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It’sthemoney,stupid!

Eine neue Oligarchie teilt die Welt unter sich auf und bedroht die Demokratie. Derweil diskutierte Deutschland im Wahlkampf vor allem – um Zugezogene.Zeit für eine Neuordnung der Prioritäten

Illustration: Katja Gendikova

Von Diana Kinnert und Harald Welzer

Das Beste am Wahlergebnis vom vergangenen Wochenende ist wohl, dass die Bildung einer neuen, handlungsfähigen Regierung flott gehen kann. Aber auch flott gehen muss, weil Europa jetzt vor der großen Herausforderung steht, sich in kürzester Zeit von den USA unabhängig zu machen. Ansonsten werden der Kontinent und seine Staaten ihre außenpolitische Souveränität einbüßen und sich den Absichten des Triumvirats Trump, Putin, Xi fügen müssen.

Einen guten Monat nach der offiziellen Amtseinführung von Donald Trump muss man feststellen, dass man es beim Handeln seiner Regierung gar nicht mehr mit dem zu tun hat, was man seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Politik verstanden hat. Denn unabhängig davon, welchem Gesellschaftsmodell und welcher Form von Staatlichkeit die internationalen Akteure sich verpflichtet fühlten, konnte man doch weitgehend davon ausgehen, dass Aushandlungen, Abkommen und Verträge die Basis für außenpolitisches Handeln waren. Dagegen steht jetzt die postpolitische Formulierung von Ansprüchen, die aus einer Position der Machtüberlegenheit an andere gestellt werden. Das ist neu, weil hier die hergebrachten Kategorien von politischer Freundschaft oder Gegnerschaft überhaupt nicht mehr greifen. Was zählt, sind Macht und Opportunität.

Der scheidende US-Präsident Joe Biden warnte das Land vor seinen Nachfolgern: Die Macht läge nun in den Händen „einiger weniger ultrareicher“ Leute, dieser Tage wandelten sich die USA in eine „Oligarchie“, eine „echte Gefahr für die Vereinigten Staaten.“

It’s the money, stupid! Oligarch Elon Musk allein überwies bekanntlich rund 250 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf. Für die Feierlichkeiten zur Amtseinführung konnte sich der designierte US-Präsident auf mehr als 170 Millionen Dollar Spenden verlassen, die höchste Summe, die ein Komitee für die Amtseinführung eines US-Präsidenten je erhalten hat. Mit Millionenbeträgen beteiligt: Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Sam Altman, der CEO des KI-Unternehmens OpenAI.

Und gleich wird gehandelt: Der Staat verzichtet auf 1,8 Billionen Dollar Steuern und nimmt Steuerbehörden und Finanzaufsicht an die kurze Leine. Die Regulierung künstlicher Intelligenz wird gleich gänzlich sein gelassen. Zuckerberg verzichtet fortan in den USA auf Facebook, Instagram und Threads auf die bisherigen Moderationsregeln – ähnlich wie schon Musk auf X. Die Plattformen, inzwischen eine kommunikative Infrastruktur unserer Demokratie, sind nun hochoffiziell rechtsfreie Räume, die Extremismus, Diskriminierung, Hate Speech und Fake News als unproblematisch ansehen.

Elon Musk zieht als Beauftragter für Regierungseffizienz direkt ins Weiße Haus, lässt irgendwelche Mitarbeiter aus seinen Unternehmen im großen Stil Organisationen schließen und Beschäftigte entlassen. Wie man hört, soll das vorgeblich eingesparte Geld gleich in Form von Schecks an die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger verteilt werden, sofern sie nicht „illegale Einwanderer“ sind. Die kategorische Unterscheidung von Zugehörigen und Ausgeschlossenen gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen totalitärer Herrschaft, und man kann sicher sein, dass sie auch hier funktioniert.

Was hier vor unseren Augen geschieht, erinnert an die „Racket-Theorie“ Max Horkheimers aus den 1940er Jahren, nach der „die Herrschaft der Personen die Form des Gesetzes“ annimmt. Diese Theorie kam zu früh und wurde nicht weiterentwickelt, aber nun ist die postpolitische Durchsetzung von Macht- und Wirtschaftsinteressen durch eine Clique von Milliardären und zwielichtigen Gestalten aus einem Familienclan eröffnet, die in den Besitz der größten Volkswirtschaft der Erde gekommen sind. Und der größten Militärmacht der Welt. Einige von ihnen besitzen mehr Geld als Privatmenschen jemals zuvor, und ihnen gehören die größten Medienkonzerne auf dem Globus. Sie kontrollieren sensibelste Infrastruktur im Weltall und bestimmen sämtliche soziale Mechanismen im World Wide Web.

Währenddessen machen sich in den verbliebenen demokratischen Staaten autokratische Akteure auf, Regierungen zu stellen – in Italien, in der Slowakei, in Ungarn ebenso; Österreich, Frankreich, die Niederlande, Belgien sind weitere Kandidaten. Trumps „Bros“ machen sich an die Beeinflussung fremdländischer Wahlen. Großbritanniens Rechtspopulisten sprechen von einer Großspende in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro. Der AfD-Chefin Alice Weidel spülte Musk unlängst ein Publikum von über 200.000 Menschen im gemeinsamen verstörenden Propaganda-Livestream zu, in dem Adolf Hitler zum Kommunisten erklärt wurde. Zwei Wochen später ließ sich Musk dann beim Parteitag der AfD bejubeln.

Dem deutschen Wahlvolk ist Anerkennung zu zollen, dass sich nur ein Fünftel von diesem ganzen Zauber hat beeindrucken lassen. Und das, obwohl die Machtakkumulation der Feinde der offenen Gesellschaft im Wahlkampf praktisch gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. Schon der Bruch der Ampelkoalition in dieser Situation war eine unglaubliche Fahrlässigkeit, genauso wie das Hochjazzen des Migrationsthemas, eines Spaltungstopos par excellence.

Foto: Jürgen Heinrich/imago

Harald Welzer

Jahrgang 1958, ist Professor für Trans­forma­tionsdesign in Flensburg, Mitheraus­geber von tazFUTUR­ZWEI und Sprecher des Rats für digitale Ökologie.

Den Parteien, nicht zuletzt aber auch den Medien, ist dringend zu raten, sich jetzt mal die Vernünftigkeit der Bürgerinnen und Bürger zum Vorbild zu nehmen und ihre vordringlichen Probleme tatsächlich mal zu adressieren – als da wären: ein skandalös verengter Wohnungsmarkt, Pflegenotstand und ein Gesundheitssystem vor dem Kollaps, eine komatöse Schlüsselindustrie, ein mehr als marodes Bildungssystem, kaputt gesparte Infrastrukturen, ein immer gefährlicher und teurer werdender Klimawandel und nicht zuletzt ein stetig steigender Vertrauensverlust in System, Politik und Eliten. Und eben die neue Großmachtkonstellation, in deren Wettbewerb seit dem 20. Januar 2025 keine vollständige Demokratie mehr mitspielt.

Sind das keine Sachverhalte, deren Lösung die demokratischen Parteien als ihre Aufgaben betrachten? Ist das alles im Vergleich zu den Themen Migration, Bürokratie und Bürgergeld wirklich unwichtiger? Warum ist die spektakuläre Abkehr von den Menschenrechten, von sozialer und womöglich ökologischer Marktwirtschaft, von der Bewahrung der Schöpfung und dem Streben nach Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden kein Phänomen, das den Leitmedien Titelgeschichten abringt, die sozialwissenschaftlichen Fakultäten an den Unis in Aufruhr versetzt und die Leute auf die Straßen treibt? Der Multilateralismus scheint leise gestorben. Wird die Demokratie ihm sang- und klanglos folgen?

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch? Dieser Satz des umnachteten Hölderlin war schon immer Kokolores, aber nun sehen wir, staunend, seine Umkehrung: Im neuen Elite-Panel der FAZ, einer Umfrage unter den 500 wichtigsten „Entscheidern“ im Land, verbinden 64 Prozent der Befragten „Chancen“ mit der neuen Präsidentschaft von Trump. Das ist entweder schiere Dummheit oder vorauseilender Opportunismus, was sich allerdings nicht ausschließen muss. Eine arme Demokratie, die solche „Entscheider“ hat.

Je evidenter die Gefahr der Zerstörung der offenen Gesellschaft wird, desto weniger sichtbar wird eine entschlossene Gegenwehr, die von den Gewerkschaften, den Kirchen, den gemeinwohlverpflichteten Verbänden und Organisationen und nicht zuletzt von den Stiftungen ausgehen könnte und müsste. Wo sind die alle?

64 Prozent der deutschen „Entscheider“ verbinden Chancen mit der Präsidentschaft Trumps. Eine arme Demo­kratie, die solche „Entscheider“ hat

Die Geschichte hat schon mehrere Zivilisa­tionsbrüche gesehen, in denen immer dieselben Ordnungen von Freundschaft/Feindschaft, zugehörig/nichtzugehörig etabliert wurden, die am Ende immer zu denselben Ergebnissen von Krieg und Massenmord führten. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts liefert doch hinreichend Blueprints für totalitäre Herrschaft; man kann wissen, wie das alles geschieht.

Die Vorgeschichte der Machtübernahme durch den Trumpismus und die ersten Wochen seiner Herrschaft liefern uns wertvolle Hinweise darauf, welche Fehler Politik und Zivilgesellschaft nicht machen dürfen, wenn sie erfolgreich die freiheitliche Ordnung verteidigen wollen – etwa Polarisierung befördern, politische Wettbewerber als Gegner stilisieren, lügen, Prioritäten nach Umfragen setzen, Schwächen der anderen suchen anstatt eigene Stärken entwickeln etc. Man bekäme so ein Roadbook zur Verteidigung der Demokratie und am besten zu einem neuen Bündnis zwischen Politik und Zivilgesellschaft, und nichts schiene uns für den Moment wichtiger als das.

Und noch etwas legt uns dieser Moment nahe: Alle diejenigen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise für diese Gesellschaft engagiert sind, im Ehrenamt, in NGOs, in der Nachbarschaftshilfe, wo auch immer, müssen jetzt ihr zentrales Interesse in den Mittelpunkt stellen, die Gesellschaftsform zu bewahren, die ihnen ihre Engagements überhaupt erst ermöglicht. Es ist in diesem Augenblick egal, ob man sich für Klima- oder Gender- oder Menschenrechtsfragen engagiert, bei Fridays for Future oder Brot für die Welt, bei den Pfadfindern oder den Landfrauen ist – es geht jetzt darum, ein machtvolles, gesamthaftes Bündnis zu schmieden, das die freiheitliche Demokratie verteidigt.

Foto: H.Hartmann

Diana Kinnert

ist Unternehmerin, Publizistin und Politikerin (CDU). Im März erscheint ihr Buch „Die Achtsamkeitsfalle“ im FinanzBuch Verlag.

Und was den nächsten Bundeskanzler angeht: Nachdem Friedrich Merz am 23. Februar 2025 den schönsten Tag seines Lebens haben durfte, kann er sich ja jetzt vornehmen, ein großer Europäer zu werden. Mancher wächst doch mit seinen Aufgaben, und diese wäre eine höchst dringliche.

Erich Kästner wusste, wovon er sprach, als er die Einsicht formulierte: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“

Die unglaubliche Dynamik, mit der gerade ein ganzes Zivilisationsmodell umformatiert werden soll, könnte einem eine Idee davon geben, womit man es jetzt zu tun hat. Die Demokratie gerät dabei zusehends in Not. All hands on deck!

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