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Kleidung gegen das Verschwinden

Mit „Backyard“ bespielen Laura Uribe und Sabina Aldana Hof und Kiosk des Gorki Theaters. Ihre performative Installation soll auf die über 115.000 „desaparecidos“ in Mexiko aufmerksam machen

Bilder von Verschwundenen sind auf die Kleidungsstücke von Sabina Aldana gedruckt Foto: Lutz Knospe

Von Sophia Zessnik

Zwei Gestalten in weißen Schutzanzügen wühlen sich durch das Laub im Hinterhof des Maxim Gorki Theater. Sommers sitzt man hier schön, etwas geschützt vor Sonne und Hitze. Aktuell bläst der Wind, wirbelt Blätter auf, sobald die Gestalten aufheben, was sie gesucht zu haben scheinen: transparente, nicht enden wollende Bahnen, auf ihnen Gesichter und Namen. Er habe immer Hacke und Spitze dabei, um die Gräber auszuheben, sagt eine Männerstimme. Über Kopfhörer läuft eine Audiospur simultan zur Szenerie im Gorki-Garten. Mundschutz gegen den meist staubigen Boden und etwas, um den Nacken vor der Sonne zu bewahren, dürfe auch nicht fehlen. Mario Vergara heißt der Mann auf der Tonspur, 2014 gründete er gemeinsam mit weiteren Betroffenen das Kollektiv „Los Otros Desaparecidos de Iguala“, das sich der Suche nach Vermissten im nördlichen Bundesstaat Mexikos Guerrero verschrieben hat.

Vergaras Stimme aufgenommen und sie bis nach Berlin gebracht, haben Laura Uribe und Sabina Aldana. Seit 2018 setzen sich die beiden künstlerisch mit dem Thema der „desaparecidos“ auseinander. Das gewaltsame Verschwindenlassen gilt als Akt des Terrors. Es dient dazu, Angst und Misstrauen in der Gesellschaft zu verbreiten, diese zu destabilisieren. In Lateinamerika hat diese Praxis bittere Tradition, wurde sie doch während der Diktaturen als gängiges Mittel der Machtdemons­tration genutzt. Seitdem der mexikanische Staat seit 2006 versucht, militärisch gegen Drogenkartelle vorzugehen, verschwinden immer mehr Menschen. Laut Human Rights Watch gelten heute über 115.000 Menschen in Mexiko als vermisst, als Uribe und Aldana 2018 mit ihrer Forschung begannen lag die Zahl bei etwa 32.000.

Weder Justiz noch Polizei seien bei der Suche nach den Verschwundenen hilfreich, sagt Uribe im Gespräch mit der taz. Es gäbe kaum finanzielle Unterstützung, weshalb Familien oft selbst nach ihren Angehörigen suchen müssten. 2020 trug Uribe, was sie durch ihre Forschung und die Mithilfe des Kollektivs um Vergara gesammelt hatte, in einem Theaterstück zusammen: „Campo“ wurde zusätzlich vom Deutschlandfunk als Hörspiel aufgesetzt, das den Prix Italia 2023 gewann.

Ihre neueste Arbeit „Back­yard“, die noch bis Anfang März im und um den Kiosk des Gorki Theaters stattfindet, bezeichnen die Künstlerinnen Uribe und Aldana als performative Installation. Gorki-Schauspielerin Yanina Cerón führt vom Foyer durch den Garten bis zum Kiosk – einem speziellen Format­raum des Theaters. Dort in der Auslage finden sich Schaufensterpuppen und allerlei Gadgets. Wer die Dorotheenstraße, die hinter der Humboldt Universität und dem Gorki verläuft, entlangflaniert, mag in dem Schaufenster eine tatsächliche Boutique vermuten, so gut passen die Survivaloutfits, passt das Outdoorequipment in eine Gesellschaft, die sich für jede Aktivität bloß die passende Ausrüstung kaufen muss. Und sei es dafür, die Überreste Verschwundener zu suchen. Im ersten Moment mag das zynisch wirken, doch die Kleidung, die Sabina Aldana entworfen hat, soll den selbst organisierten Suchtrupps in der wüstenartigen Landschaft im Norden Mexikos tatsächlich nutzen. Ihre Arbeit, die unbezahlt ist, teils Kenntnis aus Archäologie und Forensik erfordert und die eigentlich der Staat leisten müsste, solle so gewürdigt werden, sagt Aldana. So werden die Outfits mit alldem ausgestattet, was es in dem unwegsamen Gelände braucht, inklusive auf Stoff gedruckter Fotos der Vermissten.

Uribe und Aldana, die sich als Künstlerinnen Duo L.A.S. [Laboratory of Sustainable Artists] nennen, stellen mit ihrem Projekt auch die Frage, wie man institutionelle Ressourcen aus dem Kunstbereich nutzen kann, um direkten Einfluss auf soziale Probleme auszuüben. Allein auf Missstände Aufmerksam zu machen, reiche nicht mehr, sind sich die beiden einig.

Wie macht man am besten auf Missstände aufmerksam? Indem man sie kommerzialisiert und konsumierbar macht

„Backyard“ beinhaltet auch deshalb eine Werkstatt. In Handarbeit wird an einer Station Kleidung aus hautähnlichem Material hergestellt und mit Haaren verziert, während Frauenstimmen von der Suche nach ihren verschwundenen Kindern berichten. Daneben bestickt eine Nähmaschine Kleidung der Fast-Fashion-Marke Zara mit Aussagen der Hinterbliebenen. Denn wie macht man in unserer Gesellschaft am besten auf Missstände aufmerksam? Uribe und Aldana geben die Antwort: Indem man sie kommerzialisiert und konsumierbar macht.

„Mögen die Augen der Verschwundenen ihnen für immer folgen. Und mögen die Schreie der Mütter sie niemals schlafen lassen“, leuchtet einem in pinkfarbener Schrift ein Satz von Lety Hidalgo entgegen. Seit 2011 sucht sie nach ihrem Sohn Roy. ¿Dónde está(n)?

„Backyard“, bis 2. März täglich im Maxim Gorki Theater

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