berliner szenen: Berliner Vogelscheuche
Für die Wegelagerer habe ich meistens was dabei. Schon hundert Meter vorm Supermarkt erwarten sie mich: im Baum, im Gebüsch, auf dem Zaun. Eine Nebelkrähe fliegt haarscharf an meinem Kopf vorbei und landet vor meinen Füßen. Eine andere wandert parallel zu mir auf dem Zaunrand mit. Als ich mein Fahrrad vorm Geschäft abschließe, sitzen die grauschwarzen Vögel bereits dicht um mich herum. Ob sie Hitchcocks Film kennen?
Krähen und Raben sollen genauso intelligent wie Menschenaffen sein. Diese Supermarktgeier wissen genau, dass die zweibeinigen Futterautomaten interessante Dinge in den Einkaufstaschen haben und bisweilen auch rausrücken.. Ich schaue mich um, ob jemand in der Nähe ist. Nein, niemand. Also verstreue ich dezent ein paar Cashewnüsse auf dem Weg. Die Krähen rennen begeistert los. Da kreischt es hinter mir: „Weg, weg mit euch! Ihr Spatzenmörder!“ Eine junge Frau mit kräftiger Alkoholfahne springt wie Rumpelstilzchen zwischen die Krähen und verscheucht sie.
Sie erklärt mit etwas schwerem Zungenschlag, dass es in Berlin viel zu viele Krähen und viel zu wenig Spatzen gibt. Ich will sie beruhigen: „In meinem Garten toben 20 fröhliche Spatzen rum, zerrupfen die Krokusse und hausen im Dachfirst. Die wirken nicht so, als seien sie vom Aussterben bedroht. – Die hohe Katzendichte im Viertel ist viel schlimmer als die paar Krähen.“ Die Frau hört mir gar nicht zu und wedelt weiter mit den Armen. Das rührt die Krähen, die im Baum auf das Ende des Disputs warten, nicht die Bohne.
Als ich mit meinen Einkäufen zurückkomme, lauert ein Späher immer noch im Baum und ruft sofort seine Kumpels. Die Frau ist verschwunden. Die Krähen folgen mir bis zur nächsten ruhigen Ecke. Den Rest der Cashewnüsse bekommen die Spatzen im Garten.
Gabriele Frydrych
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