: Democracy dies in broad daylight
Im Watergate-Skandal setzte die „Washington Post“ einst den Goldstandard für unabhängigen Journalismus. Jetzt ist sie das Werkzeug eines rückgratlosen Milliardärs
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Von Barbara Junge
Ist das noch Anschmiegen an die neuen Herren im Weißen Haus oder ist das schon Unterwerfung? Gerade hat der Eigentümer der Washington Post,Jeff Bezos, seiner Belegschaft eröffnet, die Zeitung werde künftig nur noch ein eingeschränktes Themenspektrum kommentieren dürfen: persönliche Freiheiten und freie Märkte. „Standpunkte, die diesen Säulen widersprechen“, werde man „anderen zur Veröffentlichung überlassen“. Der bisherige Meinungschef, David Shipley, den er sehr bewundere, trete im Zuge dessen zurück.
Was für Shipley persönlich – im Spektrum zwischen Anschmiegen und Unterwerfung – vorgesehen war, ließ wenig Interpretationsspielraum. Er müsse „Hell yes“ zum neuen Kurs sagen, hatte Jeff Bezos ihn aufgefordert, oder es sei ein „No“. Doch wie weit ist Bezos selbst auf dem Weg in Richtung Unterwerfung?
Kurz vor der Wahl im November, das Endorsement für Kamala Harris war schon geschrieben, wies Bezos die Post an, keine jener in den US-Medien üblichen Wahlempfehlungen abzugeben. Der Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit kostete die Post Abonnements in sechsstelliger Höhe. Dafür durfte Bezos die Amtseinführung Donald Trumps im Januar 2025 aus nächster Nähe erleben.
Das Ticket ins Kapitol war auch sonst teuer genug. Eine Million Dollar hatte der amazon-Boss für das Privileg gespendet, mit anderen Milliardären neben dem zukünftigen Präsidenten zu stehen. Selbst der Amazon-Produktionsvertrag für einen Dokumentarfilm über Melania Trump, der seit Dezember 24 entsteht, könnte mit viel gutem Willen noch als persönliches Anschmiegen gedeutet werden.
Die Post hat noch immer eine der besten und wichtigsten Redaktionen der Welt. Im Watergate-Skandal setzte sie einst den Goldstandard für leidenschaftlichen, unabhängigen Journalismus. Aber mit dem neuen, verengten Meinungsspektrum macht Bezos die Zeitung zu seinem Werkzeug. Bezos’ Verständnis der „persönlichen Freiheiten“, darf man vermuten, ist ein eingeschränktes, es richtet die Post aus am neuen Zeitgeist in Washington, am Kulturkampf für die Rechte des unterdrückten Weißen Mannes, gegen MeToo, Diversität oder Transgenderrechte. Zugleich bedient Bezos den von Elons Musk angeführten neoliberalen Kreuzzug gegen Marktregulierung, für Zerschlagung des Staates und dessen Überführung in die Hände von Milliardären (aka freie Märkte). Was vor der Wahl mit einem anschmiegsamen Verbot einer Wahlempfehlung begann, ist in eine politische Unterwerfung Bezos’ gemündet: vor dem Zeitgeist, vor Donald Trump, vor Elon Musk.
Das bedingungslose Bekenntnis zum freien Markt passt, was für ein Zufall, nicht nur punktgenau zu den Geschäftsinteressen von Amazon. Es trifft sich auch mit Bezos’ Ambitionen in der Raumfahrt. Mit seiner Firma Blue Origin will Bezos, nicht anders als Elon Musk, die Galaxie kolonialisieren. Wie schön, dass die Trump-Administration gerade dabei ist, die staatliche Raumfahrtbehörde Nasa zu zerschlagen, und so auf wundersame Weise ein paar Milliardenaufträge frei werden.
Vor acht Jahren, einen Monat nach der ersten Amtsübernahme von Donald Trump, hatte sich die Washington Post, damals schon im Besitz von Jeff Bezos, das Motto „Democracy dies in darkness“ gegeben, Demokratie stirbt in der Dunkelheit. Es avancierte zum Sinnbild der düsteren demokratischen Verzweiflung ob des national-autoritären Präsidenten und wurde global als medialer Widerstand gegen Donald Trump gefeiert.
Der Spruch soll intern schon vor dem Aufstieg Trumps als Motto diskutiert worden sein. Bereits im Mai 2016 hatte Bezos ihn in einem Interview mit dem damaligen Post-Chefredakteur Marty Baron zitiert, um zu begründen, warum er die Zeitung gekauft habe. „Ich habe immer geglaubt, dass die Demokratie in der Dunkelheit stirbt und dass bestimmte Institutionen eine sehr wichtige Rolle dabei spielen, dafür zu sorgen, dass es Licht gibt. Und ich denke, die Washington Post hat dabei eine wichtige Rolle.“
Bezos hat sich seitdem nicht wirklich entschieden gegen die damals verkaufsfördernde Interpretation als Widerstandsparole gewehrt. Heute müsste unter dem Namensschriftzug der Washington Postbesser „Democracy dies in broad daylight“ stehen. Das alte Motto hat ausgedient. Niemand muss in Trumps Amerika mehr den Schutz der Dunkelheit suchen, um sich von demokratischen Werten zurückzuziehen. Jeff Bezos buchstabiert das gerade für alle Welt sichtbar aus. Er überlässt den Job, politisches Rückgrat zu zeigen, (weniger werdenden) anderen.
Donald Trump hat die demokratischen Institutionen geschleift. Beide Kammern des Kongresses buhlen um seine Gunst, das Oberste Gericht hat er mit gleichgesinnten Männern und Frauen besetzt, und statt Präsident nennt sich Trump jetzt auch schon mal König. Die letzten Bastionen der Demokratie sind einige Bundesgerichte – und die freien Medien. Mit der Washington Post fällt eine der stärksten Kräfte der sogenannten vierten Gewalt. Das ging schnell, schneller als erwartet.
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