piwik no script img

KI fürs Krabbenwohl

In deutschen Supermärkten gibt es vor allem Garnelen aus Zuchtanlagen außerhalb der EU, oft ohne Nachweis artgerechter Haltung. Das Bremerhavener Projekt „ShrimpWiz“ nutzt künstliche Intelligenz, um eine tierfreundliche Garnelenzucht zu etablieren

Wachstumsüberwachung ohne Stress: Rot gefärbte Garnelen hat das System erkannt, bei grünen Garnelen hat es auch die Länge bestimmt Foto: Bert Wecker

Von Robert Matthies

In deutschen Supermärkten findet man sie zuhauf: Garnelen aus Zuchtanlagen. Fast alle stammen aus Anlagen außerhalb der Europäischen Union. Ob die Tiere dort artgerecht gehalten werden, lässt sich für Ver­brau­che­r:in­nen kaum nachvollziehen. Das Forschungsprojekt „ShrimpWiz“ will das ändern und die Garnelenzucht nach Deutschland holen – mit Hilfe von KI-Technologie.

Unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven und gemeinsam mit dem Unternehmen Oceanloop, einem Pionier in der europäischen Indoor-Garnelenzucht, erforschen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen, wie eine landbasierte Garnelenzucht in Deutschland aufgebaut werden kann, die das Tierwohl garantiert, aber auch wirtschaftlich rentabel ist.

Im Zentrum des Projekts steht eine Bilderkennungssoftware, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Sie soll die Tiere automatisiert untersuchen und versorgen. Stephan Ende koordiniert das Projekt am AWI und erklärt das Problem so: „In herkömmlichen Aquakulturen müssen Betreiber ihre Garnelen regelmäßig aus dem Wasser holen, um sie zu messen und zu wiegen. Das verursacht enormen Stress bei den Tieren.“ Mit der neuen Technologie soll dieser Stress der Vergangenheit angehören.

Das Herzstück des Systems ist denkbar einfach: Ein handelsübliches Smartphone, installiert über der Wasseroberfläche, fotografiert die Garnelen minütlich. Die Aufnahmen werden in Echtzeit an einen lokalen Server übertragen, wo Algorithmen mit ihnen arbeiten. „Unsere Software kann jede einzelne Garnele auf den Bildern zählen und ihre Länge mit einer Genauigkeit von 95 Prozent bestimmen“, sagt Ende.

Das System kann noch mehr: Durch Kombination aus der hochauflösenden Bildqualität und KI-basierten Bildverarbeitungsmodellen kann es auch optische Anzeichen von Stress bei den Tieren erkennen. „Das ist ein echter Durchbruch“, sagt Bert Wecker, technischer Leiter bei Oceanloop. „Wir können nun wichtige Produktionsparameter wie Wachstum, Futterverwertung und Überleben in Echtzeit überwachen, ohne die Tiere zu stören.“

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Projekts ist die Verwendung von klarem Wasser in den Zuchtanlagen. Im Gegensatz zu traditionellen Teichanlagen, wo das trübe Wasser eine optische Erfassung fast unmöglich macht, bietet klares Wasser ideale Bedingungen für die KI-gestützte Überwachung. „Die Klarwassertechnologie ist der Schlüssel zu Fragen des Tierschutzes in intensiven Aquakulturanlagen“, sagt Ende.

Das Potenzial der neuen Technologie geht über die reine Überwachung hinaus. Das Forscherteam arbeitet daran, ein künstliches neuronales Netzwerk zu entwickeln, das alle verfügbaren Daten einer Farm berücksichtigt, von der Wasserqualität bis zu den Fütterungszeiten. „Wir sprechen hier von über hundert Parametern, die in Echtzeit analysiert werden“, sagt Wecker. „Das ermöglicht es uns, die Bedingungen für die Garnelen kontinuierlich zu optimieren.“

Mit der steigenden Nachfrage nach Meeresfrüchten wächst auch der Druck auf die Ökosysteme der Ozeane. Landbasierte Aquakulturen können dazu eine umweltfreundliche Alternative bieten. „Unser Ziel ist es, eine marktreife Tierwohl-Software für die landbasierte Garnelenzucht zu entwickeln“, sagt Ende. „Diese Software soll alle erforderlichen Informationen in einer einzigen Aufnahme erfassen können – von der Biomasse über Stresslevel bis hin zu möglichen Krankheiten.“

Die Forscher sehen in ihrer Entwicklung nicht nur einen Weg, das Wohlergehen der Tiere zu verbessern, sondern auch die Produktionseffizienz zu steigern. „Die Technologie kann helfen, die Digitalisierung der Indoor-Garnelenzucht voranzutreiben“, sagt Ende. „Das ist notwendig, um das heutige Preisniveau im Einzelhandel zu erreichen und gleichzeitig eine nachhaltigere und artgerechtere Garnelenzucht zu gewährleisten.“

Wenn alles nach Plan läuft, könnten schon bald die ersten in Deutschland gezüchteten, KI-überwachten Garnelen in den Supermarktregalen landen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen