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Die Menschheit kann auch anders

Wie wird der Artenschutz ab 2030 finanziert, wie werden Standards kontrolliert? Die Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention haben Antworten gefunden. Deutschland muss jetzt dranbleiben

Ein Jaguar auf Beutezug in Peru. Er wüsste es zu schätzen, wenn sein Wald nicht Soja- und Palmöl­plantagen weichen würde Foto: Milton Rodriguez/getty

Von Heike Holdinghausen

Nein, die Menschheit kann nicht nur Krieg und Machtkampf. Sie kann auch klug sein und schützend. In der Nacht zum Freitag haben sich die Ver­tre­te­r:in­nen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) in Rom darauf geeinigt, wie der globale Naturschutz nach 2030 weiter finanziert werden kann. Dabei haben sie sich auf ein Verfahren geeinigt, in dem sie die bisherigen Finanzstrukturen – zum Beispiel Fonds – auf ihre Tauglichkeit prüfen und eventuell weiterentwickeln können. Was technokratisch klingt, ist für eine global gerechte Finanzierung von Naturschutz wesentlich.

Wie viel Geld bis 2030 zur Verfügung stehen soll, war schon im Herbst auf der ersten Verhandlungsrunde der Konferenz der Vertragsstaaten (COP16) im kolumbianischen Cali beschlossen worden. So sollen für den Naturschutz in den nächsten fünf Jahren jährlich 200 Milliarden Dollar an staatlichem und privatem Kapital mobilisiert werden. Zusätzlich sollen die Industriestaaten pro Jahr 20 Milliarden an Länder des Globalen Südens zahlen, um sie beim Schutz ihrer häufig besonders wertvollen biologischen Vielfalt zu unterstützen. Zudem einigte sich die Staaten in Rom auf Indikatoren, an denen der Erfolg von Naturschutzprojekten gemessen werden soll. Künftig wollen die Mitgliedstaaten ihre Bemühungen einheitlich einschätzen und gemeinsam diskutieren. Eine erste Überprüfung ist für die 17. Weltnaturkonferenz im kommenden Jahr vorgesehen.

Die Konferenz in Rom war ­nötig geworden, weil die Verhandlungen in Cali nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnten. Am Ende waren so viele De­le­ga­tionen abgereist, dass die verbliebenen nicht mehr be­schluss­fähig waren.

Be­ob­ach­te­r:in­nen wie Katrin Böhning-Gaese, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, hielt die hiesige Lesart, die Konferenz sei „gescheitert“, schon damals für unfair. Es seien wichtige Beschlüsse gefasst worden, etwa in Bezug auf die Beteiligung indigener Gemeinschaften an der inter­na­tio­na­len Naturschutzpolitik. Die Ergebnisse der COP in Cali seien immens wichtig für den globalen Schutz der Natur.

Die Bedeutung der Beschlüsse liege weniger in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit als in ihrer politischen Strahlkraft, sagt Sabine Schlacke, Professorin für Verwaltungs- und Umweltrecht und Direktorin des Instituts für Energie-, Umwelt- und Seerecht der Universität Greifswald. „Werden Entscheidungen in Form von Beschlüssen von der Vertragsstaatenkonferenz der CBD getroffen, handelt es sich nicht um bindendes Völkerrecht“, sagt Schlacke, „sondern um sogenanntes Soft Law, im Grunde also politische Absichtserklärungen.“ So sei auch der vor zwei Jahren in Montreal beschlossene Globale Biodiversitätsrahmen ein völkerrechtlich unverbindlicher Beschluss und kein völkerrechtlicher Vertrag. „Allerdings sollten die faktischen Wirkungen des Soft Law nicht unterschätzt werden“, so Schlacke. Die Beschlüsse konkretisieren das Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt und machen es für die Regierungen und Verwaltungen handhabbar. „Deshalb wird oft auch zäh um jede Formulierung gerungen und verhandelt“, sagt Schlacke.

Ein Beispiel für solch eine Umsetzung ist die Verordnung der Wiederherstellung der Natur (Nature Restauration Law, NRL), die die EU im vergangenen Sommer beschlossen hat. „Damit hat die EU das an sich völkerrechtlich unverbindliche Ziel des Global Biodiversity Framework, bis 2030 mindestens 30 Prozent der geschädigten Land-, Süßwasser-, Meeres- und Küstenökosysteme wiederherzustellen, rechtlich verankert und damit zu einem unmittelbar in jedem Mitgliedstaat geltenden Ziel transformiert“, sagt Schlacke. Als Verordnung muss die NRL nicht in na­tio­na­les Recht umgesetzt werden.

Das NRL zeigt aber auch das Konfliktpotenzial konkreter Naturschutzpolitik. So hat die neue brandenburgische Landwirtschaftsministerin Hanka Mit­tel­städt (SPD) zeitgleich zu den Verhandlungen in Rom beschlossen, das NRL in Brandenburg auszusetzen. Ihr sei es ein Anliegen, „deutlich zu machen, dass im Land Brandenburg nicht irgendeine nicht näher definierte Natur zu schützen ist“, teilte die Ministerin am Mittwoch mit, „sondern die Weiterentwicklung unserer Kulturlandschaften im Konsens mit berechtigten Naturschutzinteressen im Vordergrund steht.“ Bis zur Erreichung dieses Konsenses würden keine vollendeten Tatsachen geschaffen.

„Die Wirkung von Soft Law sollte nicht unterschätzt werden“

Sabine Schlacke, Professorin für Umweltrecht

„Es gibt rund 600 FFH-Gebiete in Brandenburg, die nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt sind“, sagt Björn Ellner, Landesvorsitzender des Naturschutzbunds in Brandenburg, „und 27 EU-Vogelschutzgebiete.“ In ihnen gehe es darum, zum Beispiel wieder artenreiches Grünland zu schaffen, Wiesen seltener zu mähen und zu düngen. „Die Methoden und Instrumente sind da“, sagt Ellner, „wir brauchen Vertragsnaturschutz, Anreize für die Land­be­sit­ze­r:in­nen und gesetzliche Vorgaben, was sie in Schutzgebieten dürfen – und was nicht.“ Dazu das Bundesnaturschutzgesetz neu zu formulieren, hält Ellner nicht für erforderlich. „Wir verlieren nur wertvolle Zeit.“

Das sieht Umweltrechtlerin Schlacke zwar ähnlich: „Die Wiederherstellungsziele sind ambitioniert, und die Umsetzung sollte nicht verzögert werden“, sagt sie, außerdem enthalte die NRL sehr konkrete Begriffsbestimmungen und „listet im Anhang einzelne Lebensraumtypen auf, die zu renaturieren sind“, so Schlacke. Im Anhang finde sich eine Beispielliste für Wieder­her­stel­lungs­maß­nahmen wie die Entfernung von Entwässerungsstrukturen für Moorböden – was für Brandenburg als Land mit zahlreichen trockengelegten Moorflächen relevant sei. Allerdings bestehe „möglicherweise Bedarf für Gesetzesänderungen im Raumordnungsrecht, um Flächen für die Renaturierung zügiger ausweisen zu können“. Außerdem müsse man überprüfen, ob die Ziele des Naturschutzgesetzes an das NRL angepasst werden müssten. Bislang sind sie nämlich stärker auf den Schutz des Status quo ausgerichtet, was einer Wiederherstellung nicht unbedingt entsprechen muss.

Das Naturschutzgesetz neu zu fassen, ist also ein Thema für die oder den nächs­te:n Um­welt­mi­nis­te­r:in. Die größere Herausforderung wird sein, die Gelder für das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ (ANK) zu verteidigen, welche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zäh durch alle Haushaltsverhandlungen der Ampel gerettet hat. Bislang hat das BMUV in seinem Rahmen „rund 1,2 Milliarden Euro eingesetzt und für die Folgejahre gebunden, mehr als 9.000 Projekte sind bewilligt“, so das Ministerium. Die Projekte verbinden Natur- mit Klimaschutz, etwa durch die Renaturierung von Auen oder dem Erhalt von Wildnisgebieten. Insgesamt sind für das ANK bis 2028 rund 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Eine neue Bundesregierung könnte die zwar einkassieren. „Wir gehen jedoch fest davon aus, dass das ANK auch in der kommenden Legislaturperiode weitergeführt wird“, heißt es aus dem Ministerium. Schließlich entspreche es den inter­na­tio­na­len Verpflichtungen, die sich auch aus der CBD ergeben.

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