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Ein Haus im Fluss

Nicht ohne Turbulenzen hat sich die Kestner-Gesellschaft von ihrem Künstlerischen Leiter Adam Budak getrennt. Die Nachfolge-Suche läuft, nur temporär verantwortet Budaks vormalige rechte Hand das Programm

Vor dem Hintergrund der jüngsten Turbulenzen drinnen, wirkt Ewa Partums Neonarbeit „new horizon is a wave“ wie ein Kommentar. Zu sehen ist sie noch bis Sonntag, 16. Februar, draußen an der Fassade Foto: Volker Crone

Von Bettina Maria Brosowsky

Aufgeräumt sieht es derzeit in der Kestner-Gesellschaft Hannover aus, vielleicht sogar: leer. Die überbordende Buchauslage im Eingangsbereich ist verschwunden, keine der zyklisch wechselnden, großen Wandarbeiten hängt mehr im Lichtgraben, der Cafégalerie und Erdgeschoss verbindet. Immerhin: das kleine plüschige Café gibt es noch, auch die (kostenfreie) Cinémathèque mit ausstellungsbezogenem Filmangebot im Erdgeschoss – und den frischen, opulenten Blumenstrauß im Foyer.

Das alles sind Relikte des Geistes von Adam Budak, der im November 2020 die Künstlerische Leitung der Kestner-Gesellschaft übernahm, sie „gastfreundlicher“ machte, aber zum Ende des vergangenen Jahres vorzeitig seinen Hut nehmen musste: Finanzielles Missmanagement aufgrund viel zu aufwendiger Ausstellungen und Aktivitäten hatte der Vorstand Budak vorgeworfen und einvernehmlich-eigenhändig dessen Vertrag aufgelöst. Die Vereinsmitglieder fühlten sich überrumpelt und sprachen sich in einem offenen Brief für den geschassten Leiter aus – es nützte nichts.

Budaks letzte geplante Ausstellung „Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Über Hannah Arendt. Acht Übungen des politischen Denkens“, die im November 2024 hätte starten sollen, wurde abgesagt. Stattdessen eröffnete im Dezember das noch bis Anfang März zu sehende Programm: eine Doppelschau mit Skulpturen, Installationen, Zeichnungen und Aquarellen von Paloma Varga Weisz sowie Malerei und eine Installation der nigerianisch-US-amerikanischen Künstlerin Monilola Olayemi Ilupeju. Dazu kommt eine Auswahl an Editionen und Plakaten, die einerseits die Institutionsgeschichte Revue passieren lassen – und wohl auch etwas Geld in die Kasse spülen sollen: Sie alle sind käuflich zu erwerben.

Paloma Varga Weisz, „Multiface“;

Monilola Olayemi Ilupeju, „BloodLetter“;

„beyond now. Editionen“: bis 2. 3., Hannover, Kestner-Gesellschaft

Paloma Varga Weisz im Gespräch mit Alexander Wilmschen und Gabriele Sand: Do 13. 2., 18 Uhr

Ewa Partoum, „new horizon is a wave“: bis 16. 2., Fassade

Ersonnen hat das Ersatzprogramm in Windeseile Alexander Wilmschen, vormals Budaks rechte Hand, nun Interimsleiter des Hauses, der sich damit eigentlich auch als Nachfolger empfiehlt. Aber die Position wurde ausgeschrieben, im Oktober schon sei „eine Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eingegangen, die bereits gesichtet wurden“, heißt es aus Hannover.

Über drei der vier Säle erstrecken sich nun die Arbeiten von Paloma Varga Weisz’Ausstellung „Multiface“. Die Künstlerin, 1966 in Mannheim geboren, hat an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert, wo sie heute lebt und arbeitet. Unverkennbar ist, dass sie vorher eine Ausbildung zur Holzbildhauerin in Oberbayern absolviert hat: Sie belässt etwa rohe Holzklötze im Großen und bearbeitet nur in Teilbereichen minutiöse Tier- oder Menschenköpfe heraus. Die können so perfekt nachbildnerisch sein wie der Charakterkopf der Uta von Naumburg, den sie zudem mit einer artfremden Keramikglasur überzogen hat. Denn auch das macht sie: Keramiken wie zerfließende Schokolade, die über Jahre zur Serie „Wilde Leute“ herangewachsen sind. Da wären Menschen mit tierischen Schlappohren und Physiognomien oder Tiere in menschlichen Posen. Diese Zwitterwesen können auch größer werden: Dann wechselt die Künstlerin vom Holz zum Bronzeguss.

Ersonnen hat das Ersatzprogramm Alexander Wilmschen, der sich damit als neuer Künstlerischer Leiter empfiehlt. Aber die Position wurde ausgeschrieben

Auch vor der ganz monumentalen Bronze schreckt Varga Weisz nicht zurück: „Rug People“ (2011) versammelt fünf Männerhäupter, durch Kartonagen oder Stäbe stabilisiert. Jeder blickt in eine andere Richtung, und alle somit aneinander vorbei – ein beißender Kommentar zu Rodins „Bürger von Calais“, die das gemeinsame Ziel einte, mit ihrem Kapitulationsritual im Büßerhemd eine englische Belagerung zu beenden. Die Familie von Paloma Varga Weisz ist ungarisch-jüdischer Herkunft, war von der NS-Vernichtung betroffen. Sie mag da­raus die Konsequenz gezogen haben, allem allzu Menschlichen zutiefst zu misstrauen und stattdessen vieldeutige, in den Grenzen fließende Objekte und Geschichten anzulegen.

Viel Holz (und Bronze): Paloma Varga Weisz’ Installation „Multiface“ nimmt drei von vier Kestner-Sälen ein Foto: Volker Crone

Auch die in Berlin lebende, 1996 in den USA geborene und dort ausgebildete Monilola Olayemi Ilupeju liebt es metaphorisch: „BloodLetter“ bedeutet ja nicht, dass der gleichnamige Textband, der im Raum ausliegt, mit Blut geschrieben wäre; der Verweis steht für Familie, Lebensfreude, Farbigkeit, aber auch Gewalt und Migration, wird in Bild- und Textarbeiten multimedial interpretiert. Als Malgrund verwendet Ilupeju meist Rinderhäute, die in ihrer unregelmäßig organischen Kontur Partien der Keilrahmen freilassen. Das gibt den Bildern, die auf Familienfotos basieren, etwas Spontanes, besonders wenn sie dichte Szenen des Lebens zeigen: Frauen beim traditionellen Frisurenstyling etwa. Oder eine Gruppe afrikanischer Patienten mit Zetteln in der Hand: Sie warten auf die Blutabnahme – archaischer Aderlass in Ermangelung fortschrittlicherer medizinischer Versorgung.

Ilupeju porträtierte auch ihre Mutter, die nach dem Umzug in die USA von einer neuen Ungewissheit geprägt zu sein scheint. Während den Balkon des Großvaters in Afrika traditionelle Bauformen schmücken. Aus diesen Gitterelementen aus gebranntem Ton ist auch der kleine Pavillon gebaut, in dessen Inneren im zentralen Textband gelesen werden kann: ein Ruhepol wie auch gedanklicher Transfer zwischen Kontinenten, Kulturen und Techniken.

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