: Serienmörder mit Politmotiv
FRANKREICH Nach den Todesschüssen von Montauban und Toulouse sucht die Polizei jetzt wohl nach einem Ex-Soldaten und Scharfschützen mit rechtsradikalem Hintergrund
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Die Angst geht um in Südfrankreich. In wenigen Tagen hat ein bisher nicht identifizierter Serienmörder in Toulouse und im 50 Kilometer entfernten Montauban bei drei Angriffen sieben Menschen getötet, unter ihnen drei kleine Kinder, und zwei Personen lebensgefährlich verletzt. Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass es sich beim Attentäter um denselben mittelgroßen und angeblich etwas untersetzten Mann handelt, der in allen drei Fällen mit einem Motorrad des Typs TMAX 530 der Marke Yamaha vorfuhr, dann schnell, kaltblütig und gezielt auf seine Opfer schoss und sofort wieder mit seinem Roller flüchtete. Polizeiexperten bestätigen, dass in den drei Fällen dieselbe Tatwaffe, eine Pistole mit dem großen Kaliber 11,43 mm, verwendet wurde. Diese Waffe war angeblich früher in der US-Army im Einsatz, gilt in Frankreich aber laut Experten als eher als Seltenheit. Darum sei es auch nicht so einfach, die Munition aufzutreiben. Das könnte womöglich die Nachforschungen erleichtern.
Die Ermittler verfügen zudem über mehrere Videofilme von Überwachungskameras, Aussagen von Augenzeugen der drei Mordanschläge und in einem Fall sogar über eine Beschreibung durch eine Frau, die in Montauban einen Teil des Gesichts des Täters trotz seines Motorradhelms gesehen hat. Laut Innenminister Claude Guéant reichen diese Hinweise aber nicht, um ein Phantombild herzustellen, das bei der Großfahndung gegen Frankreichs Staatsfeind Nummer eins sehr hilfreich wäre. Dieser soll mit einer auf der Brust befestigten Videokamera seine Verbrechen selbst gefilmt haben. Das sagt einiges aus über das Profil des Mörders. Der Kriminologe Stéphane Bourgon erläuterte dazu im Fernsehen: „Dieser Killer wird nie von sich aus aufhören. Seine Mordserie wird nur enden, wenn er verhaftet oder von der Polizei erschossen wird.“ Nach Ansicht von Bourgon habe man es mit einer Art Serienmörder zu, die in der USA „serial sniper“ genannt würden. Sein Tatmotiv sei es, sich durch seine Transgression übermächtig zu fühlen wie „Gott“. Eine wichtige Rolle spiele das Medienecho, das dieses Machtgefühl steigern könne.
„Dieses Mal haben wir es mit einem einzelnen Individuum zu tun, das diese Attacken plant und ausführt. Das ist der Albtraum für die Ermittler, denn es gibt sehr wenig Ansatzpunkte“, erklärte ein Mitglied der Untersuchungsbehörden. Die Polizei hat auch sogenannte „Profiler“ und Psychologen beigezogen, um den flüchtigen Motorradmörder ausfindig zu machen. Dabei darf keine Zeit verloren gehen. Denn ist es zu befürchten, dass er wieder zuschlagen könnte.
Mehr noch als die ersten beiden Mordanschläge gegen Soldaten hat das von diesem Serienmörder am Montag angerichtete Blutbad vor einer jüdischen Schule Frankreich zutiefst erschüttert. Gleichwohl zeigte die spontan versammelte Menschenmenge in Toulouse bei einer Demonstration das Spruchband „In Frankreich werden Juden, Schwarze und Araber ermordet“. Dass es sich bei den Opfern um drei muslimische Soldaten nordafrikanischer Herkunft, einen farbigen Soldaten von den Antillen und drei jüdische Kinder und einen Lehrer handelt, ist bisher der einzige Anhaltspunkt für rassistische Motive des Mörders. Der Großrabbiner Gilles Bernheim gab zu bedenken, dass an den Grundfesten der Republik gerüttelt werde: „Es sind die Grundwerte Frankreichs, die getroffen werden, wenn Soldaten oder Schulkinder irgendwo und irgendwann getötet werden.“
In allen Schulen Frankreichs wurde am Dienstag um elf Uhr zum Gedenken an die ermordeten Kinder von Toulouse eine Schweigeminute abgehalten. Den LehrerInnen war es überlassen, den oft sehr schockierten Schülern eine Erklärung zu liefern für diese Tragödie. Die politischen Parteien in Frankreich haben sich darauf verständigt, den Wahlkampf vorerst auszusetzen. Dennoch ist der Kandidat Sarkozy praktisch omnipräsent als „Landesvater“. Seinem sozialistischen Gegner François Hollande bleibt nur zu hoffen, dass nicht „irgendjemand“ diese Tragödie instrumentalisiere.