem mit der Kunst mentaler oder geistiger beeinträchtigter Menschen zusammengebracht wird.

Tatsächlich scheint die besondere Sensibilität für Kunst außerhalb der akademischen Normbiografie in den Vereinigten Staaten eng mit der Anerkennung sogenannter Volkskunst, einer nichtakademischen Malerei, verbunden. Seit 1961 sammelt das American Folk Art Museum in New York entsprechende Künstlerinnen und Künstler, schon seit 1953 das Museum of International Folk Art in New Mexiko. Gleichzeitig gibt es hier so viele gemeinnützige oder private Atelierangebote wie in wohl kaum einem anderen Land – das Creative Growth Center aus Oakland, Kalifornien, feiert gerade 50. Jubiläum und zeigt zur Messe unter anderem William Scott, der mit seinen poppig plakativen, freundlich gemalten Gruppenporträts jene durch Drogen oder Waffengewalt verstorbene Menschen wiederauferstehen lassen möchte, die er hier abbildet. Arbeiten von ihm finden sich heute auch in der Sammlung des MoMa.

Kunst von KünstlerInnen mit Behinderung oder Einschränkung, neuerdings auch Neurodiversität tauchen als Begriff auf, mitunter werden biografische Details aber auch bewusst vermieden. Selbstbeigebracht, also „Self-taught“ ist das Label, das viele hier bevorzugen. Das liegt verdächtig nah an der Hobbykunst.

Selbst bei­gebracht, „Self-taught“, ist hierbevorzugtes Label

Aber Hobbykünstler sind die hier ausgestellten allesamt nicht. Das Publikum kommt nicht nur zum Anschauen, man kann sich vieles noch leisten. Kleine Skulpturen oder Zeichnungen findet man schon für wenige hundert Dollar. Arbeiten von Harry Underwood werden für 1.850 Dollar angeboten. Nicht umsonst schrieb Jerry Saltz, New Yorker Kritiker und kein Freund bombastischer Kunstspektakel, die Outsider Art Fair sei „für meinen Geldbeutel die beste Kunstmesse der Welt“. Begehrte Kunst hat natürlich auch hier ihren Preis. Aus Japan stammt Yuichiro Ukai. Seine hier rund 70 x 80 Zentimeter großen Wimmelbilder aus japanischer Kultur- und Konsumgeschichte, von Sauriern und Samurai bis An Pan Man, entfalten einen starken Sog. Eine mittlere Zeichnung kostet 17.000 Dollar und verkauft sich gut auf der Messe, wo Yukiko Koide zu den wenigen nichtamerikanischen Galerien gehört.

In diesem dichten Nebeneinander wird das (vermeintliche oder tatsächliche) Außenseitertum ein Normalzustand. Man entdeckt hier Unterschiede, wiederkehrende Sujets und immer wieder Herausstechendes. Wie den schwarzen Vincent van Gogh, mit grobem, großen Strich von Arstanda Billy White auf Leinwand gebracht. Oder die Künstlerin June Gutman, die in ihren mal derben, mal feinsinnig ironischen Zeichnungen aus Bunt- und Bleistift psychische Ausnahmezustände und existenzielle Angst vor der Klinik mit biblischen Szenen, Aliens, Bigfoot, popkulturellen Figuren und dem eigenen Alltag als Frau und Jüdin verknüpft: eine nie erreichte Bat Mizwa, überschwängliche Milch, die aus Brüsten schießt, dazu Überlegungen und trockener Humor in Textform. „YOU ARE NOT IMMUNE TO PROPAGANDA, BUT I AM“.

Derart eigenständige Positio­nen und bildnerische Herangehensweisen an eine äußere wie innere Welt findet man selten auf kleinem Raum versammelt. Am Schluss geht es noch an zwei Reliefs von Montrel Beverly vorbei, der bei Sage Studios im texanischen Austin arbeitet und sich mittels Pfeifenreinigern Motive aus der Kunstgeschichte vorknöpft. Er wolle Pfeifenreiniger-Künstler des Jahres auf dem Time Magazine werden, wird Beverly auf der Seite seiner Ateliergemeinschaft zitiert, und legt in New York beispielhaft vor: Botticellis Geburt der Venus und da Vincis letztes Abendmahl in ­sattem Pfeifenreiniger-Rot, -Blau, -Grün, -Orange, -Braun und -Silber. Auch dies dann ­wieder eine Art Fiebertraum, allerdings einer von der guten Sorte.

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