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Alexandra Hilpert ZockerzeckeAnarchokapitalismus für Kinder

Foto: Josepha Stein

Selten habe ich mich so alt gefühlt wie an diesem Morgen, als ich zum ersten Mal auf „Roblox“ abhänge. Mit meinem frisch geschlüpften Welpen jogge ich Richtung Marktplatz. „Bring mich zum nächsten Töpfchen“, blinkt über seinem Kopf. Ein Text teilt mir mit: „Oliver2332 hat dich auf eine Party eingeladen!“, darunter ein Text in kyrillischer Schrift, gespickt mit Herzchen. „Hohoho“, ruft ein Weihnachtsmann, als ich vorbeirenne. Ich bin overstimulated und überfordert.

„Adopt Me!“, heißt das Spiel, bei dem man Haustiere großzieht und sammelt. 131.000 Leute spielen es gerade gleichzeitig mit mir. Es ist eines von rund 6 Millionen Spielen, die auf Roblox verfügbar sind. Roblox ist eine Spielplattform, die als Metaverse genutzt wird, also ein soziales Netzwerk in einer virtuellen Welt.

Die Reizdichte ist krass. Ähnlich wie beim Haustierspiel ergeht es mir in „Krieg Tycoon“ und einem Spiel namens „Sei ein Loch“. Anleitungen gibt es oft nicht, die Digital Natives wissen schon selbst, welche Knöpfe was machen. So muss sich mein Opa immer fühlen, wenn ich ihm erkläre, wie er einen Whatsapp-Anruf startet.

Laut Roblox nutzen 85 Millionen Menschen die Plattform täglich. Mehr als jeder dritte von ihnen ist unter 13 Jahre alt. Auch in Deutschland nutzt laut einer Studie der Landesanstalt für Medien NRW jedes dritte der 2.000 befragten Kinder und Jugendlichen Roblox. Zu Beginn der Coronapandemie wurde die Plattform zu einem digitalen Spielplatz, um Freun­d:in­nen zu treffen. Seitdem wächst die Plattform stetig.

Wie viele soziale Medien funktioniert Roblox nach kapitalistischer Logik: Je mehr Zeit Nut­ze­r:in­nen mit einem Spiel verbringen, desto häufiger wird es vom Algorithmus auf der Plattform angezeigt. Spiele fixen Kinder selten an, indem sie tolle Botschaften verbreiten, sondern indem sie besonders geschickt Dopamin freisetzen. Das machen sie zum Beispiel mit Zufallsgeschenken, wie Lose beim Glücksspiel.

Was eine kapitalistische Gesellschaft trotz des verkorksten Systems lebenswert macht, sind soziale Institutionen, Kunst und Kultur, die außerhalb des Marktes existieren und dessen Auswirkungen abfedern. In der wirklichen Welt existieren diese, auch weil sie von unserer Demokratie gefördert werden. Im Anarchokapitalismus der Roblox-Welt gibt es sie bisher kaum.

Der österreichische Verein Rosalila Pan­the­r:in­nen will das ändern und hat im Januar ein queeres Beratungscenter auf Roblox eröffnet. Beteiligt waren die Wiener Städtische Versicherung und eine Kreativagentur. Auch das Belvedere Museum in Wien hat ein Roblox-Spiel entwickelt, in dem Nut­ze­r:in­nen in Gemälde eintauchen und etwas über ihre Geschichte lernen können. Solche Erlebnisse sind selten auf Roblox. Dabei gäbe es so viele Möglichkeiten: Nachrichtenangebote, Sprachkurse, Nachhilfe, Selbsthilfegruppen, Freiräume für politische Aktionen und Engagement. Antifa ist Handarbeit. Sie muss auch in digitalen Räumen stattfinden – am besten, bevor sie von Rechten vereinnahmt werden.

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